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Bürgerkriegsland Fast neun Monate nach Libyen-Gipfel: Vertreter ziehen Bilanz

Der Berliner Libyen-Gipfel brachte im Januar zumindest ein bisschen Hoffnungen auf Frieden nach fast zehn Jahren Bürgerkrieg. Was von dieser Hoffnung geblieben ist, soll sich heute bei einer Nachfolgekonferenz zeigen.

Von Michael Fischer und Johannes Schmitt-Tegge, dpa 05.10.2020, 04:04

Tripolis/Berlin (dpa) - Es war eins der größten Gipfeltreffen, das es in Berlin in den letzten Jahren gegeben hat. Die Ergebnisse wurden als diplomatischer Erfolg gefeiert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) war es am 19. Januar gelungen, fast alle Staaten an einen Tisch zu bringen, die den Libyen-Krieg mit Waffen und Kämpfern befeuern. Und sie brachten sie dazu, zu versprechen, genau das nicht mehr zu tun. An diesem Montag ziehen die Außenminister der Teilnehmerstaaten des Gipfels bei einer Videokonferenz Bilanz. Sie wird wohl zwiespältig ausfallen.

TEILNEHMER: DIE HELFER DER KONFLIKTPARTEIEN

An dem Berliner Gipfel hatten Vertreter von 16 Staaten und internationalen Organisationen teilgenommen. Darunter waren die wichtigsten Unterstützer der Konfliktparteien in Libyen: Die international anerkannte Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch in der Hauptstadt Tripolis erhält vor allem von der Türkei Hilfe, seine von General Chalifa Haftar angeführten Kontrahenten im Osten des Landes von Russland, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Außerdem waren die USA, Großbritannien, Frankreich, China, Italien, Algerien und die Republik Kongo in Berlin dabei. Diese Länder sind auch zu der Videokonferenz eingeladen, die von UN-Generalsekretär António Guterres und Außenminister Heiko Mass geleitet wird.

ZIEL DER KONFERENZ: BERLINER BESCHLÜSSE ÜBERPRÜFEN

Beim Gipfel in Berlin hatten sich die Teilnehmer dazu verpflichtet, das seit neun Jahren bestehende Waffenembargo für Libyen einzuhalten und auf die Einmischung in den Konflikt zu verzichten. Inwieweit das gelungen ist, und was noch zu tun ist, soll bei der jetzigen Libyen-Konferenz überprüft werden.

BILANZ: ES WERDEN WEITER WAFFEN GELIEFERT

Wie die jahrelangen Kriege in Syrien oder dem Jemen hat sich Libyen immer mehr zu einem auch internationalen Konflikt entwickelt. Die genannten ausländischen Mächte befeuern ihn mit Waffen und Söldnern von außen. Vor allem der abtrünnige General Haftar folgt der Logik des Krieges und bemüht sich, seinen Einfluss durch Angriffe zu halten. Mit einer Beruhigung der Kämpfe verliert der bald 77-Jährige nach Einschätzung von Experten aber auch an Einfluss.

Russland hat sich im Land laut Jalel Harchaoui vom niederländischen Clingendael-Institut militärisch immer mehr festgesetzt. Mit Hilfe der VAE habe Russland Söldner und Ausrüstung nach Libyen gebracht. Russland habe Abwehrsysteme und Radargeräte bauen und Landminen legen lassen, sagt Harchaoui. Söldner der russischen "Wagner Gruppe" würden auch wichtige Öl-Terminals besetzten. Sie seien "komplett unabhängig" von Haftar und würden ihre Schritte nicht mehr mit ihm absprechen.

WIE HABEN SICH DIE KÄMPFE SEIT JANUAR ENTWICKELT?

Nach der gescheiterten Offensive Haftars auf die Hauptstadt Tripolis, die Anhänger der Sarradsch-Regierung mit Hilfe der Türkei bis zur Hafenstadt Sirte zurückdrängten, haben sich die Gefechte beruhigt. Seit Mitte Juni gab es keine größeren Angriffe mehr in den zuvor umkämpften Gebieten. Diplomaten wollen diese Gelegenheit deshalb nutzen, um den politischen Prozess zu einer Lösung voranzutreiben.

SIND DIE KONFLIKTPARTEIEN EINER LÖSUNG NÄHER GEKOMMEN?

Teilweise. Im August erklärten sowohl Al-Sarradsch als auch die Regierung in Ost-Libyen eine Waffenruhe. Bei Gesprächen in Marokko, Ägypten und in der Schweiz näherten sich Vertreter verschiedener libyscher Seiten auch aneinander an. Sie sind sich grundsätzlich einig, dass eine Einheitsregierung gebildet werden soll und am Ende einer 18 Monate langen Phase Präsidenschafts- und Parlamentswahlen abgehalten werden sollten.

Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Bei den Gesprächen waren bisher keine hochrangigen libyschen Vertreter anwesend, und viele wichtige Fragen sind noch ungeklärt, etwa zu militärischen Zonen auf beiden Seiten, der Blockade von Öl-Anlagen oder einer angedachten Reform des Finanzsektors. Erschwert werden die Verhandlungen auch durch interne Konflikte in beiden Lagern und durch verschiedene Interessen der ausländischen Akteure.

BRINGT DIE EU-MISSION ZUR ÜBERWACHUNG DES WAFFENEMBARGOS ETWAS?

Teils. Zwar kontrollierten unter anderem Bundeswehr-Soldaten der deutschen Fregatte "Hamburg" im Mittelmeer bereits Dutzende Schiffe und verhinderten auch einen Verstoß gegen das UN-Waffenembargo gegen Libyen. Sie stoppten ein mit Kerosin beladenes Tankschiff auf dem Weg in die Haftar-Hochburg Bengasi im Osten des Landes. Der Treibstoff sollte vermutlich für militärische Zwecke genutzt werden.

Trotz des seit April laufenden EU-Einsatz gelangen aber weiterhin Waffen ins Land. Seit Anfang Juli seien rund 100 Flüge und zwölf Schiffe in Libyen angekommen, sagte die amtierende UN-Sondergesandte für Libyen, Stephanie Williams, Anfang September. Ausländische Akteure würden ihre militärischen Fähigkeiten im Osten und Westen Libyens ausbauen. Williams sprach von einem "offenkundigen Bruch des UN-Waffenembargos" und der Zusagen der Berliner Libyen-Konferenz.

Die Europäische Union versucht parallel mit eigenen Mitteln, den Fluss von Waffen ins Land zu stoppen. Vor zwei Wochen beschlossen die EU-Außenminister Sanktionen gegen Unternehmen, die Schiffe, Flugzeuge oder andere Logistik für den Transport von Kriegsmaterial bereitgestellt haben. Konkret geht es nach EU-Angaben um drei Firmen aus der Türkei, Jordanien und Kasachstan.

WARUM IST LIBYEN FÜR DEUTSCHLAND SO WICHTIG?

Der Bürgerkrieg in Libyen ist einer der wenigen internationalen Konflikte, bei dem Deutschland eine zentrale Vermittlerrolle einnimmt. Der Hauptgrund: Europa und Libyen sind nur durch das Mittelmeer getrennt. Durch das nordafrikanische Land führen die wichtigsten Routen der Flüchtlinge, die über das Meer nach Europa kommen wollen. An einem stabilen Libyen hat Deutschland daher großes Interesse. Dass das nicht in wenigen Monaten zu schaffen sein würde, hatte Merkel schon im Januar nach dem Berliner Gipfel eingeräumt: "Ich mache mir keine Illusionen, dass das natürlich noch eine schwierige Wegstrecke sein wird."

© dpa-infocom, dpa:201004-99-824697/3