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Ehemalige Grenzdörfer Zicherie und Böckwitz wollen weiter zusammenwachsen 22 Jahre nach dem Mauerfall ist die Trennung noch nicht überwunden

Von Johann Tischewski 02.08.2011, 04:29

Zicherie/Böckwitz (dapd). Landwirt Ulrich Lange öffnet die Lüftung zu seinem Kartoffellager. Eine in das Gebläse eingebaute Streckmetall-Platte kommt zum Vorschein. "Verzinkt, rostet nicht - sollte für die Ewigkeit halten", sagt Lange. Die Platte sei das letzte noch verbleibende Stück des Grenzwalls, der die beiden Dörfer Zicherie und Böckwitz zwischen 1961 und 1989 voneinander trennt. "Aber in den Köpfen vieler Leute ist die Mauer noch immer da", sagt er.

Vor der deutsch-deutschen Teilung seien Zicherie und Böckwitz praktisch ein Dorf gewesen, sagt Lange. Es gab eine gemeinsame Schule, einen Schuster, einen Bäckerladen. Die Grenzanlage wurde 1961 genau durch das gemeinsame Zentrum der Dörfer gezogen. Dort, wo sie errichtet wurde, stand ein Gasthaus - der Wirtsraum im Osten und die Toiletten im Westen.

Das im Westen gelegene Zicherie war während der deutschen Trennung ein beliebtes Ziel für Grenztourismus. Ganze Schulklassen und Bundeswehreinheiten wurden in das 300-Seelen-Dorf gekarrt, um sich die Mauer anzugucken, wie Lange berichtet. Das 150 Einwohner große Böckwitz konnte von DDR-Bürgern dagegen nur mit Sondergenehmigung besucht werden.

Aus Staatsgrenze wird Landesgrenze

Heute erinnert fast nichts mehr an die Grenze. Lange deutet auf eine Baumreihe hin, die nur wenige Meter hinter der Brandmauer seines Hofs verläuft. Dort, wo früher das Gasthaus stand und später dann ein Wachturm, Patrouillenwege und Selbstschussanlagen errichtet wurden, finden sich 22 Jahre nach der Wende nur noch ein alter Grenzpfahl und ein standardisiertes Hinweisschild.

Die Grenzanlagen mit Zaun und Mauer sind gewichen, dennoch sind es zwei Dörfer geblieben. Zicherie gehört zum niedersächsischen Landkreis Gifhorn, Böckwitz zum Altmarkkreis Salzwedel in Sachsen-Anhalt. "Das ist keine reine Formalie", sagt Willi Schütte, der auf seinem Hof in Böckwitz eine Ausstellung zur Grenzgeschichte betreibt. "Die Kinder gehen auf verschiedene Schulen, es sind verschiedene Feuerwehren zuständig und Schützenfeste müssen immer doppelt angemeldet werden, in jeder Gemeinde einmal." Es gebe deshalb kaum Gelegenheiten, zu denen sich die Bewohner der beiden Orte begegneten. Vor allem die Älteren täten sich schwer.

Schütte wurde in Böckwitz geboren. Als der Hof seiner Familie enteignet wurde, flüchtete er mit seinen Eltern in den Westen. Den Hof habe er von der Grenze aus sehen können. "Ich bin oft hergekommen, um einen Blick rüberzuwerfen", erinnert er sich. Eine Woche nachdem die Mauer fiel - am Sonnabend, dem 18. November 1989, - habe er nach 36 Jahren dann wieder in seiner alten Scheune gestanden. "Es hat allerdings noch bis 1991 gebraucht, bis ich den Hof zurückbekam", sagt er.

Die Grenzanlage sei da schon fast verschwunden gewesen. Ein Investor aus Texas sei gekommen, habe einen Großteil der Anlage aufgekauft und nach Amerika verschifft. Nur der Grenzturm stand noch eine Weile. "Ich hätte den Turm gerne als Mahnmal erhalten, aber meine Nachbarn, die jahrelang hier eingesperrt waren, wollten ihn nur noch weghaben", sagt Schütte.

Um die Erinnerung an die Trennung der beiden Dörfer dennoch aufrechtzuerhalten, habe er auf private Initiative das Museum mit der Grenzausstellung auf seinem Hof gegründet. Je jünger die Leute seien, desto weniger befassten sie sich mit der besonderen Geschichte der beiden Orte, sagt er und fügt nach einem Moment hinzu: "Aber vielleicht ist das ja ein Zeichen, dass die Grenze auch aus den Köpfen der Leute langsam schwindet - und die Dörfer endlich wieder zusammenwachsen können."