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Bergsteiger Reinhold Messner über Ängste in Todeszonen

Reinhold Messner bestieg als Erster alle Achttausender, er durchquerte Wüsten und die Antarktis. Darüber sprach die Volksstimme mit ihm.

Von Grit Warnat 04.10.2018, 01:01

Volksstimme: Herr Messner, Ernest Shackleton soll 1914 für seine Südpol-Expedition in einer Anzeige „Männer für eine waghalsige Reise“ gesucht und geringe Löhne, extreme Kälte, monatelange Dunkelheit angekündigt haben. Hätten Sie sich beworben?

Reinhold Messner: Es gibt keinen Beweis, dass diese Anzeige wirklich geschaltet wurde. Aber für die Antarktis hätte ich mich wahrscheinlich nicht beworben.

Die Männer, die anheuerten, haben ein Desaster erlebt. Das Packeis schloss das Schiff ein. Während Shackleton Hilfe holen wollte, führte sein Vertrauter Frank Wild das zurückgelassene Team. Er hat den Männern das Überleben gesichert. Was fasziniert Sie an diesem Wild, dem sie Ihr neuestes Buch widmen?

Mich fasziniert seine Bescheidenheit, seine Zurückgenommenheit. Er ist nicht der geborene Leader wie der breitschultrige, gut aussehende Shackleton. Wild war klein, glatzköpfig und a priori nicht vorgesehen, dass er eine wichtige Rolle übernehmen würde. Er hat bewiesen, dass er nicht mit Befehl und Gehorsam, sondern mit Empathie eine Truppe führen kann. Er verstand es, in jeden seiner Schützlinge hineinzuhören und jedem eine Überlebenshoffnung zu geben. Das war großartig. Wissen Sie, das sollte in den Firmen so sein. Wer bei mir etwas über Leadership hören will, dem empfehle ich nicht Shackleton als Modell, sondern Wild.

Sind Sie diesem Wild ähnlich?

Das würde ich nicht sagen. Ich habe oft Expeditionen selbst auf die Beine gestellt und Ideen umgesetzt. Ich habe aber nie als Boss, wie man Shackleton nannte, eine Expedition geführt. Wenn ich unterwegs war, waren wir immer nur zwei, drei Leute. Und oft war ich auch alleine.

Sie haben gemeinsam mit Arved Fuchs im Winter 1989/90 die Antarktis zu Fuß durchquert – was Shackleton einst ehrgeizig plante. Sie waren die Ersten, die das schafften. 2800 Kilometer. Hatten Sie Angst?

Im Vorfeld ja. Ich hatte mächtige Angst, weil ich so viele Bücher gelesen hatte. Amundsen, Shackleton, das Sterben von Scott in der Antarktis. Dann bekommt man das Gefühl, das ist nicht überlebbar. Diese Kälte, diese Länge, dieses Ausgesetztsein. Aber nachdem ich einige Tage unterwegs war und merkte, dass die Kälte erträglich war, kann man Tag für Tag diese Ängste besser abstreifen. Man lernt, nur den nächsten Tag im Auge zu haben, das Ganze nicht als Summe zu sehen.

Ihr Name ist verbunden mit minimalistischer Ausrüstung. Hatten Sie ein Satellitentelefon dabei?

Nein. Das hätte damals auch nicht funktioniert.

Wie wichtig war die Erfahrung Antarktis, um den Überlebenskampf der Shackleton-Männer nachspüren zu können?

Ohne diese Erfahrung hätte ich das Buch nicht angefangen. Später, als ich auf Elephant Island stand, bei Nebel und Schneetreiben, und die Wellen an die Steine klatschen hörte und mir vorstellte, dass die Männer vier Monate bei Winternacht dort hockten, ohne Tageslicht, dachte ich, das ist nicht überlebbar. Umso erstaunlicher ist, mit welcher Strategie Wild diese Probleme gelöst hat. Er ging auf jeden Einzelnen seiner Männer ein. Ihm ging es ums gemeinsame Überleben.

Im Himalaya gibt es die Todeszone. Ist nicht die ganze Antarktis eine Todeszone?

Dieser Ausdruck bezieht sich auf die Höhe. Mediziner sagen, ab 5600 Meter Höhe kann der Mensch nicht dauerhaft überleben. Die zweite Grenze, die die Todeszone markiert, liegt bei 7800 Metern Höhe. Dort kann der Mensch ohne Sauerstoff nur ein paar Tage schaffen. In der Antarktis sind der Wind, die Kälte, die Zeitdauer, auch Stürme das Entscheidende.

Beim Bergsteigen gibt es das glückliche Ankommen auf dem Gipfel. Gibt es solche guten Gefühle in der Antarktis?

Das Gipfelglück bestreite ich ja. Je höher die Berge umso weniger Gipfelglück. In der Antarktis sind die Glücksmomente in erster Linie die starken Lichtstimmungen. Die Sonne ist im Sommer immer am Himmel, sie kreist über einem. Von grün über violett, bis hin zu Pastellfarben. Das sind Stimmungen ohnegleichen.

Sie selbst nennen sich „Bewahrer der letzten nicht urbanisierten Räume dieser Erde“. Wo gibt es die noch?

Die gibt es in großer Menge, weil die Menschen so dumm sind und alle auf einige wenige berühmte Berge losstürmen. Auf den Mount Everest, auf den Mont Blanc, auf den McKinley. Ich bin kürzlich für einen Film mit dem Hubschrauber und einer Spezialkamera über die Alpen geflogen. Wir haben in der ersten Stunde keinen einzigen Menschen gesehen. Als wir zum Monte Rosa kamen, waren Hunderte auf dem Berg. Am Matterhorn war eine schwarze Menschenkette von der Basis bis zum Gipfel zu sehen. Und am Mont Blanc waren Kolonnen unterwegs, dreispurig nebeneinander. Alle anderen Berge aber sind leer. Es gibt also noch viel wilden Raum.

Trotzdem haben sich mit dem Tourismus die Alpen verändert, der Himalaya auch. Und die Antarktis?

Dort hat der Tourismus auch angefangen. Der Tourist braucht Infrastruktur, Hütten, Wege, Logistik. Das kann man dann buchen und konsumieren. Solche Strukturen haben nichts mit Alpinismus zu tun. Der Alpinist geht dorthin, wo es all das nicht gibt.

Auf Ihrer Homepage schreiben Sie: „Ich hoffe, weiterhin fähig zu bleiben, immer wieder neue Träume zu finden“. Was ist ein neuer Traum?

Filme zu machen zum Thema Bergwelt. Mir ging und geht es um das Verhältnis von Mensch und Berg.

Reinhold Messner kommt am 2. Februar 2019 mit „Wild – der letzte Trip auf Erden“ ins AMO nach Magdeburg. Zudem ist er mit „Weltberge – die 4. Dimension“ am 16. November in der Harzlandhalle Ilsenburg. Weitere Informationen im Internet unter www.messner-live.de