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Gesundheit Herzinfarktland Sachsen-Anhalt

Sachsen-Anhalt steht bei der Todesursache „Herzinfarkt“ nach Brandenburg an zweiter Stelle.

28.09.2020, 23:01

Zum heutigen Weltherztag sprach Volksstimme-Reporter Bernd Kaufholz mit dem Direktor der Magdeburger Universitätsklinik für Herz- und Thoraxchirurgie, Professor Jens Wippermann, über mögliche Ursachen.

Volksstimme: Bezogen auf 100 000 Einwohner starben nach den jüngsten Erhebungen 75 Menschen an Herzinfarkt. Zum Vergleich: In Schleswig-Holstein sind es nur 41. Was macht den Unterschied aus?

Professor Wippermann: Das könnte etwas damit zu tun haben, dass hier viele Menschen nach der Wende in eine angespannte Lebenssituation geraten sind, begleitet von Enttäuschungen, Jobverlust, und Existenzkrisen. Innerhalb solcher Szenarien achten Menschen nicht so sehr auf ihre Gesundheit. Generell ist zu sagen, dass die Arztdichte in den alten Bundesländern größer und die Bereitschaft, zum Arzt zu gehen dort stärker ausgeprägt ist. In den vergangenen vier Jahren, in denen ich in Sachsen-Anhalt bin, ist mir aufgefallen, dass die Menschen sehr robust sind und nicht zum Arzt gehen, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Nun ist es aber so: Kommt man bei Herzbeschwerden erst, wenn es nicht mehr anders geht, ist es oft so, dass sich der Patient bereits in einem dramatischen Zustand befindet. Die Chance, ihm zu helfen, ist geringer.

Könnte eine andere Ursache auch die Überalterung der Bevölkerung in den neuen Bundesländern sein?

Man könnte meinen, dass die Abwanderung von Jüngeren zu der hohen Sterberate beiträgt. Aber es gibt auch eine Zahl von Patienten, die sich mit Mitte Fünfzig einer Operation unterziehen müssen. Natürlich ist das Gros der Patienten, die sich in meiner Klinik operieren lassen müssen, älter – im Durchschnitt 72 Jahre. Weil wir inzwischen auch 80-Jährige, bei denen nichts anderes mehr hilft, operieren.

Was hat sich in den vergangenen Jahren mit Blick auf die Herzchirurgie getan?

Wir haben gerade vor ein paar Tagen unser Jubiläum „25 Jahre Herzchirurgie“ am Universitätsklinikum begangen. Schaut man auf diese zweieinhalb Jahrzehnte zurück, hat sich Vieles getan. So kommen wir immer mehr von traumatischen Operationsverfahren, also Verfahren, die große Wunden hinterlassen, ab. Analog zu den kardiologischen Entwicklungen. So kann der Kardiologe heute viele Erkrankungen mittels Kathetertherapie behandeln, bei denen früher der Herzchirurg zum Zuge kam. Wir Chirurgen operieren mittlerweile, wo es geht, minimal invasiv, also mit kleinen Schnitten.

So versuchen wir, die große Brustbeineröffnung zu vermeiden. Es wird nur noch zu einem Drittel geöffnet oder der Operateur findet durch den Zwischenrippenraum den Zugang zum Herzen. Dadurch können sich die Patienten schnell wieder erholen. Ein künstlich herbeigeführter Knochenbruch kann hingegen erst nach einem Vierteljahr wieder belastet werden.

Sie haben die Kardiologen erwähnt. Wie ist die Zusammenarbeit?

Kardiologen und Chirurgen sind echte Partner. Wir arbeiten Hand in Hand und suchen gemeinsam die beste Methode, dem Patienten zu helfen. Dafür gibt es zweimal in der Woche eine Herzkonferenz, um das jeweilig optimale Verfahren für den Kranken zu finden. Dabei kommt es nicht darauf an, wer den Patienten hat und wer abrechnen kann. Man kann die Kooperation unter der großen Überschrift „Herzmedizin in Magdeburg“ zusammenfassen.

In Magdeburg gibt es keine Transplantationschirurgie. Sie haben vor ihrer Zeit an der Elbe selbst Herzen verpflanzt. Aus ihrer Sicht eine Möglichkeit für die Zukunft?

Es wäre nicht zweckmäßig. Wir liegen zwischen den Transplantationszentren Hannover und Berlin. Damit ist die Versorgung gegeben. Aber wir haben bis auf den Punkt Transplantation und die Behandlung von Kindern alles im Angebot, was dem Herzpatienten helfen kann. Wir haben ein großes Kunstherzprogramm, was bis zur Herzverpflanzung die Zeit überbrückt oder als Herzersatz für die Endstrecke des Lebens dient. Wir behandeln Erkrankungen der Hauptschlagader, der herznahen Gefäße, der Herzmuskeln und -klappen auf hohem Niveau.

Wieviel Kunstherzen hat die Herzchirurgie bisher eingesetzt?

Wir haben in den vergangenen fünf Jahren mehr als 60 Kunstherzsysteme implantiert. Knapp 30 Patienten mit einem Kunstherzen leben noch. Leider gibt es ein komplett transplantierbares System noch nicht. Deshalb besteht immer die Gefahr, dass es über die Antriebsschläuche zu einer Infektion kommt. Um dem vorzubeugen haben wir eigens eine Kunstherzambulanz mit Spezialisten, die jederzeit für unsere Kunstherzfamilie ansprechbar sind. Der Zusammenhalt zwischen diesen Patienten ist sehr gut, und wir organisieren einmal im Jahr ein geselliges Treffen beim „Mückenwirt“, wo sich unsere Patienten auch untereinander austauschen können.

Wieviel Patienten stehen auf der Warteliste für ein Kunstherz?

Derzeit haben wir zwei Kranke, die wir mit dem Ziel, ein Kunstherzsystem einzusetzen, untersuchen. Eine Warteliste gibt es allerdings nicht. Es treten die Kollegen von der Kardiologie an uns heran und sagen, wir haben hier jemanden, da sind wir mit unserem Latein am Ende. Wenn wir ihn übernehmen, wird ihm erst einmal das System gezeigt. Voraussetzung ist, dass der Patient sich auch tatsächlich dafür entscheidet und in der Lage ist, damit umzugehen. Denn das Leben mit einem Kunstherzen ist kein normales. Es gibt allerdings bei akuten Symptomen auch eine Notfalltransplantation. Aber die ist die große Ausnahme.

Wie ist der Stand beim Bau des geplanten Herzzentrums mit 116 Betten, in dem Herzchirurgie, Kardiologie, Pneumologie und Angiologie (Gefäßerkrankungen) untergebracht werden sollen.

Ich bin 2017 nach Magdeburg gekommen in der sicheren Annahme, dass es 2018 losgeht. Es ist aber ein politischer Verwaltungsakt, der sich quälend in die Länge zieht. Jeder erklärt mir die Gründe, warum das Verfahren so ist, wie es ist. Ich kann dann immer nur entgegenhalten: Wir sind 25 Jahren in einem Provisorium, das eigentlich nur vier Jahre überbrücken sollte. Die Menschen in Sachsen-Anhalt haben es verdient, dass sie in einem zeitgemäßen Gebäude versorgt werden. Bisher ist außer dem Schild, das dort vorne steht und dem Abriss eines Lüderitz-Baus nicht viel passiert.

Womit haben sie im Provisorium zu kämpfen?

Das Positive vorweg: Ich habe zwei gut ausgestattete Operationsräume: Die Intensivstation habe ich renovieren lassen, weil die Fußböden so schlimm waren. Auf der Normalstation sieht der Boden ähnlich aus und sollte demnächst in Angriff genommen werden. Zeitgemäß sind Zweibettzimmer. Ich habe Dreibettzimmer, Professor Braun-Dullaeus, Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie, sogar nur Vierbettzimmer. Teilweise mit Toilette auf dem Flur.

Der Sachsen-Anhalter ist ein sehr lieber, netter Mensch und sagt, das ist okay für mich, so lange ich gut behandelt werde. Ein Patient aus den alten Ländern würde das nicht so sehen.

Gibt es einen belastbaren Einzugstermin? Vielleicht 2021?

(Lacht) Einziehen? Vielleicht Baubeginn. Anlässlich der 25-Jahr-Feier wurde mir allerdings von allen Seiten versichert, dass man sich maximal stark mache für das Projekt.