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30-jähriger KriegSoldaten mit Syphilis in den Dörfern

Wie lebten die Sachsen-Anhalter früher? Wir schauen auf den Dreißigjährigen Krieg. Er begann 1618 und endete 1648.

Von Elisa Sowieja 04.08.2017, 08:45

Lützen l Eigentlich kannte man Skorbut ja von Matrosen, die sich auf ihren monatelangen Seereisen von Pökelfleisch und Zwieback ernährten und an ihrem Vitaminmangel schließlich zugrundegingen. Doch im Dreißigjährigen Krieg griff die Krankheit auch unter den Soldaten um sich. Kein Wunder: Frisches Obst und Gemüse bekamen sie nur selten zwischen die Zähne. Insgesamt war es um ihre Verpflegung sehr wechselhaft bestellt. Konkret kann man sich das etwa so vorstellen, wie Peter Hagendorf, ein damaliger Söldner, es in seinem Tagebuch schildert: „Am Karfreitag haben wir Brot und Fleisch genug gehabt, und am heiligen Ostertag haben wir kein Mund voll Brot haben können.“

Auf üppige Tage folgten oft Wochen des Hungers. Was die Mangelernährung mit den Körpern der Soldaten anrichtete, erzählen archäologische Funde in Sachsen-Anhalt: Aus einem Massengrab in Lützen (Burgenlandkreis) haben Wissenschaftler des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Überreste von 47 Menschen untersucht. Es handelt sich um Männer, die 1632, in einer der Hauptschlachten, im protestantischen Heer unter schwedischer Führung gegen die (katholischen) kaiserlichen Truppen kämpften. Die Skelette zeigen Zahnverluste und Knochenneubildungen an Schädel und Kiefer, ausgelöst durch Blutungen.

Wenn die Soldaten mal genug zu essen hatten, ging das oft auf Kosten der Bevölkerung. Denn die Feldherren gaben manchmal ihre Erlaubnis zur Plünderung, wie zum Beispiel 1631, als Tilly, Heerführer der kaiserlichen Armee, in Magdeburg einmarschierte und die Stadt völlig zerstörte. Zudem gab es sogenannte Kontributionen: Wenn eine Truppe durch einen Ort zog, musste dieser Verpflegung für die Soldaten beschaffen. Der sächsische General von Eckstädt forderte in Weißenfels sogar mal auf einen Schlag 20.000 Brote. Für die Bevölkerung blieb kaum etwas zu essen übrig.

„Was Hungersnöte betrifft, begannen in den 30er Jahren die harten Jahre“, erklärt Maik Reichel. Der Historiker ist Experte für den Dreißigjährigen Krieg und begleitete die Untersuchungen des Massengrabs. Ein Grund für die Zuspitzung der Situation lag darin, dass immer häufiger Truppen durchs Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts zogen.

Ein anderer war, dass Schlachten wie die bei Lützen und die Plünderung Magdeburgs massenhaft Tod und Zerstörung über die Region gebracht hatten. Die Folgen: Getreidefelder waren nicht mehr zu bewirtschaften, Bauern gaben aus Geldnot ihre Landwirtschaft auf, um als Söldner zu arbeiten. Bei der Essensbeschaffung erging es den Menschen auf den Dörfern zumindest in den Anfangsjahren noch etwas besser als den Städtern, sagt Reichel: „Sie hatten mehr Möglichkeiten. Bei vielen stand zum Beispiel noch Vieh im Stall: Schweine, Kühe, Ziegen, Hühner.“

Somit waren sie mit Fleisch, Milch und Eiern versorgt. Und Getreide zum Brotbacken wuchs auf den Feldern vor ihrer Tür. Die Städter hingegen konnten nur das kaufen, was es auf dem Markt und beim Händler gab. Oder sie mussten ins nächste Dorf laufen, ein Fußmarsch von zehn Kilometern war da keine Seltenheit.

In der Stadt zu leben, hatte damals aber auch einen großen Nachteil: die miserable Hygiene. In den engen Gassen verbreiteten sich Seuchen besonders schnell – vor allem dann, wenn sie nicht gepflastert waren. Damals war es normal, seinen Müll aus dem Fenster zu kippen; hinzukamen Fäkalien der Tiere, die sich viele in den Hinterhöfen hielten. Das Entsorgungssystem war simpel: Man hoffte ganz einfach, dass der Regen alles wegspült. Auf dem Land hingegen waren die Straßen breiter und es wurde Tierkot als Dünger auf die Felder gebracht.

Die Seuchen hatten eine verheerende Wirkung. Der Großteil der Todesopfer zwischen 1618 und 1648 geht nicht etwa auf den Krieg selbst zurück, sondern auf Krankheiten wie Pest oder Cholera. Insgesamt, schätzt man, starb im Dreißigjährigen Krieg auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts rund ein Drittel der Bevölkerung.

Ein Teil der Bevölkerung lebte damals weder in der Stadt noch auf dem Land: Diese Menschen zogen mit den Soldaten. „Der Tross, der sie begleitete, war wie eine kleine Stadt, die alle Gewerke anbot“, erklärt Maik Reichel. Büchsenmacher reparierten Gewehre, Tischler bauten Hocker – alles gegen Bezahlung oder im Tausch, versteht sich. Ein Teil des Trosses bestand auch aus den Familien der Soldaten. Die Frauen kümmerten sich dann um ihre Männer.

Wohl oder übel gehörte dazu auch die medizinische Versorgung. Denn unter solch einer riesigen Gruppe von Soldaten und Begleitern – im Schnitt kamen da mal schnell 4000 Leute zusammen – befanden sich zwar auch ein paar Feldschere, quasi bessere Krankenpfleger. Doch erstens nahmen die sich fast nur Zeit für die Oberen. Und zweitens musste man für ihre Dientste bezahlen, und das konnten sich die einfachen Soldaten in der Regel nicht leisten.

Also mussten Frauen und Kameraden ran, wenn es einen Bruch zu schienen galt. Sogar Amputionen nahmen manchmal Laien vor. Der Soldat bekam einen Schnaps zur Beruhigung, ein Stöckchen in den Mund, zum Draufbeißen, dann wurde die Amputationssäge angesetzt. Schon wegen Blutvergiftungen überlebten die Verwundeten solche Operationen oft nicht.

Auch wenn viele Soldaten im Krieg ihre Frauen dabei hatten, war eine Geschlechtskrankheit weit verbreitet: Im Lützener Massengrab konnten die Archäologen an einigen Skeletten Syphilis nachweisen, zu erkennen am Unterschenkelknochen. Der eine oder andere Söldner könnte sich die Infektion bei einer Marketenderin eingefangen haben. Diese Damen ließen sich zwar in erster Linie für unverfängliche Dienste wie das Kochen bezahlen, viele boten sich aber auch als Prostituierte an.

Amüsement mit Frauen – sei es die eigene oder eine fremde – half den Soldaten, sich von den grausamen Kriegsbildern abzulenken. Genauso wie Alkohol. In Lützen fanden Wissenschaftler kleine Zapfhähne, die vermutlich zu Schnapsfässern gehörten. „In den Kriegen ging es Mann gegen Mann, und nicht jeder ist zum Töten geboren“, erklärt Maik Reichel. „Viele versuchten, mit Alkohol ihre Erlebnisse zu verarbeiten.“

Ihre Kämpfe trugen die Soldaten vor allem mit Musketen aus. Die Munition, Bleikugeln, formten sie mit Hilfe von Zangen oft selbst. Wenn ihnen das Blei ausging, griffen sie oft auf eine ungewöhnliche Quelle zurück: Fensterrahmen. Davon erzählt ein altes Volkslied: „Die Schweden sind gekommen, haben alles mitgenommen. Haben’s Fenster eingeschlagen, haben’s Blei davongetragen. Haben Kugeln daraus gegossen und die Bauern erschossen.“

Die Kugeln wurden in Säckchen verstaut, die man an den Gürtel band. Dieser war für Soldaten im Dreißigjährigen Krieg übrigens ein wichtiges Utensil, deshalb fand man in Lützen auch jede Menge Gürtelschnallen. Denn an Gürteln verstauten sie alles, was sie in der Schlacht brauchten: Munition, Trinkflasche und ein Messer, falls das Nachladen zu lange dauert. Die Oberen banden sich auch Schmuckstücke daran, Funde zeigen zum Beispiel verschnörkelte Broschen. Manch einer befestigte an seinem Gürtel sogar ein Stück Hoffnung: eine kleine Bibel.

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