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200 Jahre Marx Wieviel Karl Marx steckt noch in Chemnitz?

37 Jahre lang trug Chemnitz den Namen Karl-Marx-Stadt. Was ist von dem einstigen Namensgeber in der Stadt übrig geblieben?

02.05.2018, 23:01

Chemnitz (dpa) l Der einstige Namensgeber hat die Stadt nie besucht. Dennoch hieß Chemnitz 37 Jahre lang Karl-Marx-Stadt. Der 70. Todestag des Philosophen war Anlass für die Umbenennung, die am 10. Mai 1953 von dem damaligen DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl mit einem Staatsakt umgesetzt wurde.

Doch der Namenswechsel hatte nicht lange Bestand. 1990 nach der Wende in der DDR entschieden sich drei Viertel der Einwohner bei einer Volksbefragung für die Rückkehr zum Namen Chemnitz. Am 5. Mai jährt sich nun der Geburtstag von Karl Marx (1818–1883) zum 200. Mal. Wie viel Marx steckt heute noch in Chemnitz?

Unübersehbar. 7,10 Meter hoch, auf einem rund sechs Meter hohen Granitsockel und etwa 40 Tonnen schwer. Die zweitgrößte Porträtbüste der Welt – nur Lenins Kopf im russischen Ulan Ude übertrifft sie um 60 Zentimeter – ist als meistfotografiertes Objekt der Star der Stadt. „Der Nischel“ oder auch „der Kopp“ wurde vom sowjetischen Bildhauer Lew Kerbel (1917–2003) geschaffen.

Am 9. November 1971 wurde das Denkmal eingeweiht. Das Monument ist heute ebenso beliebter Treffpunkt wie Kulisse für Kunst und Konzerte und auch wieder Ort für Kundgebungen.

Jürgen und Sonja Oehlschläger sind sich einig: Chemnitz und Karl-Marx-Stadt haben eine bleibende Verbindung. Die 72-Jährige findet, dass ihre Geburtsstadt ruhig den Namen des Philosophen hätte behalten können. „Es geht darum, anzuerkennen, dass Marx ein kluger Kopf und Philosoph war“, sagt sie. Ihr zehn Jahre älterer Ehemann hatte einst Bedenken, eine Stadt mit mehr als 800-jähriger Geschichte umzubenennen, wenngleich er später durch das Monument seinen Frieden damit gemacht habe. Dennoch findet er es folgerichtig, dass die Stadt wieder zurückbenannt wurde, nachdem „die Umsetzung der Marx-Theorien schiefgegangen ist“.

Geblieben aber ist neben dem Denkmal eine Reliefwand mit der Marx-Forderung „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“. Man müsse dies nur anpassen und „Proletarier“ durch „Vernünftige Menschen“ ersetzen, sagt Jürgen Oehlschläger. Dann sei es bis heute immer aktuell.

Sören Uhle ist Chemnitzer durch und durch – und überzeugter Karl-Marx-Städter. „Ich bin stolz, wenn ich mir meinen Ausweis angucke und da steht als Geburtsort Karl-Marx-Stadt drin“, sagt der 42 Jahre alte Geschäftsführer der Chemnitzer Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft (CWE). Karl-Marx-Städter zu sein, sei eine Identitätsfrage. Marx sei durch das Monument auch ein Baustein, der die Identität der Stadt ausmache. Man müsse sich auch bei der Stadtentwicklung dem Identitätsthema stellen. Es sei eine Alleinstellung von Chemnitz, dass die Stadt zweimal umbenannt worden ist.

Seit März prangt der Name Marx dort, wo man es wenig erwartet: Im Namen einer Bier-Marke. Geht es nach Nicole Schwabe, ist Marx dann auch bald im Sinne des Wortes in aller Munde – mit einem Bier namens „Marx Städter“. Die 38-Jährige ist Geschäftsführerin der Marx Chemnitzer Bier GmbH. Die Kombination aus beiden Namen der Stadt soll eine Identifikation schaffen. „Für mich ist Marx irgendwas, aber nicht Karl Marx“, sagt die frühere Chemnitzer Bierkönigin.

Beim Andenkengeschäft setzt auch die Stadt voll auf Marx: Sein Kopf ziert Kaffeetassen und Kühlschrankmagneten, in der Tourismusinformation gibt es bunte Mini-Marx-Büsten und auf Shirts und Basecaps prangt der Schriftzug „KMST“ – Abkürzung für Karl-Marx-Stadt.

Keine Straße und kein Platz tragen in Chemnitz den Namen von Karl Marx. Der ehemalige Karl-Marx-Platz hat zum Beispiel eine wechselvolle Geschichte hinter sich. 1928 aus dem Johannisfriedhof hervorgegangen, wurde daraus fünf Jahre später der Schlageterplatz und nach 1945 vorübergehend wieder der Karl-Marx-Platz. Heute ist es der Platz der Opfer des Faschismus. Die Straße, die vor dem Marx-Monument entlang führt, heißt jetzt Brückenstraße – statt wie vorher Karl-Marx-Allee. „Warum gibt es zur Ehrung zum 200. Geburtstag nicht die Umbenennung einer Straße mit unbedeutendem Namen in Karl-Marx-Straße?“, fragt Jürgen Oehlschläger.

Der Kommentar zum Thema von Gert Glowinski