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Wahl 2016 Der doppelte Poggenburg

Die Alternative für Deutschland ist vor der Landtagswahl die große Unbekannte. Was wollen ihre Anhänger, wer führt die junge Partei?

Von Hagen Eichler 09.01.2016, 00:01

Magdeburg l Die Redner auf der Bühne vor dem Dom haben gemahnt, gehöhnt, geschimpft. Sie haben ein Deutschland gezeichnet, das kurz vor dem Untergang steht und es einfach nicht erkennen will. Jetzt, zum feierlichen Abschluss, soll die Nationalhymne erklingen. „Wie es bei uns schon Tradition ist“, ruft stolz André Poggenburg, der AfD-Landes- vorsitzende. Die Lautsprecher schicken Haydns Melodie hinaus in die kalte Luft – doch keiner der AfD-Spitzenpolitiker erwischt den Einsatz zum Mitsingen. Verwirrung auf der Bühne. Schweigen im Publikum. Das Orchester arbeitet sich Takt für Takt vorwärts, doch niemand traut sich, einzustimmen. Peinliches Schweigen, bis der letzte Ton verhallt.

Die AfD scheitert am Deutschlandlied – ausgerechnet. Jene Partei, die wie keine andere vom bedrohten Deutschtum redet, von deutschen Werten, vom deutschen Wesen. Ohne Gesang zerstreuen sich die 750 AfD-Anhänger in die Nacht, wenige Tage vor Weihnachten 2015.

Was hat die AfD mit Deutschland vor? Ist hier eine junge, unerfahrene Kraft am Werk, ein wenig tapsig im Umgang mit deutschen Symbolen, deutschen Begriffen, der deutschen Vergangenheit? Diese Fragen stellen sich derzeit, knapp zwei Monate vor der Landtagswahl, viele Menschen. Es geht darum, ob die AfD eine wählbare Alternative sein könnte, eine Antwort auf die Einwanderungswelle, die viele Menschen verschreckt.

André Poggenburg, der jungenhaft und freundlich wirkende Landesvorsitzende, sieht beim Besuch in der Volksstimme-Redaktion seine Partei im Aufwind. Die sexuellen Übergriffe von Köln treiben ihm neue Wähler zu. Solche Vorfälle, sagt er ernst, seien bei unkontrollierter Einwanderung „zwangsläufig“, und zwar überall im Land.

Sie prophezeien den Menschen auch in Naumburg und Oschersleben marodierende Banden in ihren Straßen?

André Poggenburg: In kleinerem Maßstab ist das jetzt schon alltäglich. Eine Kassiererin aus meinem Bekanntenkreis hat Angst, Leute mit scheinbarem Migrationshintergrund anzusprechen, wenn die im Geschäft etwas einstecken.

Ist ihr denn etwas passiert?

Gott sei Dank noch nicht. Aber sie traut sich nicht mehr. Das ist etwas anderes als bei einem einheimischen Bürger. Da wird leider ein gewisser Fremdenbonus gewährt.

Das werfen Sie auch der Polizei vor?

Einem großen Teil der Gesellschaft. Wir haben Polizisten in unseren Reihen, die bekommen auf dem Revier den freundlichen Hinweis, da etwas vorsichtiger vorzugehen, weil sich das in der öffentlichen Berichterstattung nicht so gut macht.

Polizisten in Sachsen-Anhalt werden angewiesen, bei Ausländern nachsichtig zu sein?

Vorsichtig zu agieren.

Von wem angewiesen?

Von ihren Vorgesetzten.

Das können Sie belegen?

Nein. Das ist das, was Polizisten uns an Informationen mitbringen.

Drei Monate erst ist es her, da verbuchte die Landespartei ihren bislang größten Triumph. 2000 Anhänger versammeln sich Mitte Oktober auf dem Domplatz, mit Gittern und Hundertschaften Polizei getrennt von 2000 Gegendemonstranten. „Wir sind das Volk“, rufen die AfD-Unterstützer, als sie langsam Richtung Alter Markt ziehen.

Viele wirken erstaunt über sich selbst. Ergriffen vom Gefühl, gemeinsam etwas zu bewegen, statt allein zu Hause zu schimpfen. Für die meisten ist es die erste Demonstration seit Jahrzehnten. „Deutschland - kein Einwanderungsland“, steht auf einem Schild. Das ist das Thema, das alle vereint: Sie wollen keine Flüchtlinge. Auf der Bühne heizt Poggenburg ihre Ängste noch kräftig an. „Deutschland ist im Begriff, sich selber aufzulösen, Deutschland verliert seine nationale Identität!“, warnt er und schimpfte über Zuwanderer, die „unser hart erarbeitetes Sozialsystem plündern“.

Auf zehn Prozent der Stimmen hoffte Poggenburg vor einem Jahr. Mittlerweile hält er 20 Prozent für realistisch. Das wäre fast so viel, wie die Volkspartei SPD bei der Wahl 2011 eingefahren hat.

Wollen Sie auch regieren?

Poggenburg: Nicht mit der CDU unter Haseloff. Was Innenminister Holger Stahlknecht über die AfD sagt, klingt schon ganz anders. Es gibt konservative Kräfte in der CDU. Die können sich aber nicht durchsetzen.

Anderthalb Jahre erst führt Poggenburg die Landes-AfD, er tut das mit einem ausgeprägten Gespür für Taktik. Hinzu kommt der unbedingte Wille, sich durchzusetzen. Erstmals zeigt sich das im Dezember 2014. Im notdürftig geheizten Saal eines Gasthauses in Biere (Salzlandkreis) versammeln sich 91 AfD-Mitglieder zum Parteitag. Die Basis ist die ewigen Streitereien unter dem früheren Landesvorsitzenden Arndt Klapproth leid und will Ruhe – egal wie. Poggenburg spürt die Stimmung.

Als Klapproth erscheint, wird ihm die Stimmkarte verweigert. Der Abservierte fragt nach Gründen – und Poggenburg greift an. Klapproth betreibe eine anonyme Verleumdungskampagne gegen die AfD-Spitze, deshalb habe ihm der Landesvorstand die Mitgliedsrechte aberkannt. „Mindestens zwei Strafverfahren laufen gegen Sie, Sie sind heute nur Gast“, bescheidet Poggenburg seinen Kontrahenten. Der räumt das Feld.

Dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Klapproth wegen übler Nachrede und Verleumdung ein Vierteljahr später einstellt, wird da keinen mehr interessieren.

Ausländerfeindliche Töne vermeidet Poggenburg an jenem Tag. Die AfD sei eine „bürgernahe, freiheitlich-demokratische, konservative Partei“, betont er. Die wenigen Mitglieder, die Poggenburg wegen selbstherrlichen Verhaltens attackieren, werden niedergestimmt. Die AfD genießt das Gefühl, die ewigen Grabenkämpfe unter Poggenburg endlich hinter sich zu lassen.

Sobald dieser unangefochten im Sattel sitzt, verschiebt er die Koordinaten. Im Februar 2015 kämpft er für die Aufnahme des rechten Verlegers Götz Kubitschek. Der damalige Bundeschef Bernd Lucke will den Mann nicht in seiner Partei haben. Poggenburg wagt die Kraftprobe. „Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen“, kündigt er an.

Im März unterschreibt Poggenburg gemeinsam mit Björn Höcke, dem AfD-Vorsitzenden von Thüringen, die Erfurter Resolution. Das Papier versammelt den deutschnationalen Flügel, der im August die Macht übernimmt und Lucke aus der AfD drängt. Der Parteitag von Essen spült Poggenburg sogar in den Bundesvorstand.

Widerstand gegen den neuen Kurs wird überrannt. Der Kreisverband Harz stellt sich gegen den Rechtsruck in der Partei und fordert die Amtsenthebung von Poggenburg. Doch die Harzer unterliegen, ihr Vorsitzender tritt im September aus. Auch der Kreischef von Halle wirft aus Protest hin.

Und Poggenburg? Der testet offenbar gezielt, was noch geht. Im Weihnachtsgruß der AfD bringt er das Wort „Volksgemeinschaft“ unter – mit dem Begriff hatten die Nazis alle ausgegrenzt, die sie nicht deutsch genug fanden. Bedenken wegen der finsteren Geschichte des Wortes hält Poggenburg für Gängelei. Eine „Gesinnungspolizei“ versuche, über die Sprache auch die Meinung der Menschen zu kontrollieren, sagt er – da mache die AfD nicht mit. Unbekümmert zieht er auch gegen das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin vom Leder. Nicht gegen das Erinnern an sich, wie er betont, sondern gegen die „unschöne Ästhetik“.

Kann so ein Denkmal schön sein?

Poggenburg: Ansprechend im Erinnerungswert. In der DDR gab es Denkmäler, die einen ganz anders gepackt haben und daran erinnern, um was es eigentlich geht. Diese Klötzer werden von vielen Berlinern einfach nur als störend empfunden. Man muss auch erst mal erklären, worum es da geht. Das finde ich ästhetisch völlig daneben und der Sache auch nicht zuträglich.

Sollte es beseitigt werden?

Geändert werden.

Wie?

Ich finde, es ist so nicht schön. Der Sinn, der dahinter steht, ist völlig in Ordnung. Wir werden auch anders als die NPD nie darüber diskutieren, ob 6 Millionen oder eine Million umgebracht wurden. Das werden Sie bei uns nie finden. Auch wenn es nur 500.000 wären, ist die Sache einfach abzulehnen. Die Frage ist, wie geht man damit um heute. Ich persönlich bin der Meinung, es ist ein sehr unschönes Denkmal. Man könnte etwas anderes hinstellen, auf weniger Platz, mit viel mehr Atmosphäre.

Auch solche verbalen Grenzgänge sind es, die Sachsen-Anhalts AfD Beifall von rechtsaußen bringen. Regelmäßig hinterlassen Facebook-Nutzer auf der Seite der Partei antisemitische, rassistische, gewaltverherrlichende Sätze. „Wir versuchen, so etwas zu löschen“, beteuert Poggenburg. Manche Einträge, räumt er ein, blieben viel zu lange stehen.„Wir sind aber der Meinung, dass wir die Grenze zu rechtsaußen deutlich genug ziehen.“