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Immuntherapie Gezielte Angriffe auf Krebszellen

Ärzte am Magdeburger Gesundheitscampus erforschen neue Wege der Krebsbehandlung.

Von Uwe Seidenfaden 11.02.2018, 19:26

Magdeburg l Freund oder Feind? Gut oder böse? Nützlich oder gefährlich? Es sind solche scheinbar einfachen Fragen, die Immunzellen rund um die Uhr klären müssen, damit ein Mensch am Leben bleibt. Dabei steckt der Teufel in den Details. Am Magdeburger Gesundheitscampus Immunologie, Infektiologie und Inflammation widmen sich zahlreiche Wissenschaftler diesen Themen.

Zur Gefahrenabwehr des Körpers gehört das Auslösen von Entzündungen. „Das geschieht beispielsweise, wenn Grippeviren die Nasen- und Rachenschleimhäute befallen“, so Prof. Dr. Burkhart Schraven, Direktor des Instituts für Molekulare und Klinische Immunologie am Uniklinikum Magdeburg und Sprecher eines von der DFG geförderten Sonderforschungsbereiches. „Ganz ähnlich reagiert unser Körper auch bei einem Sonnenbrand“, ergänzt Prof. Dr. Thomas Tüting, Direktor der Magdeburger Uniklinik für Dermatologie. Die Haut ist entzündlich gerötet und juckt. Diese akuten Entzündungen klingen meist von selbst wieder ab. Fehler können jedoch zu Allergien sowie chronisch-entzündlichen Erkrankungen (z. B. Gelenkarthritis) führen. Und nicht nur das: Auch Krebserkrankungen können Folge nicht heilender Entzündungen sein.

Einige Details der außer Kontrolle geratenen Entzündungs-Reaktionen des Immunsystems und deren Rolle im Rahmen der Krebsentwicklung konnten die Forscher jüngst aufklären. Diese Erkenntnisse ermöglichen neue Ansätze in der Tumortherapie.

Statt der bisher meist eingesetzten Zytostatika, die, vergleichbar mit einer „Schrotschusswaffe“, alle sich schnell teilenden Zellen im Körper zerstören, greifen neue Immuntherapien gezielt Tumorzellen an. Die Idee zu Medikamenten, die nur auf „erkrankte Zellen“ wirken, hatte bereits vor etwa einem Jahrhundert der deutsche Arzt und Immunologe Paul Ehrlich. Visionär sprach der einstige Nobelpreisträger von „Zauberkugeln“ (englisch: Magic Bullets). Ihr medizinischer Einsatz ist aber erst seit wenigen Jahrzehnten möglich. Bedeutende medizinische Durchbrüche wurden zu Beginn des 21. Jahrhunderts an den Nationalen Krebsforschungsinstituten der USA bei Menschen mit „Schwarzem Hautkrebs“ erzielt.

Die Mediziner entnehmen den Krebspatienten etwas Blut, isolieren daraus Zellen des Immunsystems (sogenannte T-Zellen) und verändern diese derart, dass sie Krebszellen erkennen und zur Selbst-Zerstörung der Tumoren führen (Apoptose). Seit wenigen Jahren werden auf ähnliche Weise auch andere, bösartige Geschwulste (z. B. kleinzelliges Bronchialkarzinom, Nieren- und das Harnblasenkarzinom) im fortgeschrittenen Stadium therapiert.

Die Behandlungen erfolgen derzeit meist im Rahmen klinischer Studien und an Patienten, die bislang als unheilbar und austherapiert gelten. Umso beachtlicher sind die deutlich verbesserten Langzeitüberlebensraten bei einigen schwerkranken Krebskranken.

Andererseits sprechen von den behandelten Patienten, je nach Studienlage, nur zwischen 25 und 50   Prozent auf die neuen „Magic Bullets“ an. Warum, so fragen sich die Mediziner, bleiben manchmal die Erfolge bei den Krebsimmuntherapien aus? Und wie könnte man künftig schon vor Beginn der bislang sehr teuren Krebs-Immuntherapie voraussagen, bei welchen Patienten unerwünschte Nebenwirkungen den Nutzen überwiegen?

Auf Suche nach Antworten ist u.a. ein internationales Forscherteam unter Führung der Unikliniken in Magdeburg und Bonn. „In Untersuchungen an tumorkranken Mäusen stellten wir fest, dass einige Immunzellen – die sogenannten Neutrophilen - die T-Zell-Abwehr schwächen“, erläutert Prof. Dr. Thomas Tüting, Direktor der Unihautklinik und Leiter des Labors für Experimentelle Dermatologie.

Ein Grund für die unerwartete Wesensänderung dieser Immunzellen waren Botenstoffe, die durch den Angriff der T-Zellen im Krebsgewebe freigesetzt wurden. Es ist, als ob diese Botenstoffe ein zweites böses Ich im Immunsystem zum Vorschein bringen - ähnlich wie die berühmte englische Romanfigur des gutherzigen Dr. Jekyll, der sich durch einen geheimnisvollen Trank in den gewissenlosen Mörder Mr. Hyde verwandelt. Dabei könnte es sich um einen Schutzmechanismus des Körpers handeln, der Entzündungen einzudämmen hilft, vermutet Professor Tüting. In Tierversuchen konnten die Forscher den „Schutzschalter“ von Krebszellen blockieren und damit einen Weg für weiter verbesserte Krebsimmuntherapien ebnen.

Resultate anderer Forschergruppen weisen darauf hin, dass die modernen Immuntherapien auch von der Darmflora beeinflusst werden. Jene Krebspatienten, die wegen infektiöser Begleiterkrankungen Antibiotika erhalten, sprechen danach schlechter auf die neue „Krebsimpfung“ an. „Noch ist es aber zu früh, um aus diesen beiden Studien Therapieempfehlungen abzuleiten“, meint Prof. Dr. Ali Canbay, Direktor der Uniklinik für Gastroenterologie. Die Magdeburger Mediziner erforschen u. a. chronisch-entzündliche Darmerkrankungen als Krebsrisiko.

Von einer Ausrottung der Krebserkrankungen, die in den 1970er Jahren der US-Präsident Richard Nixon ankündigte, ist heute keine Rede mehr. Aussichtsreicher sind personalisierte Krebstherapien. Daran arbeitet auch eine interdisziplinäre Forschergruppe um Prof. Dr. Sebastian Sager, Leiter des Lehrstuhls für Mathematische Optimierung in Kooperation mit Prof. Dr. Thomas Fischer, Direktor der Uniklinik für Hämatologie und Onkologie.

„Molekulargenetische Untersuchungen haben die Möglichkeiten der Tumorbeurteilung enorm erweitert“, ergänzt Universitäts-Professor Dr. Dr. Johannes Haybäck, Direktor des Instituts für Pathologie. Es besteht die Hoffnung, dass viele Tumoren zu chronischen Krankheiten werden, mit denen Menschen noch viele Jahre gut leben können.