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Hormonfrei verhüten Apps sollen Abhilfe schaffen

Bei der "natürlichen Familienplanung", der Verhütung mit Apps, gibt es einiges zu beachten - für jeden ist sie nicht geeignet.

Von Helena Piontek 02.03.2017, 23:01

Berlin (dpa) l Neun Jahre lang schluckte Maggie Fricke jeden Tag eine kleine Tablette, die sie vor einer ungewollten Schwangerschaft schützen sollte. Dann hatte sie die Pille „im wahrsten Sinne des Wortes satt“, wie sie sagt. Erst als Fricke wieder einen Partner hatte, machte sie sich erneut Gedanken über Verhütung. Zurück zur Pille wollte sie nicht, bei einer Kupferspirale hatte sie Angst vor Regelschmerzen. „Aus Mangel an Alternativen entschied ich mich für die natürliche Verhütung.“ In ihrem Blog wearetheladies.de berichtet sie von ihren Erfahrungen.

So wie Maggie Fricke geht es auch anderen Frauen. Eine hormonelle Verhütung – zum Beispiel per Pille, Ring, Pflaster oder Spirale – stellt immer einen Eingriff in den Hormonhaushalt des Körpers dar und kann Nebenwirkungen haben: Das Thrombose-Risiko ist erheblich erhöht, manche Frauen beklagen sexuelle Lustlosigkeit, andere berichten von Depressionen. Die eine oder andere denkt deshalb über Alternativen nach. Wer nicht dauerhaft mit Kondomen verhüten will, kann es mit der natürlichen Familienplanung – kurz NFP – versuchen. Dabei helfen mittlerweile eine Reihe von Smartphone-Apps.

Bei der NFP-Methode wird an den wenigen fruchtbaren Tagen im weiblichen Zyklus zusätzlich verhütet, an unfruchtbaren Tagen verzichtet man darauf. Wann ungefähr eine Frau fruchtbar ist, kann sie mit der sogenannten symptothermalen Methode feststellen. Dafür notiert sie zunächst, in welchem Abstand sie ihre Periode bekommt. Zusätzlich misst sie jeden Morgen um die gleiche Zeit noch im Bett liegend ihre Körpertemperatur und trägt diese in eine Kurve ein.

„Die natürliche Verhütung basiert auf der Tatsache, dass sich die Körpertemperatur mit dem Eisprung um 0,2 bis 0,5 Grad erhöht und bis kurz vor der Menstruation erhöht bleibt“, erklärt Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. Drei Tage nach dem Eisprung bis zum Einsetzen der Menstruation könnte eine Frau demnach bedenkenlos ungeschützten Geschlechtsverkehr haben. Ein zusätzlicher Anhaltspunkt ist der Zervixschleim. Das ist das Sekret, das von den Drüsen des Gebärmutterhalses ausgeschieden wird. Der Schleim sieht im Laufe des Zyklus‘ unterschiedlich aus, seine Beschaffenheit lässt ebenfalls Rückschlüsse auf die Fruchtbarkeit zu.

Früher trug die Frau all das händisch in eine Tabelle ein und berechnete die fruchtbaren Tage selbst. Heute helfen Apps, nicht den Überblick zu verlieren. Einige übernehmen auch die Auswertung. Doch wer im App-Store nach „Verhütung“ sucht, wird feststellen, dass das Angebot sehr groß und nicht gerade übersichtlich ist. Es gibt einfache Pillen-Erinnerungen, Menstruationskalender und komplexe Apps für die Familienplanung. Ines Thonke von Profamilia rät, vor dem Download genau hinzusehen: Informationen über das Programm wie Hersteller, versteckte Kosten oder Datenschutz sollten bei seriösen Apps einzusehen sein. Bei Verhütungs-Apps ist außerdem eine Übersicht der Funktionen, Angaben über die zugrundeliegende Messmethode wichtig.

Studien zur Sicherheit der Apps gibt es bislang jedoch nicht. Für Aufsehen sorgte vor kurzem die App Natural Cycles, die damit wirbt, als erste Smartphone-App vom Tüv Süd als sicheres Verhütungsmittel zertifiziert zu sein. Sie verspricht einen mit der Pille vergleichbaren Pearl-Index. Dieser Index gibt die Zuverlässigkeit von Verhütungsmethoden an. Bei der Pille liegt der Wert zwischen 0,1 und 0,9. Das heißt: Von 1000 Frauen, die ein Jahr lang mit der Pille verhüten, werden zwischen ein und neun Frauen dennoch schwanger. Bei der symptothermalen Methode liegt dieser Wert normalerweise zwischen 0,4 und 2,3 – je nachdem, wie korrekt die Frau die Methode anwendet.

Bei der Zertifizierung von Natural Cycles hat der Tüv Süd jedoch nur bestätigt, dass die App die Anforderungen der europäischen Medizinprodukterichtlinie erfüllt – über die Sicherheit der Verhütungsmethode kann er keine Aussagen treffen, erklärt Sprecher Thomas Oberst. Experten bemängeln außerdem die Studie, mit der die Hersteller werben. Einige Teilnehmerinnen, die trotz der App schwanger wurden, wurden nicht in die Statistik aufgenommen. 34 Prozent der Frauen brachen die Studie ab.

Albring sieht Probleme bei der natürlichen Familienplanung. Denn wie hoch die Körpertemperatur beim Messen morgens ist, hängt ihm zufolge von vielen Faktoren ab: Infektionen, Stress, Alkohol, wenig Schlaf oder Sport am Abend sind nur einige davon. „In all diesen Fällen kann man keine zuverlässige Aussage darüber treffen, ob die Temperaturerhöhung durch die Lebensbedingungen verursacht ist oder durch den Eisprung.“ Geeignet ist die Methode also nur für Frauen, die einen regelmäßigen Zyklus haben und mehr oder weniger zur gleichen Zeit schlafen gehen und aufstehen.

Ist das der Fall, sei die Methode aber sehr sicher, erklärt Günter Freundl von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin. Er untersucht in der Arbeitsgruppe Sektion Natürliche Fertilität natürliche Verhütungsmethoden. Belastbare Studien gebe es allerdings bisher nur zu speziellen Zykluscomputern, die deutlich teurer sind als Smartphone-Apps. Egal, wie man die Daten notiert – über eines sollte sich jede Frau im Klaren sein, die mit NFP verhüten will: An 10 bis 18 Tagen im Laufe des Zyklus‘ könnte sie schwanger werden.