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Trümper „Wir müssen einen Strich ziehen“

Der Präsident des Städte- und Gemeindebundes Lutz Trümper befürwortet eine baldige Einschränkung des Familiennachzugs für Flüchtlinge.

10.11.2015, 23:01

Volksstimme: Herr Trümper, Bundesinnenminister de Maizière will den Familiennachzug für Flüchtlinge stark einschränken. Wie bewertet das der Städte- und Gemeindebund in Sachsen-Anhalt?

Lutz Trümper: Der Bundesinnenminister hat meiner Ansicht nach einen richtigen Vorschlag gemacht. So würde das Recht wieder hergestellt. Denn: Kriegsflüchtlinge erhalten nach unseren Gesetzen in der Regel nur einen vorläufigen Schutz. Das heißt: zunächst ein Jahr Bleiberecht und kein Familiennachzug. Abhängig von der Lage kann der Aufenthalt verlängert werden. Das wurde bis November 2014 auch bei den Syrern so angewandt – dann aber hat der Bund das verändert. Seitdem erhält nahezu jeder Syrer pauschal den vollen Schutz wie ein Flüchtling nach Genfer Flüchtlingskonvention – also ähnlich wie ein Asylberechtigter: mit zunächst drei Jahren Bleiberecht und Familiennachzug.

Wahrscheinlich wollte der Bund die Verfahren beschleunigen?

Mag sein. Eine Rechtsgrundlage dafür habe ich jedoch bislang nicht gefunden. Denn für dieses umfassende Schutzrecht muss der Betroffene nachweisen, dass er persönlich aus religiösen, politischen oder anderen Gründen verfolgt wurde. Was zum Beispiel bei den Jessiden der Fall ist. Das dürfte aber bei vielen Syrern anders sein. Viele sind wegen der allgemeinen Gefahr des Bürgerkriegs und wegen der unbefriedigenden Situation in der Türkei zu uns kommen. Aber nicht wegen individueller Verfolgung.

Landräte berichten, 70 Prozent der Ankommenden sind Männer. Wäre es für die Flüchtlinge wie auch für das Zusammenleben in den Gemeinden nicht besser, wenn Familien hier wären?

Natürlich. Übrigens: Es kommen auch jetzt schon wieder vermehrt Familien an – auch ohne formelle Nachzugserlaubnis. Seitdem die Balkanländer Züge und Busse fahren lassen und die Menschen nicht mehr zu Fuß durch den Schlamm laufen müssen, haben wir wieder deutlich mehr Frauen und Kinder. In Magdeburg merken wir das seit Mitte Oktober.

Was soll der Bund nun machen: den Familiennachzug fördern oder bremsen?

Ich denke, die Syrer, die bereits hier sind, sollten ihre engsten Angehörigen nachholen können, wobei klar sein muss, dass dies noch kein Daueraufenthaltsrecht ist. Aber irgendwann in den nächsten Tagen müssen wir einen Strich ziehen. Für alle, die sich gerade entschließen, sich demnächst auf den Weg nach Deutschland zu machen, sollte klar sein: Es gibt pauschal keinen vollen Schutz mehr.

Erhoffen Sie sich eine bremsende Wirkung?

Ja. Es geht dabei auch um finanzielle Fragen. Einen millionenfachen Zuzug in so kurzer Zeit halten unsere Sozialsysteme nicht aus. Denn jeder Flüchtling mit vollem Asylschutz hat sofort Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen, also vor allem auf Geld, auf Wohnraum. Auch unser Wohnungsmarkt gibt das nicht her. Und nicht zuletzt: Wir dürfen unsere Bevölkerung nicht überfordern. Das Tempo des Zuzugs zu drosseln ist das A und O.

Sie plädieren zudem für eine Residenzpflicht – warum?

Bürgerkriegsflüchtlinge sollten verpflichtet werden, auch nach ihrer Anerkennung für einige Jahre am zugewiesenen Ort zu bleiben. Wenn das rechtlich möglich ist, sollten wir das tun. Denn die Kommunen haben ja oft für längere Zeit Wohnraum angemietet. Wenn die Gemeinden in der Altmark jetzt davon berichten, dass bald 70 Prozent der Flüchtlinge wieder gehen wollen, dann zahlen die irgendwann für ungenutzte Wohnungen.

Bei einem kurzen Bleibrecht haben Flüchtlinge womöglich kein Interesse an Integration.

Daher wäre es für die Kommunen wichtig, wenn der Bund bald ein Einwanderungsgesetz schafft, damit die Flüchtlinge nach Ablauf ihres Bleiberechts die Möglichkeit haben, sich als Wirtschaftseinwanderer hier um einen Aufenthalt in Deutschland zu bewerben. Dann hätte jeder Flüchtling Gewissheit, dass es sich lohnen kann, die Sprache zu erlernen, eine Ausbildung zu machen und eine Arbeit aufzunehmen.

Auch die Kommunen wüssten dann besser, woran sie sind. Bleiben die Leute für längere Zeit, lohnt es sich Kitas und Schulen zu bauen. Andernfalls reichen Behelfslösungen. Werden Flüchtlinge heimisch, lohnt es sich für Private auch, leer stehende Altbauten zu sanieren. Darüber wären viele Bürgermeister froh. Nach jetziger Rechtslage müssten die Flüchtlinge nach Ablauf ihres Bleiberechts erst wieder nach Hause, um sich von dort zu bewerben, was Unsinn ist. Wir wollen Leute, die hier gerne arbeiten können und wollen, behalten.

Allerdings werden auch Syrer zurück in ihre Heimat gehen müssen, um ihr Land nach dem Krieg wieder aufzubauen. Wir werden vor allem hier im Osten nicht für alle einen Arbeitsplatz haben. Deutsch zu können und Erfahrungen in deutschen Betrieben gesammelt zu haben, ist für den Wiederaufbau aber bestimmt nicht von Nachteil. Also: Integration lohnt sich auf jeden Fall.

Was kommt finanziell auf die Gemeinden zu?

Ich bin mir sicher, dass die Schuldenaufnahme drastisch steigen wird. Das gilt für Bund, Länder und auch für uns Kommunen. Bereits jetzt kommen die meisten Städte und Gemeinden Sachsen-Anhalts mit ihren Einnahmen nicht hin, die Kassenkredite steigen seit zwei Jahren deutlich an. Die Asylkosten bekommen wir zwar vom Land ausgeglichen: Aber hinzu kommen Investitionen für Kitas und Schulen sowie Kosten für Betreuer und zusätzliches Personal in Sozial- und Gesundheitsämtern. Bundesweit rechnen wir mit jährlichen Mehrkosten von 25 bis 30 Milliarden Euro. Die steigenden Ausgaben sind bislang noch nicht abgesichert. Wir müssten Kassenkredite in Größenordnungen aufnehmen, was wir aber nach derzeitiger Rechtslage überhaupt nicht genehmigt bekämen.

Sehen Sie einen Ausweg?

Wir hoffen auf einen Ausgleich vom Land. Wir werden keinesfalls wegen der Flüchtlinge Ausgaben und Programme kürzen, das wäre in der angespannten Lage politisch gefährlich. Das Land muss in den Topf für die Kommunalfinanzen wieder mehr Geld hineingeben - also die Gesamtmasse des Finanzausgleichs erhöhen. In den vergangenen Jahren hat der Finanzminister neue Berechnungsfaktoren erfunden, um uns Geld wegzunehmen und seinen Landeshaushalt zu sanieren.

2015 wurden uns fast 60 Millionen Euro gekürzt. Oft kommt das Argument, wir würden uns zu teuer verwalten. Was aber nicht stimmt. In den Ost-Kommunen liegen die Ausgaben bei 2448 Euro pro Kopf. In den West-Kommunen bei 2788 Euro. Was uns fehlt, sind Steuereinnahmen. Die liegen immer noch auf 60 Prozent des West-Niveaus.

Werden Sie als neu gewählter Präsident neue Akzente setzen?

Was mich vor allem bewegt: Es gab noch nie eine so verhärtete Front zwischen Kommunen und dem Land. Wir laufen mit unseren Vorstellungen dort gegen eine Wand. Das liegt vor allem daran, dass es in der Landesregierung keinen Kommunalminister mehr gibt. Das war früher der Innenminister. Er war auch für die Kommunalfinanzen zuständig und er hatte auch die Interessen der Kommunen im Blick. Das änderte sich 2011. Der ganze Bereich der Kommunalfinanzen kam an das Finanzressort. Der Finanzminister rechnet die Kommunalfinanzierung so hin, dass es für seine Landeskasse passt. Dieser Kardinalfehler muss behoben werden. Darauf werden wir nach der Landtagswahl 2016 drängen.

Sie sind aus der SPD ausgetreten. Manche meinen, Sie gehören ohnehin besser in die CDU.

Was manche meinen, ist mir egal. Ich gehe in keine andere Partei.