Rechnungshof: Privater Investor wälzt Risiken auf Steuerzahler ab / Rückforderungen möglich. Von Michael Bock und Winfried Borchert Bodetal-Bad: Thale drohen Millionenverluste
Ein Bericht des Landesrechnungshofes zur "Bodetal-Therme" in Thale wirft viele Fragen auf. Wirtschaftsministerium und Investitionsbank prüfen jetzt, ob womöglich Fördergelder zurückgefordert werden müssen.
Thale/Magdeburg l Von Anfang April bis Ende Juli 2011 hatte ein vierköpfiges Prüferteam des Landesrechnungshofes die Finanzierungs- und Betreiberkonstruktion der "Bodetal-Therme" unter die Lupe genommen. Die dabei zutage getretenen Fakten waren offenbar so gravierend, dass der Rechnungshof seine Prüfung unterbrach und die Investitionsbank des Landes um eine gesonderte Überprüfung bat.
Schon beim Fördermittelantrag wurde womöglich getrickst. Diesen Verdacht legt zumindest die Rechnungshof-Prüfung nahe. Denn: Zunächst war offenbar geplant, dass die Deyle-Gruppe eine eigene Besitz- und Betreibergesellschaft für das Bad gründet. Weil die Deyle-Gruppe mit 400 Mitarbeitern und 50 Millionen Euro Jahresumsatz aber keine Sonderförderung für kleine und mittelständische Unternehmen erhalten hätte, wurde eine andere Konstruktion gewählt: André Kleinheisterkamp, Rechtsanwalt aus Dresden und Geschäftsführer im Konsortium Deyle, übernahm für die Deyle-Firmengruppe die Firmenanteile. Auf diese Weise konnte der Förderanteil um 20 Prozent, also rund zwei Millionen Euro, erhöht werden.
Thales Bürgermeister Thomas Balcerowski (CDU), der das in der Stadtratssitzung vom 12. Juni 2007 laut Protokoll so ausgeplaudert hatte, sagt jetzt dazu: "Das ist Blödsinn. Ich weiß nicht, welche Absprachen es gegeben hat. Sicherlich gibt es da Verträge zwischen Deyle und Kleinheisterkamp. Aber die kenne ich nicht."
Der Rechnungshof hält es jedenfalls "für notwendig", dass die Investitionsbank das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Förderung als klein- und mittelständisches Unternehmen überprüft.
Noch einmal zehn Prozent extra gab es für die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen. Wie die Prüfer aber herausfanden, hält das Unternehmen die Vorgabe nicht ein. Zum Zeitpunkt der Prüfung waren 38 der 39 Arbeitsplätze mit befristet eingestellten Mitarbeitern besetzt. Auch die vorgegebene Quote von 20 Prozent Frauen-Arbeitsplätzen mit einem Jahreseinkommen von jeweils mindestens 20 000 Euro wurde nicht eingehalten. Die Prüfer schreiben dazu: "Das Kriterium zur 10-prozentigen Erhöhung des Fördersatzes durch die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen für Frauen, die ein Jahresmindesteinkommen von 20000 Euro erhalten, ist damit nicht erfüllt." Die Investitionsbank müsse das Geld gegebenenfalls zurückfordern.
Mit Schreiben vom 13. März 2012 informierte der oberste Rechnungsprüfer zugleich Wirtschaftsstaatssekretär Michael Richter (CDU) über die Verstöße und bat das Ministerium und die Investitionsbank um eine Stellungnahme. Eine Volksstimme-Anfrage wird von der Investitionsbank schriftlich so beantwortet: "Unser Haus prüft derzeit den eingereichten Verwendungsnachweis. Im Rahmen der Verwendungsnachweisprüfung wird die Erfüllung des Zuwendungszwecks abschließend geprüft." Dann noch, im schönsten Behördendeutsch, der Mammutsatz: "Würde, ganz allgemein betrachtet, festgestellt, dass die mit einer Förderung verbundene Zielsetzung nicht erreicht ist oder dass eine der dem Zuwendungsbescheid zugrunde liegenden Bestimmungen nicht eingehalten wurde oder dass unrichtige Angaben gemacht wurden oder Tatsachen verschwiegen wurden, die eine andere Bewilligung des Zuschusses nach sich gezogen hätten, würden entsprechende Maßnahmen eingeleitet."
Im Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium heißt es, derzeit werde eine Stellungnahme erarbeitet. Solange der Prüfbericht des Rechnungshofes nicht in der Endfassung vorliege, "werden wir uns zu einzelnen Punkten daraus nicht öffentlich äußern".
Bürgermeister Balcerowski versteht die ganze Aufregung nicht. Die prognostizierten Besucherzahlen werden nicht erreicht? "Das stimmt nicht", sagt er. "Das ist die übliche Polemik vor allem aus Bad Suderode. Die Zahlen liegen im erwarteten Korridor. Das Bad arbeitet noch nicht kostendeckend, wird aber die Kostendeckung in diesem oder im nächsten Jahr erreichen." Und: "Wir sind noch in der Pre-opening-Phase. Da ist klar, dass man die angepeilten Zahlen noch nicht erreicht. Wir rechnen in diesem Jahr mit 105 000 bis 120 000 Besuchern." Allerdings: Selbst das entspräche bei weitem nicht den ursprünglichen Prognosen.
Balcerowksi behauptet: "Es gibt keine Risiken für die Stadt Thale. Wenn die Betreiberfirma pleite wäre, wäre das Bad eben zu." Auf Nachfrage räumt er ein: "Stimmt, die Stadt müsste pro Jahr 487 000 Euro an die Landesbank Baden-Württemberg zahlen, weil die Betreibergesellschaft ihre Forderungen auf den jährlichen Betriebskostenzuschuss der Stadt an die Bank verkauft hat."
Rechnungshofpräsident Ralf Seibicke sagt: "Damit hätte die Stadt im Insolvenzfall ein geschlossenes Bad und müsste weiter zahlen." Balcerowski: "Im Insolvenzfall würden wir die Betreibung neu ausschreiben und einen neuen Betreiber suchen." Seibicke: "Dann müsste die Stadt einen Betriebskostenzuschuss und den alten Kredit zahlen."
Nur mal so nebenbei: Im Haushaltsplan für 2011 wies die Stadt Thale eine voraussichtliche Verschuldung von 17,3 Millionen Euro zum Jahresbeginn 2011 aus.
Weiteres Problem: Der Rechnungshof kritisiert, dass die Stadt Thale zunächst 325 000 Euro als Erbpachtzins von der Betreiberfirma erhalten sollte, dann in den Vertrag aber 1 Euro pro Jahr hineingeschrieben wurde. Seibicke rechnet vor: "Damit erhält die Stadt in den nächsten 30 Jahren nicht zehn Millionen Euro, sondern ganze 30 Euro Erbpachtzins."
Balcerowski will davon nichts wissen: "Es stimmt so nicht, dass wir 325000 Euro Erbpachtzins erhalten sollten. Das ist eine glatte Lüge. Ich habe keine Ahnung, woher solche Zahlen kommen."
Der Rechnungshof stützt seine Aussage auf eine Beratung am 26. Januar 2007 beim Landrat des damaligen Kreises Quedlinburg.
Seibicke beurteilt die Lage so: "Diese Finanz- und Firmenkonstruktion überlässt alle Chancen und Gewinne dem privaten Partner und lädt alle Risiken und Verluste der öffentlichen Hand, also der Kommune und, wenn diese in Schwierigkeiten käme, dem Land auf. Aber das versuchen private Firmen oft bei PPP-Modellen. Deswegen empfehlen wir immer, sich die Vertragskonstruktion vorher ganz genau anzuschauen."
Auch im Landtag war die "Bodetal-Therme" kürzlich Thema. Vor allem mit Blick auf das hoch defizitäre Kurzentrum im benachbarten Bad Suderode. Andreas Steppuhn (SPD) sagte am 22. März: "Die Beteiligten vor Ort sprechen mittlerweile von einer Konkurrenzsituation." Wirtschaftsministerin Birgitta Wolff (CDU) entgegnete: "Wenn sich die Rede von der Konkurrenz auf das physiotherapeutische Angebot bezieht, dann kann ich das nur bestätigen." Und, recht flapsig: "Such is life. Konkurrenz belebt das Geschäft."
Angelika Klein (Linke) sagte: "Wir fördern Thale mit Millionen, und wir haben Bad Suderode mit Millionen gefördert und unterhalten. Und jetzt reden Sie von Konkurrenz. Das kann nicht sein, denn dann sind Gelder in den Sand gesetzt worden. Es ist doch absehbar, dass Bad Suderode diesen Kampf verlieren wird. Die Förderung ist eingestellt worden. In der Bundesrepublik gibt es aber kaum Träger privater Kurzentren. Insofern wird Bad Suderode dadurch totgemacht."