4000 Kilometer durch die USA (Teil 1) Ängstliche Blicke vom Glasbalkon über Chicago
Chicago, den Michigansee entlang, über den Badeort South Haven bis zu den Dünen "Schlafender Bär" im Lakeshore-Nationalpark (Indiana), mit dem Schnellboot einen Tagesausflug nach Mackinac Island (Michigan) im Lake Huron. Dann Buffalo (New York), weiter zu den Niagarafällen (USA/Kanada), nach Boston (Massachusetts), zum Urlauberparadies Cape Cod bis zur Endstation New-York-City. Knapp vier Wochen und mehr als 4000 Kilometer mit dem Mietwagen im Norden der USA unterwegs. Heute: Chicago
Lautes Gejohle 412 Meter über dem Meeresspiegel. Oberschüler aus Illinois haben beim Klassenausflug das "Skydeck-Observatorium" auf dem "Willis Tower" (ehemals Sears-Tower) gestürmt, das mit 442 Metern bis vor einigen Jahren höchste Gebäude der Welt. Doch haben sie – anders, als Michael Müller aus Magdeburg – keinen Blick für die grandiose Sicht auf die Wolkenkratzer der City und den Michigansee. Vielmehr zieht sie magnetisch die sogenannte Kante an. Ein kleiner verglaster "Balkon" mit durchsichtigem Boden.
Man glaubt in der Luft zu stehen und jeden Moment nach unten zu stürzen, wenn man diesen Bereich betreten hat. Allerdings ist diese Attraktion nichts für Menschen mit Höhenangst. Und es kommt immer wieder mal vor, dass Besucher, die ihr Stehvermögen überschätzt haben, auf allen Vieren zurück auf "festen Boden" kriechen.
Die Jugendlichen fotografieren wie wild. Jeder will seinen Mut auf einem Foto festhalten. Michael Müller aus Magdeburg hingegen ist beeindruckt von der Sicht, die er still genießt. "Ich war schon einmal hier oben", sagt der Banker, "aber es ist immer wieder ein Erlebnis."
Auf der Suche nach der legendären "Route 66"
<6>Will man "Windy City" (windige Stadt), wie der drittgrößte Ort der USA (9,5 Millionen Einwohner) liebevoll genannt wird, jedoch genauer kennenlernen, ist eine Bootsfahrt auf dem Chicago-River ein Muss. Die Ausflugsdampfer gehen von "The Loop" – dem Innenstadtbereich – ab und bei einer zweistündigen "Architekturtour" werden die wichtigsten Hochhäuser (Skycraper) links und rechts des Flusses vorgestellt. Leider zumeist nur in Englisch, was eine gewisse Sprachkenntnis voraussetzt.
Vorbei geht es an architektonischen Meisterleistungen von Frank Lloyd Wright, Mies van der Rohe und anderen Architekten von Weltruhm.
Die Umgestaltung Chicagos in den 1970er und 80er Jahren hatte allerdings zur Folge, dass die meisten Stätten des wohl berühmt-berüchtigsten Bürgers der Stadt – Al Capone (1899-1947), dem Prototyp des Mafiosis amerikanischer Prägung – verschwunden sind. Stahl, Marmor und Glas sind auch das Markenzeichen dieser amerikanischen Stadt geworden. Allerdings hat sie eine Menge ihres Charmes in die neue Zeit herüberretten können.
Seit einigen Jahren gibt es den sogenannten Riverwalk, einen Fußweg direkt am Fluss entlang. Dort kann man in gemütlichen Cafés einkehren, Schiffsfahrten buchen, ins Wassertaxi steigen, Fahrräder ausleihen und Kunstgegenstände von einheimischen Handwerkern kaufen. Der Weg verläuft entlang des südlichen Ufers vom Lake-Shore-Drive bis zur Franklin-Street.
Neubauten am Flussufer haben seit einigen Jahren die Auflage, eine Trasse für den Riverwalk freizuhalten.
Doch wer sich mehr für die Zeit interessiert, in der Chicago als "gesetzlose Stadt" galt, kann eine sogenannte Gangster-Tour buchen, die einen in die Tage von "Scarface"-Capone und John Dillinger eintauchen lassen. Dazu gehören der Mount Carmel Friedhof, etwas außerhalb von Chicago in West-Hillside am Expressway I-290 gelegen, auf dem Al Capone beigesetzt wurde, ebenso wie das Kino an der Lincoln Avenue in der Chicagoer North-Side, wo 1934 FBI-Agenten den Gangster John Dillinger erschossen haben.
Und noch eine versteckte Attraktion bietet "Windy City". Die Suche beginnt. Hier muss es irgendwo sein. Der Stadtführer hat es doch bei seinem Vortrag zwischen den grünspangrünen Löwen vor dem Kunstmuseum ebenfalls erwähnt. Wo ist sie denn nun, die legendäre "Route 66" zwischen Los Angeles (Kalifornien) und Chicago, die einst 3939,67 Kilometer lang war, heute jedoch nur noch aus Teilstrecken besteht und in Chicago endet?
"Die muss hier irgendwo sein", lautet wie aus einem Munde die Anwort des Zeitungsjungen, der Bootsticketverkäuferin und des ehrenamtlichen Verkehrsreglers. Dann der richtige Tipp. Der Mann mit der Kehrschaufel, der Hotdog-Teller und Burger-Tüten von der Straße fegt, zeigt nach hinten und sagt: "Jackson". Und da ist sie wirklich, unweit des "Grant-Parks" in einer Einbahnstraße hängt in drei Metern Höhe (wegen der Souvenirsammler) das braune Logo "Route 66" mit dem Zusatz "End" – vielbesuchter Ort und begehrtes Fotomotiv.
Chicago ist eine echte Kunststadt. Wer alle Museen besuchen will und im "Grant-Park" zudem noch Konzerte hervorragender Orchester aus dem In- und Ausland hören will, muss sich mehrere Tage Zeit lassen.
Am Schauplatz von "Nachts im Museum"
Staunend steht man zum Beispiel im Kunst-Museum Gemälden, Skulpturen und anderen Kunstwerken berühmter Künstler mehrerer Epochen gegenüber. So spürt man beinahe den Atem Vincent van Goghs, wenn man sich sein Selbstbildnis ansieht. Beeindruckend ist auch die Ausstellung europäischer Impressionisten wie Renoire und Monet. Übertroffen wird der Museumsfundus lediglich von dem des Metropolitan Museums in New York. Vier Stunden sollte man mindestens einplanen.
Am Ende des Großen Parks befindet sich das Naturkundemuseum (Field Museum of Natural History). Und sofort fällt in der großen Eingangshalle hinter dem Säulenportal das Skelett eines Dinosauriers auf.
Da war doch was?
Natürlich: Der Knochen nachjagende und apportierende "Rexi" aus dem Spielfilm "Nachts im Museum". Sowohl die Gebeine des Tyrannosaurus, als auch Teile des Museums wurden für den Streifen mit Ben Stiller (2006, Teil 2 im Jahr 2009) übernommen.
Eines der meist fotografierten Motive der Stadt dürfte sich seit einigen Jahren im Millenium-Park am Michigansee befinden. In einer überdimensionalen "Bowlingkugel", auch "Silver Bean" (Silberbohne) genannt, spiegelt sich die Skyline Chicagos. "Cloud Gate" (Wolken-Tor) wie es der britische Künstler Anish Kapoor getauft hat, ist seine erste öffentliche Arbeit im Freien. Die 110 Tonnen schwere elliptische Skulptur ist von einer nahtlosen Reihe hochglanzpolierter Edelstahl-Platten überzogen, auf denen sich die Hochhäuser von "The Loop" widerspiegeln.
(Nächsten Sonnabend Teil2: Von Chicago nach Mackinac Island).
Mehr Chicago-Fotos unter:
www.volksstimme.de/ sachsenanhalt