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Magdeburg Und tschüss, Herr Doktor

In seinem exklusiven Golfclub kämpft Hartmut H. noch um seinen Ruf. Doch jetzt steht fest: Der Jurist ist ein Hochstapler.

Von Hagen Eichler 20.11.2015, 00:01

Magdeburg/München l Die juristischen Staatsexamina hat er unzweifelhaft bestanden. Als Rechtsanwalt übt er einen respektierten Beruf aus. Er lebt in München, einer Stadt, von der viele träumen. Doch all das reicht Hartmut H. nicht: Er will vor anderen glänzen, sich als Elite fühlen. Teil der Inszenierung ist der Doktortitel, den der 69-Jährige führt. Nun steht eine herbe Demütigung bevor: Der Titel wird ihm demnächst entzogen - wegen erwiesener Plagiate in seiner Doktorarbeit.
„Statussymbole sind Rangsignale, sie klären Machtverhältnisse“, ist H. überzeugt. Der Satz stammt aus seiner 1994 eingereichten Dissertation an der damaligen Fakultät für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften der Uni Magdeburg.
Eine akademische Großtat ist die Arbeit nicht. H. fasst die Forschung zusammen, dann folgt ein empirischer Teil. Dafür hat er 22 Manager nach Privilegien in ihrem Unternehmen befragt: Wer hat eine Sekretärin, einen Fahrer, einen Assistenten? Wie groß sind Spesenkonto und Dienstwagen? Wer darf im Direktorencasino speisen? Auf präzise Datenerhebung verzichtet der Doktorand, er setzt auf das lockere Gespräch. Der wissenschaftliche Ertrag der 156 Seiten im DIN-A-5-Format ist karg.
Der persönliche Ertrag war umso erfreulicher: 1995 erhielt H. den akademischen Grad Dr. rer. pol. Den ersehnten Titel, der im Umgang mit anderen die Machtverhältnisse klären soll.
Vom prestigeträchtigen Kürzel auf dem Anwaltsschild und auf der Visitenkarte profitierte H. jeden Tag aufs Neue. Klienten vertrauten dem honorigen Advokaten. Privat gelingt dem gebürtigen Kieler die Aufnahme in den Rückzugsort der Münchner Oberschicht, einen exklusiven Golfklub. Neumitglieder zahlen im ersten Jahr rund 13.000 Euro, hinein kommt nur, wer zwei Bürgen gewinnen kann. Im Frühjahr 2013 steigt H. sogar in den Vorstand auf.
Funktionierende Statussymbole, schrieb H. einst, leben von zwei Voraussetzungen: Sie müssen allgemein respektiert sein – und zugleich „für alle niederrangigen Schichten unerreichbar“.
Zu jenen niederrangigen Schichten wird H. allerdings bald selbst gehören. Mit einstimmigem Beschluss hat der zuständige Fakultätsrat H. jetzt „gravierendes wissenschaftliches Fehlverhalten“ attestiert. Nach Informationen der Volksstimme hat H. im theoretischen Teil der Arbeit großzügig bei anderen abgekupfert.
Der Herr Doktor ist als Blender enttarnt.
Und das nicht zum ersten Mal. Bereits Anfang der 90er war H. als Doktor aufgetreten. Damals machte er sich nicht einmal die Mühe, eine Dissertation zusammenzukopieren, er ließ sich einfach neue Visitenkarten drucken.
1991 kassierte er einen Strafbefehl wegen Titelmissbrauchs, ließ sich davon aber nicht abschrecken. 1994 setzte es ein Urteil – zu dem Zeitpunkt arbeitete er bereits an seiner Magdeburger Doktorarbeit, also daran, seinen Betrug durch einen weiteren Betrug zu legalisieren.
Bis Weihnachten, kündigt Uni-Rektor Jens Strackeljan jetzt an, will die Universität dem Plagiator den akademischen Grad per Bescheid entziehen. Damit würde ein Verfahren enden, das die Uni bereits seit mehr als zwei Jahren beschäftigt.
Angestoßen hat es ein alter Weggefährte von H., offenkundig aus Rache. „Das ist ein klassischer Hochstapler, der alle Leute betrügt“, sagt der Mann, der anonym bleiben will. Er hat den professionellen Plagiate-Jäger Martin Heidingsfelder auf die Spur geschickt – der Nürnberger gehörte zu jenen, die einst Karl-Theodor zu Guttenberg als Täuscher entlarvt haben.
Bereits nach wenigen Minuten fand Heidingsfelder vier Stellen, an denen H. fremde Gedanken als eigene ausgab. Er schickte der Uni eine Anzeige. Die dortige Kommission für wissenschaftliches Fehlverhalten prüfte ebenfalls und fand „erhebliche Plagiate“.
Warum fiel der Blender nicht schon 1995 auf? „Damals gab es noch keine Software, die Plagiate erkennen kann“, sagt Uni-Rektor Strackeljan. Das sei aber keine Entschuldigung, betont er: „Auch damals muss es ein Verfahren zur Qualitätssicherung gegeben haben.“
Neben der Betreuerin der Arbeit, einer längst emeritierten Professorin, waren zwei weitere Gutachter eingeschaltet. Jeder von ihnen hätte Zweifel offen ansprechen müssen. „Das muss möglich sein, ohne dass man als Nestbeschmutzer gilt“, betont Strackeljan. Warum niemand Bedenken äußerte, will die Uni durch Befragung der Beteiligten herausfinden.
Im Golfclub der Münchner Society wird man die Magdeburger Entscheidung mit Interesse registrieren. Bewunderer hat H. dort viele, Feinde aber auch. Als ein altgedientes Clubmitglied herumerzählte, dass die Münchner Justiz ihre Erfahrungen mit H.s Doktorwürden hat, strengte der Bloßgestellte gegen seinen Kontrahenten zwei Ausschlussverfahren an – erfolglos. 70.000 Euro soll das Schiedsgerichtsverfahren gekostet haben. Dafür wurde eigens ein Richter vom Oberlandesgericht engagiert.
Promovierte, diese Statistik hat H. in seiner Arbeit selbst zitiert, steigen fünfmal so häufig in Top-Positionen auf wie lediglich Diplomierte.
Heute lässt sich ergänzen: Kommt der Titel plötzlich abhanden, ist dafür aber auch der Abstieg ganz besonders schmerzhaft.