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Blitzer So jagen Polizei und Kommunen Raser

Eine viertel Million Geschwindigkeitsverstöße hat die Polizei in Sachsen-Anhalt 2016 registriert. Jeder Fünfte wurde von Kommunen geahndet.

10.10.2017, 23:01

Magdeburg l Sie arbeiten mit Sensoren im Straßenbelag, Radarwellen oder Laserstrahlen, die sich wie ein Mess-Teppich über die Fahrbahn legen. Das Blitzer-Arsenal der Polizei und Kommunen ist groß. Die Geräte sind sehr zuverlässig, haben aber auch unterschiedliche Tücken und auch Schwachstellen.

1. Die Lasermess­pistole: Die Geräte werden ausschließlich von der Polizei eingesetzt, weil zum Ahnden des Verstoßes der Autofahrer angehalten und mit dem Messwert konfrontriert werden muss. Anders als bei den weiteren Geräten gibt es weder ein Bild noch eine Filmaufnahme als Beweis. Es gilt nur die Zeugenaussage der Polizisten. Die Geräte werden in der Regel vor allem innerstädtisch und in Tempo-30-Zonen vor Schulen eingesetzt. Sachsen-Anhalt verfügt über 107 solcher Pistolen, die meisten hat die Polizeidirektion Nord (46), gefolgt von Süd (31) und Ost (20). Die Landesbereitschaftspolizei hat zehn Geräte.

Das Prinzip der Handgeräte: Die Geschwindigkeit wird durch die Laufzeit eines Laserstrahls ermittelt. Verkehrsrechtsanwalt Ronni Krug: „Als Verteidiger habe ich kein Foto, sondern nur ein Messprotokoll, welches man kritisch hinterfragen muss.“ So sind Messungen in einer Fahrzeuggruppe sehr schwer verwertbar, weshalb die Polizei meist nur die ersten Fahrzeuge einer Kolonne oder Einzelfahrzeuge misst. Ferner gilt das Vier-Augen-Prinzip, das heißt die Messung muss jeweils durch zwei Beamte kontrolliert werden.

Schwachpunkt: Die ordnungsgemäße Dokumentation der Testmessungen vor Messbeginn. Es muss zum Beispiel ein sogenannter Nulltest vorgenommen werden, bei dem der Messstrahl auf ein unbewegliches Objekt, z. B. ein Verkehrsschild, gerichtet wird. Dies muss auch dokumentiert sein. Ist nicht zu rekonstruieren, woran genau die Messung vorgenommen wurde, ist die Messung nicht weiter verwertbar.

2. Der Blitzer-Anhänger: Er ist zurzeit nur in Halberstadt im Einsatz. Die Stadt mietet das ungewöhnliche Gerät, das auch „Tarnkappen“-Blitzer genannt wird, von der Firma Vetro Wismar GmbH zeitweise an. Das Besondere: Anders als bei allen anderen Geräten, muss niemand vor Ort sein. Der Hänger mit absenkbaren Rädern kann mehrere Tage in einer Parklücke stehen und autonom blitzen. Verbaut ist hier wie bei vielen modernen Blitzersäulen ein mobiles Großgerät (Punkt 6), das in einer gepanzerten Außenhülle verbaut ist. Ein Alarmsystem soll zudem Diebstahl und Vandalismus verhindern. Bis zu fünf Tage sollen die in dem Anhänger verbauten Hochleistungs-Akkus halten. Nachteil: Trotz Panzerung waren Anhänger in anderen Bundesländern teils zerstört worden.

3. Pro-Vida (Videofahrzeuge): Es ist die effektivste Methodede der Polizei, Raser aus dem fließenden Verkehr zu ziehen. Hinterherfahren und die Überschreitungen mit der Kamera im Bereich des Tempo-Limits filmen. Die Polizeidirektion Nord und Süd haben jeweils drei solcher Fahrzeuge, im Osten des Landes sind zwei der speziellen Wagen unterwegs. Sie werden in der Regel vor allem auf Bundesstraßen und Autobahnen eingesetzt. Verkehrsanwalt Krug: „Gut ist bei der Methode, dass man eine längere Situation filmt und auf den Einzelfall abstellen kann.“

Der Schwachpunkt des Nachfahr-Systems mit dem geeichtem Fahrzeug-Messgerät ist die Eichung. Das Gerät bildet mit dem Fahrzeug eine Einheit, das heißt, es muss bei jedem Reifenwechsel eine neue Eichung stattfinden. Auch Umbauten am Fahrzeug sollten erfasst sein.

4. Das System ESO ES 3.0: Dabei handelt es sich nicht um einen Laser oder eine Lichtschranke, sondern um einen so genannten Helligkeitssensor. Dieser reagiert auf die Helligkeitsveränderung im Verkehrsraum vor dem Messgerät, zum Beispiel wenn ein Fahrzeug daran vorbeifährt. Der meist mobile Blitzer hat besonders auf der Autobahn schon das eine oder andere Fahrverbot beschert und wird von (verbotenen) Radarwarnern nicht erkannt. Das Land Sachsen-Anhalt verfügt über zwölf solcher Geräte, davon vier im Norden des Landes. Die Messung erfolgt auf Basis einer Weg-Zeit-Berechnung. Das Gerät ist schon längere Zeit zugelassen und relativ zuverlässig. Schwachpunkte sind die präzise Justierung des Gerätes auf die Messstelle sowie die Zuordnung des Messwertes auf ein konkretes Fahrzeug.

Das Gerät muss idealerweise in einer Höhe zwischen 50 und 70 Zentimetern die Straße überbrücken, da es anderenfalls zu einer erhöhten Zahl von Fehlmessungen kommen kann. Rechtsanwalt Krug: „Problematischer ist jedoch die Zuordnung des Messwertes, da das Foto geschossen wird, wenn die Messung eigentlich abgeschlossen ist. Das Fahrzeug muss sich auf dem vollständigen Beweisfoto auf der sogenannten Fotolinie befinden.“ Diese muss vor der Messung auch auf einem „Leerfoto“ dokumentiert sein, durch eine Linie, Verkehrskegel oder Ähnliches.

Befindet sich das Fahrzeug nicht auf der Linie oder liegt zwischen Fotolinienbild und Messfoto eine Bewegung der Kamera vor (erkennbar z. B. durch unterschiedliche Perspektive), ist die Messung nicht zu verwerten.

5. Das Brückenabstands- und Geschwindigkeitsmesssystem VKS 3.0: Von den Geräten gibt es nur vier in Sachsen-Anhalt. Eigentlich wurde das System – eine Kamera filmt einen bestimmten Autobahnbereich – für Abstandsverstöße konzipiert. Die Geschwindigkeitsmessung ist praktisch eher ein „Nebenprodukt“. Die Messstelle muss präzise gekennzeichnet und eingerichtet sein.

Auf Autobahnen sieht man oft vor Brücken mehrere weiße Linien an den Fahrbahnrändern. Das sind solche Kennzeichnungen. Diese müssen vorhanden und ordnungsgemäß ausgemessen sein. Nachteil dieser Messmethode: Es kann eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch verkehrsbedingt sein, etwa wenn jemand von hinten drängelt oder beim Überholen beschleunigt. Dies muss dann berücksichtigt werden.

6. PoliScanspeed: Die „Wunderwaffe“ der Messbeamten. In Sachsen-Anhalt gibt es drei Geräte dieser neuesten Generation. Auch Kommunen, wie Magdeburg, sind damit ausgerüstet. Bei der Messung werden kurze Lichtimpulse ausgestrahlt, welche den Fahrbahnbereich abtasten. Der Strahl wird reflektiert, aufgefangen und aufgrund der Zeit, welche der Strahl für den Hin- und Rückweg benötigt, die Geschwindigkeit ermittelt. Problem: Das Gerät ist so gebaut, dass selbst Sachverständige nicht immer genau wissen, wie es funktioniert. Der Hersteller gibt nicht alle relevanten Daten heraus. Die Entscheidungen der Gerichte reichen deshalb von Einstellung des Verfahrens bis hin zu einer nicht anfechtbaren Messung. Im Land wird sie von den meisten Gerichten laut Krug als zuverlässig angesehen.

Speedophot: Ein Radarmessgerät, das schon seit Ende der 90er Jahre im Einsatz ist. Es wird eine elektromagnetische Welle abgestrahlt, die so gebündelt ist, dass sie schräg über die Fahrbahn verläuft. Beim Aufkommen auf einen bewegten Gegenstand ändert sich die Frequenz der Welle, wodurch die Geschwindigkeit ermittelt wird. Davon gibt es noch neun Geräte im Land.

Traffi Star S 330: Für die Weg-Zeit-Messung werden drei Sensoren in die Fahrbahn verlegt, die in Fahrtrichtung im Abstand von einem Meter hintereinander angeordnet sind. Fährt ein Auto über einen Sensor, wird wegen der elastischen Verformung des Festkörpers eine elektrische Spannung erzeugt. Damit kann zwischen Pkw und Lkw unterschieden werden.