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Nach TV-Interview N-tv-Reporterin kann Kritik nachvollziehen

N-tv- und RTL-Reporterin Liv von Boetticher hat für Ihr TV-Interview mit einem Augenzeugen nach dem Anschlag in Halle viel Kritk erfahren.

11.10.2019, 17:48

Halle l Unmittelbar nach dem Anschlag in Halle hat N-tv- und RTL-Reporterin Liv von Boetticher ein Interview mit einem Augenzeugen geführt, das anschließend im Netz stark kritisiert wurde. Als eine der ersten Personen am Tatort, interviewte von Boetticher einen Mann, der von den Ereignissen noch sichtlich unter Schock stand. Ihr wurde bei Twitter fehlende Empathie vorgeworfen. Für ihre Frage nach der Nationalität des Täters wurde sie in den sozialen Medien nicht nur kritisiert, sondern auch persönlich beleidigt. Mittlerweile hat darauf auch der Interviewpartner reagiert, mit einem Post bei "Reddit". In seinem Beitrag schreibt der Mann: "Zuerst möchte ich allen danken, die nette Worte gefunden haben. Doch ich wollte auch eines klarstellen: Die Reporterin war hinter der Kamera sehr empathisch. Das ganze war ein Stehgreif-Interview 30 bis 45 Minuten nach dem Anschlag auf den Dönerladen. Das heißt, sie kann nicht viel Zeit gehabt haben, um dieses Interview vorzubereiten." Mittlerweile sei er selber in guten Händen bei der Opferberatung.

Dass von Boetticher und ihr Kameramann so schnell vor Ort waren, war reiner Zufall. Denn eigentlich hatte die RTL- und Ntv-Korrespondentin einen Interviewtermin mit einer Soziologin an der Universität in Halle. "Als wir uns dort gerade für das Interview aufgebaut hatten, kam die Meldung, dass es eine Schießerei vor einer Synagoge gebe", so Boetticher. Bis dorthin kamen sie und ihr Kameramann allerdings nicht aufgrund der bereits aufgebauten Straßensperrung. So hatte von Boetticher aber die Möglichkeit, in der Nähe des Kiez-Döners, dem zweiten Tatort, mit mehreren Augenzeugen zu reden. Die Informationslage war wirr, nichts Genaues war bekannt, es gab widersprüchliche Angaben zur Anzahl der Täter. Wir haben von Boetticher gefragt, wie sie die Situation erlebt hat.

Wie bewerten Sie die Kritik an der Art und Weise Ihres Interviews?
Ich bin grundsätzlich immer offen für sachliche und konstruktive Kritik und setze mich damit auseinander. Persönliche Beileidigungen, Drohungen oder aus dem Kontext gerissene Unterstellungen sind aber auf keinen Fall akzeptabel und wir behalten uns ausdrücklich vor, auch juristische Schritte einzuleiten. Zudem stehen auch Reporter natürlich unter dem Eindruck einer so furchtbaren Tat. Ich war und bin noch immer erschüttert von dem Geschehenen. Und uns alle eint doch der Wunsch, dass so etwas nie wieder passieren darf.

 

Haben Sie nach dem Interview persönliche Anfeindung erfahren?
Es gab bei Weitem mehr positives Feedback, aber auch eine Vielzahl negativer Zuschriften, die das Interview mit dem ersten Augenzeugen als zu sensationslüstern und journalistisch unsensibel beurteilten.

Können Sie die starke Kritik an der Frage nach der Nationalität des Täters nachvollziehen?
Ja, denn bei der Berichterstattung über die Nationalität eines mutmaßlich Tatverdächtigen tragen wir Journalisten eine enorme Verantwortung. Rückblickend wäre es wahrscheinlich besser gewesen, eine offenere Frage zu stellen – für mich persönlich, in diesem Moment, war es aber die richtige Entscheidung, die Berichterstattung so transparent wie möglich zu gestalten und dahingehend auch meine Informationen, die ich von den Augenzeugen zuvor erhalten habe, im Interview anzusprechen und mit den Zuschauern zu teilen. Die Herkunft kann durchaus eine wichtige Information sein und wir wollten diese unseren Zuschauern auch nicht vorenthalten.

In Ihrer Arbeit als TV-Reporterin - wie schwer ist es, die Gratwanderung zwischen Empathie und journalistischer Aufgabe zu meistern?
Empathie und meine Arbeit als Journalistin gehen Hand in Hand. Ich habe den Augenzeugen nicht vor die Kamera gedrängt, er wollte mit uns sprechen. Er hat auch im MDR Radio ein Interview gegeben und meines Wissens nach auch der BILD-Zeitung. Ich habe ihn mehrfach vor der Schalte gefragt, ob er sein Wissen und das, was er erlebt hat, mit uns teilen möchte. Ich stehe nach wie vor mit ihm in Kontakt. 

Für den Fall, dass ein Augenzeuge nicht vor der Kamera sprechen möchte – aus welchen Gründen auch immer – respektiere ich das natürlich und gebe die Informationen in Form eines Aufsagers oder als Inhalt einer Schalte selbst wieder, mehrfach auch am Mittwoch. 

Wie sich das eigene Reporterleben aus ihrer Sicht in Ost und West unterscheidet, hat von Boetticher in einem eigenen Beitrag vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg erklärt.