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Arendsee Hier gehen alle dem Fischer ins Netz

Warum in die Ferne schweifen? In der Volksstimme-Sommerserie stellen wir Ziele in Sachsen-Anhalt vor. Heute: Fischer Kagels am Arendsee.

Von Gesine Biermann 25.07.2020, 01:01

Arendsee l In Arendsee kennt ihn jeder. Wer nach Arendsee kommt, lernt ihn garantiert kennen. Und wer ihn kennt, vergisst ihn nicht: Wilfried Kagel ist der Fischer vom Arend­see. Ein Original sowieso und originell dazu, auf so eine sympathische, ein bisschen brummelige Art. Gäste, die kommen, dutzt er zum Beispiel generell. Übel nimmt ihm das keiner. Denn der Fischer ist eben der Fischer ...

Und an ihm kommt man nun mal zwangsläufig vorbei, wenn man sich mit dem Rad oder zu Fuß auf den knapp zehn Kilometer langen Weg rund um den Arendsee macht. Das tun zur Zeit viele Menschen. Urlaub in der Heimat liegt im Trend, weil die Bedenken bei weiten Reisen bei so manchem noch überwiegen. Da ist ein Kurztrip für Camper, Hotelgäste oder Tagestouristen an den größten und tiefsten natürlichen See in Sachsen-Anhalt eine perfekte Alternative. Und wenn man dann so wandert oder radelt, stößt man an der nördlichen Seeseite irgendwann auf Kagels Fischerei ... und bleibt erstaunt stehen. Denn bei ihm ist es einfach urgemütlich.

Daran hat auch Corona nichts geändert, auch wenn der Garten zwischen Steg und Haus, wo sonst immer die Gäste an rustikalen Holztischen sitzen und vergnügt die Gräten aus dem eben grad geräucherten Fisch pulen, derzeit geschlossen ist.

„Das mit den Auflagen, das kann ja keiner umsetzen“, sagt Kagel. Da habe er kurzerhand drauf verzichtet, seinen Garten zu öffnen. Gäste kommen trotzdem reichlich. Ein Besuch bei Kagel ist einfach ein Muss. „Wir haben links und rechts einfach ein paar Bänke aufgestellt“, sagt er. Natürlich mit 50 Metern Abstand, wie es die Verordnung für Imbiss­gastronomie vorschreibt. Nun wird eben dort Fisch gegessen. Frisch aus dem Ofen. Fischbrötchen, Aal oder Hecht oder die berühmte Arendseer Maräne. Zur Not werden die Pappteller auch mal auf der Motorhaube, dem Motorradsitz oder im Fahrradkorb zwischengeparkt. Den Besuchern ist das egal. Hauptsache Fisch unter freiem Himmel. Und dazu gibt‘s vom Chef, wenn man ihm über den Weg läuft, dann immer noch einen coolen Spruch gratis. Oder eine Lebensweisheit.

Davon hat Kagel einen ganzen Sack voll. Oder in seinem Fachjargon: ein ganzes Netz. Immerhin feiert er in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag, hat schon einiges erlebt, und wer ihn danach fragt, bleibt nie ohne Antwort.

Mit Leib und Seele diskutiert Kagel dann zum Beispiel mit seinen Besuchern über Politik. Über die ganz große genau so wie über die kleine. Mit letzterer muss er sich vor Ort schließlich schon seit Jahrzehnten auseinandersetzen ...

1969 kam der Mecklenburger Fischermeister in die Altmark, um den tiefsten natürlichen See Norddeutschlands unter seine Fittiche zu nehmen. Muss er zu DDR-Zeiten noch seinen ganzen Fang bei HO oder Konsum abliefern, kann er seine Fische seit der Wende eigenständig vermarkten. Und „eigentlich konnte mir auch nichts Besseres passieren als das einig Vaterland“, sagt er rückblickend. Was da so an Bürokratie auf ihn zukommen sollte, konnte er sich damals allerdings nicht vorstellen. Nur eine Zahl: Die Genehmigungszeit für den Gewerbeantrag, den Kagel am 3. Oktober 1990 einreichte, dauerte damals mehr als eineinhalb Jahre.

Rückblickend würde sich Kagel aber jederzeit wieder so entscheiden. Schließlich ist er Fischer mit Leib und Seele – und von Dienstagabend bis Sonntagnachmittag auch mit vollem Körpereinsatz. Dann steht er in seinem Laden, plaudert mit den Gästen, bestückt den Räucherofen oder backt Brötchen.

Vor allem aber legt er allabendlich die Netze aus und holt sie morgens wieder ein. Darin finden sich Hecht oder Aal und natürlich sein besonderer „Liebling“, die Maräne.Die sieht ein bisschen aus wie ein Hering, gehört eigentlich zu den Lachsen, vor allem aber ist sie sehr lecker – und eher selten. Denn die mäklige Maräne hält sich nicht in jedem Süßwassersee, sondern nur in besonders klarem und sauberem Wasser mit dem entsprechenden Anteil an Zooplankton.

Das alles kann der Arendsee bieten, und deshalb betreibt Kagel auch eine eigene Maränenkinderstube, setzt jedes Jahr Millionen kleiner Maränenbabys aus. „Die brüten wir selber“, sagt er augenzwinkernd. Natürlich im hauseigenen Bruthaus. Wer bei Kagels also Maränen isst, kann sicher sein: Lokaler und frischer geht‘s einfach nicht.

Übrigens: Wer dann frisch gestärkt mit Fisch weiter um den See herumradelt oder wandert, findet auch andernorts interessante Plätze. Die Stadt Arendsee selbst hat ein tolles Strandbad, für Textil- und FKK-Fans, mit Seetribühne und Spielplätzen. Wer schon immer mal auf einem Mississippi-Raddampfer fahren wollte, kann das auf der „Queen Arendsee“ schon mal ausprobieren. Die ist nämlich ein Nachbau der berühmten Schiffe.

Naturfreunde können auf dem Naturlehrpfad Vissum auf Entdeckertour gehen. Und wer auf coole Sprüche steht, kann direkt vom Fischer Kagel zum Anwesen von Gustav Nagel spazieren. Der lebte bis Anfang der 1950er direkt am Ufer des Arendsees und war einst ein bekannter deutscher Naturmensch, Wanderprediger, Lebens- und Schreibreformer. Die Reste seiner Tempel- und Kuranlage existieren bis heute. Dort können Besucher auch viel über sein Leben und seine teils seltsam anmutenden Auffassungen erfahren.

Und natürlich kann man am Arendsee auch übernachten. Campingplatz, Hotels und Pensionen bieten für jeden Geschmack etwas.

Zum Frühstück kann man dann ja wieder zum Fischer gehen. Der ist immer da. Schon seit Jahrzehnten. Im vergangenen Jahr war es übrigens genau ein halbes Jahrhundert.

Da hätte er eigentlich eine Urkunde zum Firmenjubiläum verdient. Gabs die? Der Fischer winkt ab. „Das ist alles nur Lametta ...“ So ist er eben, der Fischer vom Arendsee.