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Gescheiterter Ausbruch Attentäter hatte Waffe aus Papier und einem Bleistift

Der Landtag hat sich Mittwoch mit der Geiselnahme in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Burg befasst. Justizministerin Franziska Weidinger hielt sich im Justizausschuss zurück. Anstaltsleiterin Ulrike Hagemann äußerte sich. Dann eine Überraschung.

Von Michael Bock 14.12.2022, 21:00
Sachsen-Anhalts Justizministerin Franziska Weidinger  hat auch gestern zunächst keine Antworten auf zentrale Fragen geliefert. Die CDU-Politikerin spielt auf Zeit.
Sachsen-Anhalts Justizministerin Franziska Weidinger hat auch gestern zunächst keine Antworten auf zentrale Fragen geliefert. Die CDU-Politikerin spielt auf Zeit. Foto: dpa

Magdeburg - Wie konnte es dem Halle-Attentäter Stephan Balliet gelingen, im Hochsicherheitsgefängnis zwei JVA-Bedienstete als Geiseln zu nehmen? Anstaltsleiterin Hagemann schildert die Situation im Rechtsausschuss so: Montagabend, 21 Uhr, die Zellentür des Doppelmörders ist offen. Beim „Nachteinschluss“ wird der JVA-Bedienstete von Balliet, der hinter der Tür steht, überrumpelt. Er habe dem Wärter „einen Gegenstand vor die Nase gehalten, der geeignet war, dem Bediensteten angst zu machen“. Der Gefangene macht sofort klar, was er will: „Wir gehen jetzt raus.“ „Aus Angst um sein Leben“ sei der JVA-Bedienstete der Aufforderung nachgekommen, berichtet Hagemann. Gleichzeitig habe er Alarm ausgelöst.

Was aber genau ist der „Gegenstand“, der Balliet den Fluchtversuch ermöglichte? Ermittler sprechen von einem „waffenähnlichen Gegenstand“, einem „selbst gebauten Schussapparat“. Im Laufe der Geiselnahme habe Balliet damit einen Schuss in Richtung der Umzäunung abgegeben. Hagemann spricht im Ausschuss von einem „schussähnlichen Geräusch“, später von einem „Knall“.

Sie und auch Justizministerin Franziska Weidinger äußern sich im öffentlichen Teil des Ausschusses zunächst nicht zum „Gegenstand“. Keine von beiden vermag am Mittag zu sagen, „woraus genau das Ding hergestellt war“. Beide spielen auf Zeit.

Am Abend, nach einer Unterbrechung des Ausschusses, die Überraschung. Hagemann beschreibt nun doch den „Gegenstand“. Dieser habe aus einem längsseitig zusammengerollten DIN-A4-Papier, einem darauf befestigten Bleistift und einem Scharnier bestanden, alles zusammengehalten mit Aufklebern von Lebensmittelpackungen („im Knast gibt es keinen Tesafilm“) .

Mit Waffenattrappe auf die Stirn gezielt

Nach Volksstimme-Informationen gehörten womöglich auch Feuerzeug und Batterie zur Bastel-Konstruktion. Balliet habe mit der mutmaßlichen Waffenattrappe aus nächster Entfernung auf die Stirn des überrumpelten JVA-Bediensteten gezielt, sagt Hagemann.

Ihr zufolge öffnet der Bedienstete mehrere Türen. An einem Tor klappt es offenbar mit dem Öffnen nicht – womöglich ein taktisches Manöver, um Zeit zu gewinnen. Ein Kollege übernimmt (er löst damit die erste Geisel ab). Weitere Kollegen haben sich positioniert. Als der Gefangene einen Augenblick unaufmerksam ist, spurtet die Geisel davon, Balliet wird überwältigt. Dabei soll auch Pfefferspray verwendet worden sein. Hagemann lobt das geschickte Verhalten der Geiseln, die den erfolgreichen Zugriff ermöglicht hätten. Wortkarg wird sie im öffentlichen Teil des Justizausschusses hingegen auf die Frage, wie oft die Zelle von Balliet durchsucht worden sei. Dazu wolle sie sich aus Sicherheitsgründen nicht äußern. Zu hören ist, dass die Zelle in der Regel einmal pro Woche gefilzt worden sein soll. Justizministerin Weidinger hatte am Vortag erklärt, Balliet „wurde und werde engmaschig betreut und kontrolliert“. Offen bleibt auch die Frage, woher der Rechtsterrorist Messer, Bastelschere und Dosenöffner hatte, die er Sicherheitskreisen zufolge beim Fluchtversuch mit sich führte.

Der Attentäter war im Dezember 2020 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er hatte am 9. Oktober 2019 versucht, die Synagoge von Halle zu stürmen und ein Massaker anzurichten. Für das Attentat in Halle hatte der Täter Waffen selbst gebaut.