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Arena Oschersleben Rennfahrer für einen Tag

In Oschersleben gehen Hobbyfahrer auf eine echte Rennstrecke und dürfen dort unter Aufsicht richtig Gas geben.

Von Matthias Fricke 27.09.2017, 01:01

Oschersleben l Hannes Kohnert lässt seine „Aprilia RSV4“ vor sich hin röhren, während er sich auf die 210 Kilogramm schwere Maschine schwingt. Der 26-Jährige ist das erste Mal auf der professionellen Rennstrecke der Motorsport-Arena in Oschersleben. Bisher drehte er mit kleineren Maschinen nur auf dem Harzring seine Runden. „Das ist heute mit der Großen für mich eine Premiere“, sagt er. 184 PS brummen unter seinem Hintern. Dann klappt er das Visier herunter und gibt Gas.

Der junge Mann gehört zu 60 Teilnehmern an diesem Tag, die in drei Gruppen ihre Runden drehen dürfen. Im Schnitt benötigen sie für die rund 3,6 Kilometer etwa zwei Minuten. Nach 20 Minuten schwenken die Streckenposten ihre schwarz-weiß karierten Fahnen. Dann sind die nächsten an der Reihe. Die Einweisung für die „Racing Academy“ übernimmt Karsten Bartschat aus Lüchow. Der 54-Jährige ist seit 30 Jahren im Motorradrennsport und kennt die Strecke wie seine Westentasche. „Es geht hier nicht um Rundenzeiten, sondern um Fahrtraining“, sagt Bartschat. Auch wenn der eine oder andere für sich selbst gerne die Zeit stoppt.

Vom Fahrlehrer bis zum Zimmermann nutzen alle das Training. Sie kommen nicht nur aus ganz Deutschland, sondern auch aus vielen europäischen Ländern. Die Strecke wird vom Einsteiger bis zum Profirennfahrer genutzt, der etwa seine neuen Reifen austesten will. Der Tag kostet den Biker etwa 200 Euro.

Auf einem der Bildschirme von Peter Schuhmacher in der Rennleitung ist ein Sturz zu sehen. Die Monitore in der Zentrale zeigen Bilder von 17 um 360 Grad schwenkbaren Kameras an der Strecke. Zwei weitere überwachen außerdem die Boxengasse.

Die Maschine bleibt im Kiesbett liegen. Dem Fahrer ist offensichtlich nichts passiert, er gestikuliert nur verärgert. Dann zeigen die Sportwarte schon eine gelbe Flagge. Den Fahrern wird damit signalisiert, dass sich ein Hindernis neben der Strecke befindet. Zwei gelbe Flaggen würden hingegen bedeuten, dass die Gefahr sich auf der Fahrbahn befindet.

Die rote zeigt den Bikern an: Geschwindigkeit drastisch reduzieren, Überholverbot und Abbruch des Rennens.

Das Hilfsfahrzeug ist schon nach einer Minute an der Sturzstelle und nimmt das Motorrad und den Fahrer auf – es geht in die Boxengasse.

Dann ist die grüne Flagge wieder oben und das Training geht mit Vollgas weiter. Instructor Bartschat: „Solche leichten Stürze gibt es ab und zu. Manchmal haben wir gar keine, manchmal auch fünf, je nach den Witterungsbedingungen.“ An diesem Tag sind es drei. Die hohen Sicherheitsstandards würden aber Schlimmeres verhindern. „Die Fahrer kommen ja extra hierher, weil es wesentlich sicherer ist als auf der Straße. Hier gibt es weder Gegenverkehr noch Straßenbäume. Wenn einer stürzt, dann landet er im Kiesbett und wird danach durch Autoreifen am Rand abgebremst“, sagt der 54-Jährige.

Und auch der Geschäftsführer der Motorsport-Arena, Ralph Bohnhorst, meint: „Natürlich gibt es auch mal Stürze. Doch jeder größere Unfall wird von uns sofort ausgewertet und es wird geprüft, wie die Sicherheit verbessert werden kann.“ Für den Ernstfall stehe ein Sanitätszentrum mit mehreren Rettungswagen und bis zu 14 Ärzten bereit, die innerhalb einer Minute beim Patienten sein können. Auch eine eigene Betriebsfeuerwehr gibt es.

Zudem entwickle sich die Motorradkleidung immer weiter. „Für diese gibt es inzwischen auch Airbags, die im Profibereich bald zur Pflicht werden“, sagt Bohnhorst.

Jedes Jahr werde die Strecke von nationalen und internationalen Motorsportverbänden abgenommen. „Selbst die Spezial-Farben der Linien auf dem Asphalt haben den gleichen Grip wie die Fahrbahn selbst. Damit soll die Rutschgefahr minimiert werden. Allerdings können die besten Sicherheitsvorkehrungen nicht immer einen folgenschweren Unfall verhindern“, sagt Bohnhorst. So wie im Jahr 2015, als es in der Arena vier tödliche Unfälle innerhalb weniger Monate gab. Bohnhorst: „Das war ein statistischer Ausreißer und eine Verkettung unglücklicher Umstände.“ Doch wie viele tödliche Unfälle gibt es pro Jahr auf der Rennstrecke? Der Geschäftsführer: „Eine Statistik dazu gibt es nicht. So viele Todesfälle wie 2015 hatten wir aber seit unserer Eröffnung 1997 nicht einmal zusammengerechnet.“

Bohnhorst ist schon fünfmal Deutscher Meister und einmal Europameister und Grand-Prix-Sieger 1991 am Hockenheimring im Straßenseitenwagen-Rennen geworden. Dreimal habe er bereits einen Geschwindigkeitsrekord im Seitenwagen gehalten. Der Geschwindigkeits-Junkie: „Mit 16 Jahren hatte ich einen Motorradunfall und war neun Monate im Krankenhaus. Danach bin ich nur noch Rennen gefahren und es ist nichts Schlimmes mehr passiert.“

An der Rennstrecke gehen die roten Flaggen hoch, weil ein Regenguss heruntergeht. Die beiden Rettungsassistenten Peter Müller und Lothar Piontek sowie der diensthabende Arzt Dimitri Shyshchuk sehen im Sanitätszentrum gebannt auf die Monitore.

Alle Fahrer erreichen unfallfrei die Boxengasse. Sie müssen wegen der nun nassen Fahrbahn erst ­einmal die Reifen wechseln. Das dauert. Erst nach einigen Minuten kehren die ersten Maschinen zurück auf die Strecke. Rettungsassistent Piontek zeigt sich erleichtert: „Es passiert zum Glück nur selten etwas. Von 700 bis 1000 Patienten im Jahr hat nur ein Bruchteil ernsthafte Verletzungen. Die meisten Fälle sind Bienenstiche oder andere Kleinigkeiten bei den Zuschauern.“ Der größte Teil könne gleich behandelt werden. Zehn Prozent der Patienten müssten, zum Beispiel zum Röntgen, ins Krankenhaus. Die häufigsten Sturzverletzungen sind Schlüsselbeinfrakturen und Verletzungen der Gliedmaßen.

Hannes Kohnert ist inzwischen von seinen Runden zurück und zeigt sich von der Strecke begeistert: „Die Kurven fahren sich ja fast von alleine.“