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Bestform-Award Sachsen-Anhalts kreativste Ideen

Von Mehlwurm-Snack bis Tanzrollator - Landeswettbewerb der Kreativwirtschaft kürt seine Sieger in Sachsen-Anhalt.

Von Alexander Walter 23.06.2019, 01:01

Magdeburg l Algen, die auf Vorhängen wachsen, Mehlwürmer in Bäckereien, Glasdesign aus Elektro-Schrott, bilinguale Liederbücher – mehr als 70 Ideen sind für die diesjährige Runde des Landeswettbewerbs „Bestform“ eingegangen. Das sind so viele wie nie. Das Land kürt mit dem Kontest die originellsten Konzepte seiner Kreativwirtschaft. Elf Projekte hat eine Expertenjury in die engere Auswahl gehoben. Am Montag gibt sie die Sieger im Magdeburger Moritzhof bekannt. Die Volksstimme stellt hier vorab eine Auswahl aussichtsreicher Kandidaten vor.

Algen als lebende Textilfarbe
Wer Algen nur mit übel riechendem Seetang am sommerlichen Ostseestrand verbindet, kann sich von Larissa Siemon neu inspirieren lassen. Zusammen mit Professoren der Halleschen Kunsthochschule Burg Giebichenstein und des Kompetenzzentrums Algenbiotechnologie der Hochschule Anhalt hat die Designerin ein Konzept entwickelt, mit dem sich die Organismen zum Färben von Textilien nutzen lassen. Das Konzept „Collection Grow“ setzt dabei allerdings ausschließlich auf Luftalgen, wie sie beispielsweise auf Baumrinden wachsen. Sie könnten etwa auf Vorhängen in Mustern aufgetragen oder als Algengarn mit anderen Fasern verwoben werden.

Die pflanzlichen Mikroorganismen entwickeln dabei verschiedenste, lebendige und vor allem umweltfreundliche Farben, sagt Larissa Siemon. Das Spektrum reich von grün über gelb bis rot. Der Vorteil: Nährstoffe und Feuchtigkeit ziehen sich die Minipflanzen direkt aus der Umgebung, einen grünen Daumen braucht es also nicht. Selbst vorübergehende Trockenheit kann ihnen nichts anhaben. Keine Angst, zum Seetang-Effekt wird es nicht kommen: „Es wird nie etwas zersetzt, die Algen setzen sich nur an die Oberfläche“, betont Designerin Siemon. Die Pflanzen leben lediglich auf dem Stoff. Dabei betreiben sie sogar Photosynthese, erzeugen bei indirektem Sonnenlicht aus Kohlendioxid und Stickstoff also Sauerstoff.

Auf diese Weise verbessern sie ganz nebenbei auch die Umgebungsluft in den Räumen ihrer Besitzer. Das Projekt steckt derzeit zwar noch in den Kinderschuhen: „Momentan will ich zeigen, was möglich ist“, sagt Siemon. Denkbar wäre für die junge Designerin in einem nächsten Schritt aber schon den Einsatz der Algen auf Textilien zu erforschen. Mit ihrem Projekt hat sich Siemon um dem Bestform-Award beworben. Die Chancen auf einen Preis dürften nicht schlecht stehen. „GROW ist ein spannender Lösungsweg, der uns eine interessante Symbiose von Natur, Pflanze und Mensch zeigt – und das in einer hoch ästhetischen Qualität“, sagen die Juroren zum Konzept.

Mehlwurm-Pommes aus Brot
Mit Würmern hatte Lukas Keller früher wenig am Hut. Das änderte sich, als der Industriedesign-Student bei einem Seminar an der Kunsthochschule Burg Giebichtenstein in Halle auf das Thema Nahrungsströme stieß. Der junge Mann fand heraus: Allein in deutschen Bäckereien wandern bis zu 14 Prozent der Produktion täglich in den Müll. Bei einer mittelständischen Bäckerei mit 70 Filialen summiert sich das auf bis zu 60 Tonnen im Monat. Warum also das Altbrot nicht besser nutzen? Zum Beispiel als Nahrung für Mehlwürmer, die später ihrerseits zum Nahrungsmittel für Menschen werden. Die Idee, die in anderen Ländern schon praktiziert wird, hat der 25-Jährige zum Produkt-Konzept weiterentwickelt. Der leicht provokante Titel: „Baker‘s Butchery“ – zu deutsch: Bäcker-Fleischerei.

Mehlwürmer eignen sich aus vielerlei Gründen zum Nahrungsmittel, sagt Keller. „Sie haben einen hohen Proteinanteil und lassen sich leicht züchten.“ Im Vergleich zur Haltung großer Nutztiere brauchen sie nur etwa zehn Prozent des Platzes. Benötigt man für ein Kilogramm Rindfleisch 25 Kilogramm Futter, seien es für Mehlwürmer nur zwei bis drei Kilogramm. In der Praxis könnten Bäckereien die Würmer in einem Extra-Gebäude direkt neben dem Bäckereibetrieb heranziehen und mit Altbrot füttern, sagt Kellner. Dadurch würden die Backbetriebe nicht nur ihre Überproduktion los. Sie könnten sich auch neue Märkte erschließen.

Die Gefahr, dass die Würmer auch frische Brote und Brötchen anknabbern, sieht Keller übrigens nicht. „Die Zuchtanlage würde man ja räumlich zu trennen“, sagt er und lacht. Konkrete Produktideen hat Keller übrigens auch schon. Zum Beispiel seine sogenannten Baker Chips (Bäcker Pommes). Mit 85 Prozent Weizenmehl, 5 Prozent Mehlwurm-Mehl und 10 Prozent roter Beete wären sie ein äußerst nahrhafter Snack, sagt er. Und wie schmecken die Pommes? Die Antwort sei gar nicht so einfach, sagt Keller, denn es handele sich ja nicht um Fleisch. „In jedem Fall haben sie eine leicht nussige Note.“

Der Student räumt gern ein, mit seinem Konzept auch provozieren zu wollen. „Es geht darum, die Machbarkeit zu zeigen und Gewohnheiten zu ändern“, sagt er. Die Jury des Bestform-Wettbewerbs erkennt das an: „Lukas Keller probiert einen intelligenten Wirtschaftskreislauf, der sogar neue Märkte für Bäckereien schaffen könnte“, meinen die Experten.

Der Fahrrad-Kofferraum zum Ausklappen
Die Geschichte des Startups von Markus Rothkötter und Finn Süberkrüb beginnt mit einer rumpeligen Radtour an der Ostsee: Um das erste Semester gebührend ausklingen zu lassen, kaufen sich die Magdeburger Studenten vor drei Jahren einen 50 Euro teuren Fahrradanhänger. Nach nur 20 Kilometern aber zerfällt der in seine Einzelteile. Die Mechatronikstudenten beschließen: „Das können wir besser“, erinnert sich Süberkrüb.

Die Idee für einen Fahrradkofferraum ist geboren. In den Semesterferien basteln die Gründer in der Garage von Süberkrübs Eltern an einem ersten Protoypen aus Holz. Zurück an der Uni bewerben sie sich im Transfer- und Gründerzentrum um einen Platz in den sogenannten „Making Labs“. Dank Werkstätten und Fachpersonals können sie hier ihr erstes Modell aus Metall herstellen. Martin Wiesner und Björn Kokoschko, Designer an der Uni, entwerfen für die Tüftler eine passende regenfeste Einlege-Tasche.

Herauskommt „Trenux“ – ein Aufsatz für jedes Fahrradmodell, der mit einem Handgriff zum Anhänger ausgeklappt werden kann. Ausgefaltet ist der Kofferraum fürs Fahrrad 40 mal 60 Zentimeter groß und hat damit Platz genug um zwei Getränkekisten – oder 40 Kilo Gewicht –  zu transportieren.  Zusammengefaltet schrumpft „Trenux“, der zu großten Teilen aus Aluminium besteht, indes auf nur noch knapp 30 Zentimeter bei 7,5 Kilo Leergewicht.  „Er lässt sich gut auf Gepäckträgern transportieren, es geht aber auch ohne“, sagt Süberkrüb.

Der Fahrradkofferraum vereint damit so mehrere Vorteile existierender Produkte: Er ist kompakt wie eine Fahrradtasche und hat zugleich die Transportkapazität eines Lastenrads. Ihr Klappkonzept melden die jungen Männer zum Patent an. Das Konzept überzeugt auch andere: Im vergangenen Jahr gewinnen Süberkrüb und Rothkötter bei „Eurobike“ in Friedrichshafen einen Startup-Award. Mit Unterstützung des Unternehmers Frank Sporkenbach gründen sie Ende 2018 ihre eigene Firma.

Per Crowdfunding bereiten die Jungunternehmer in diesen Tagen die Produktion der ersten 100 „Trenux“-Modelle vor. „Es sieht gut aus, 70 haben wir bereits verkauft“, erzählt Süberkrüb, der in der Firma als Organisationstalent gilt, während Partner Rothkötter immer wieder an den Feinheiten des Fahrradkofferraums feilt. Produziert werden soll in Sachsen-Anhalt. Den Kofferraum selbst soll ein Stendaler Unternehmen herstellen. Die Justizvollzugsanstalt Bernburg soll die Innentasche liefern. Mit ihrem Konzept haben sich die Tüftler für den Bestform-Award beworben. Und sie haben gute Chancen auf einen Preis. Aus Tüftlergedanken wurde ein Produkt, das auch damit überzeugt, dass an Nachhaltigkeit gedacht und der Blick für Details gewahrt  wurde“, hieß es vorab von der Jury.

Tanzrollator für Sport im Alter
Ich geh mal mit dem Rollator tanzen – was zunächst wie ein schlechter Scherz klingt, ist für ein Magdeburger Forscherteam ein Projekt, in das sie große Hoffnungen setzen. Geboren wurde es vor mehr als zehn Jahren bei einem Besuch von Sportwissenschaftlerin Anita Hökelmann in den Niederlanden. Schon damals boomte dort der Rollatortanz.

Nicht ohne Grund: Forscher haben Sport und Tanz in den vergangenen Jahren als Wunderwaffe gegen körperlichen Abbau und Demenz entdeckt. Schon eine halbe Stunde Bewegung pro Tag hat Effekte. Wenn Senioren bereits körperlich beeinträchtigt sind, können Rollatoren die Beweglichkeit erhalten. Standard-Geräte aber haben einen entscheidenen Nachteil, sagt Hökelmann. „Die Mobilität ist durch die feststehenden Räder eingeschränkt.“

Senioren können so bestenfalls im Kreis gehen. Der klassische Rollator fördert zudem eine gebückte Haltung. Das muss besser gehen, dachte sich ein interdisziplinäres Team aus Forschern der Uni Magdeburg um Hökelmann und Sportingenieur Marcel Partie. Herausgekommen ist ein einzigartiger Sport- und Tanzrollator. Wichtigster Unterschied zu gewöhnlichen Geräten: Das System ist in alle Richtungen beweglich. Durch Armstützen sind Nutzer zudem gezwungen, sich aufzurichten. Zum Einsatz kommen soll die Entwicklung vor allem in Heimen. Erste Tests dort lieferten überaus positive Ergebnissse: Der Rollator verbesserte Gangstabilität und emotionale Verfassung. „Die Herrschaften waren froh, wieder tanzen zu können“, sagt Hökelmann.

Die Wissenschaftler bleiben an dieser Stelle nicht stehen. Derzeit erforschen sie den Effekt eines weiterentwickelten Gerätes auf den Verlauf von Demenz. Die Bestform-Jury lobt die Forscher: „Das Team bringt mit seinem Projekt ein gutes Stück Lebensfreude zurück.“