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Brocken Abschied der Wetterfrösche

Auf dem Brocken endet eine Ära: Ab Jahresbeginn 2020 werden die meteorologischen Beobachter durch Technik ersetzt.

Von Holger Manigk 18.12.2019, 00:01

Brocken l Der Wind pfeift, die kaum 50 Meter entfernten Bäumchen verschwimmen im Nebel, das Thermometer zeigt drei Grad Celsius unter Null an. Dennoch kämpft sich Marc Kinkeldey von der schweren Tür der Brocken-Wetterwarte bis zu den Metallzylindern, in denen Niederschlag aufgefangen und gemessen wird. "Dieses Extremwetter ist einer der Gründe, warum wir unseren Arbeitsplatz lieben", sagt der Chef der Wetterfrösche auf dem höchsten Harzgipfel.

Bald werden sie ihn vermissen: Ende Dezember müssen die Beobachter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ihre Station 1141 Meter über dem Meer räumen – nach 184 Jahren Messung durch Menschenaugen. Ab 1. Januar 2020 übernehmen automatische Geräte weitgehend ihre Aufgaben.

Dieser Austausch, den der Wetterdienst bis 2023 bundesweit abschließen will, ist Teil einer großen Strategie: "Unsere gesetzlichen Aufgaben wachsen kontinuierlich, die Zahl der Beschäftigten stagniert aber. Der Personal der Wetterwarten wird dringend für andere, nicht automatisierbare Tätigkeiten benötigt", erläutert DWD-Präsident Gerhard Adrian. Diese Veränderung sei für viele Betroffene zwar schmerzlich, werde aber "sozialverträglich umgesetzt".

Zudem sei die Brocken-Station ab Januar nicht komplett verwaist, ergänzt Uwe Kirsche auf Volksstimme-Anfrage. Wie der DWD-Pressesprecher erläutert, sollen zunächst drei Beschäftigte weiter auf dem höchsten Berg Norddeutschlands arbeiten – "nicht als Wetterbeobachter, sondern um bis zu deren Automatisierung die Radioaktivitätsüberwachung durchzuführen und solange zugleich vor Ort die Messtechnik zu betreuen." Doch damit soll zum Jahresende 2020 ebenfalls Schluss sein.

Für Institutionen der Region bricht mit der Automatisierung eine wichtige Informationsquelle weg: Gerade der zurückliegende Winter mit Schneechaos am Brocken hat gezeigt, wie wichtig der direkte Draht zu den Wetterbeobachtern etwa für die Harzer Schmalspurbahnen (HSB) ist. "Bislang konnten wir uns immer unkompliziert mit den Mitarbeitern auf dem Gipfel abstimmen und uns auf Experten als direkte Augenzeugen für die Verhältnisse an unserem höchstgelegenen Bahnhof verlassen", erläutert Unternehmenssprecher Dirk Bahnsen.

Über Jahrzehnte habe sich ein Vertrauensverhältnis zwischen den Eisenbahnern und den Wetterfröschen eingespielt: "Der Meteorologe vor Ort sieht, ob es große Schneeverwehungen gibt. Ein PC in Leipzig kann das nicht." Trotzdem akzeptierten die HSB die Entscheidung des DWDs. "Wir müssen abwarten, wie sich die Zusammenarbeit nach der Umstellung entwickelt", sagt Bahnsen.

Der Talsperrenbetrieb des Landes Sachsen-Anhalt hat sich dagegen seit Jahren auf die Automatisierungswelle beim Wetterdienst eingestellt: "Wir haben ein eigenes Schneemesssystem aufgebaut", berichtet Geschäftsführer Burkhard Henning. Dieses Netz von Mess- punkten an den Zuflüssen der Talsperren sei notwendig, um vorherzusagen, mit wie viel Tauwasser zu rechnen ist. "Die Informationen des DWD sind für uns eine hilfreiche Ergänzung, wir brauchen aber mehr Details", so Henning.

Gerade bei der Bestimmung der weißen Pracht scheint es bei den vollautomatischen Geräten des DWD noch zu hapern: Die Spezialtechnik für Berg- standorte – wie den Brocken, die Zugspitze und den Fichtelberg – befinde sich noch in der Testphase, räumt Kirsche ein: So könnten zum Start Anfang Januar Daten zum Wassergehalt im Schnee "möglicherweise befristet nicht zur Verfügung stehen".

Ein weiteres Problem: die Schneehöhe. Auf dem sturm-umtosten Gipfel mit seinen meterhohen Verwehungen können sich schnell Fehler einschleichen. Deshalb wandern die Wetterdiensttechniker derzeit noch mehrere Messlatten – ähnlich Pegelmessgeräten an Flüssen – auf dem Brocken ab und errechnen einen Durchschnittswert. Diese Daten können Automaten – ebenso wie den Niederschlag – noch nicht in der gewünschten Qualität erfassen.

"Sie werden deshalb noch nicht veröffentlicht", erklärt DWD-Präsident Adrian in einer Pressemitteilung. Dennoch sei der vorübergehende Ausfall einiger Winter-Messungen an den sieben Bergstationen des Wetterdienstes "zwar ärgerlich, aber keine Gefahr für die Erfüllung unserer gesetzlichen Aufgaben". Es lägen weiterhin ausreichend Daten zum Wassergehalt im Schnee und dessen Höhe vor. Von den fast 2000 Bodenstationen des DWD messen 1437 die Schneehöhe und 585 den Wassergehalt.

Temperatur, Luftdruck, Windgeschwindigkeit und Sonnenscheindauer würden bereits automatisch exakt erfasst. Der Trend gehe seit Jahren in diese Richtung, aber auch zur wachsenden Bedeutung von Wettersatelliten und -radar bei der Beobachtung des Zustands der Atmosphäre.

Doch die Wetterdiensttechniker auf dem Brocken kümmern sich bislang nicht nur um die Messung der Phänomene auf dem Gipfel. Vielmehr sind sie gleichzeitig ein Aushängeschild des DWD: Keine andere Wetterwarte Deutschlands zieht so viele Besucher an wie die traditionsträchtige Station auf dem Brocken. 1500 bis 2000 Gäste ließen sich jährlich durch den Turm aus den 1930er Jahren führen.

In der Wetterdienst-Zentrale in Offenbach sei man sich bewusst, dass die Beschäftigten auf dem Dach des Harzes "bisher immer wieder sehr erfolgreich als Ansprechpartner für Touristen und Besucher zur Verfügung standen", so DWD-Sprecher Uwe Kirsche. Dieser imagefördernde Service werde "leider mittelfristig nicht mehr möglich sein".

Bis dahin werden Marc Kinkeldey und seine Kollegen noch vielen Brocken-Wanderern ihren Arbeitsplatz zeigen. Von den Gebirgsniederschlagsmessern, die Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Gipfel entwickelt wurden, über die mehr als 1000 von Besuchern geschenkten Wetterfrösche in der Station bis zu Thermometern und Messgeräten auf dem Dach des Turmes.

"Dieser Berg übt eine ganz eigene Faszination aus – und ist und bleibt aus meteorologischer Sicht in Mitteleuropa einzigartig", sagt Wetterdiensttechniker Kinkeldey.

Hier lesen Sie die bewegte Geschichte der Brocken-Wetterwarte.