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Gefängnis Chefin hinter Gittern

Ulrike Hagemann leitet seit knapp einem Jahr die Haftanstalt in Burg. Am Job liebt sie die Arbeit mit Menschen besonders.

Von Bernd Kaufholz 20.05.2018, 01:01

Burg l Ein stinknormales Büro. Kaffeekanne auf dem Tisch und Tassen. Im Nebenraum die Sekretärin. Ein Zimmer weiter: Schreibtisch mit Computer, dahinter eine Pinnwand mit Fotos und Erinnerungszetteln – gehalten von blauen, weißen und roten Magneten. Der ganz normale Wahnsinn des Öffentlichen Dienstes. Nichts Aufregendes.

Wäre da nicht der Blick durchs Fenster: hohe Mauern, Gitter, Autos mit der Aufschrift „Justiz“ – der innere Zirkel der größten Haftanstalt Sachsen-Anhalts: Burg-Madel mit 630 Strafgefangenen.

„Als Heranwachsende habe ich zwei Berufsfindungsphasen gehabt“, sagt Ulrike Hagemann, die seit Juni 2017 in der Schaltzentrale der JVA sitzt. „In der ersten wollte ich etwas mit Pferden machen, in der zweiten Staatsanwältin werden.“ Der zweite Berufswunsch sei ja nicht so weit weg von Gefängnissen und dem was sie jetzt tue, fügt sie an.

Doch bevor die 46-Jährige im Strafvollzug Sachsen-Anhalts ihre berufliche Heimat fand, durchlief sie einige andere Lebensstationen.

„Ich bin zwar in Niedersachsen geboren, aber ich war schon immer eng mit Sachsen-Anhalt verbunden. Mein Papa wurde in der DDR geboren. Er stammt aus Halberstadt.“

Vor der Grenzöffnung studierte sie in Hannover Jura und machte ihr Referendariat in Braunschweig. „Eigentlich wollte ich Richterin werden“, erzählt sie, „aber damals waren die Anforderungen viel strenger als heute.“

Deshalb habe sie sich aufs Verwaltungsrecht gestürzt. „Und das war dann auch gar nicht so langweilig, wie ich erst befürchtet hatte.“

Ihr Weg aus Niedersachsen nach Sachsen-Anhalt habe damit begonnen, dass sie eine Ausschreibung für den Öffentlichen Dienst gelesen habe. „Ein Jurist für das Regierungspräsidium in Magdeburg, das es damals noch gab, wurde gesucht.

Und da seien wieder ihre väterlichen Wurzeln ins Spiel gekommen. „Sachsen-Anhalt war ja durch meinen Papa für mich kein unbekanntes Land. Da habe ich mich beworben.“

Und es klappte. Ute Hagemann arbeitete im Baudezernat und als Büroleiterin des Regierungspräsidenten.

Ihre nächsten Stationen waren die CDU-Landtagsfraktion und die Polizeidirektion in Magdeburg, wo sie als Personaldezernentin tätig war. „Ich wollte Leben um mich herum haben“, sagt sie, „und nicht jeden Tag stundenlang an einem Satz feilen.“ Leben habe es in der Polizeidienststelle der Landeshauptstadt zur Genüge gegeben.

Nach der Polizeistrukturreform, durch die die Direktionsbereiche eingedampft wurden, habe sie gedacht, dass es „Zeit für einen Wechsel“ wird. Sie habe sich 2008 bei der Justiz als Leiterin für die neue JVA Burg beworben. „Ich konnte mir aber schon denken, dass ich keine große Chance habe. Aber ich wollte einfach meinen Hut in den Ring werfen und somit zeigen, dass ich Interesse an dieser Art von Arbeit im Öffentlichen Dienst habe.“

Das hatte Erfolg. Über die Haftanstalten Dessau und Magdeburg kam Ulrike Hagemann vor fünf Jahren nach Burg auf den Stellvertreter-Posten. Und seit Juni 2017 amtiert sie als Leiterin. „Man darf nicht so viel mit nach Hause schleppen“, umreißt sie ihre Philosophie. Denn es seien ja nicht immer die schönsten Geschichten, die man im „Mikrokosmos Knast“ erfahre.

„Das zum Teil detaillierte Wissen um Schicksale von Opfern und Tätern verändert“, sagt sie. „Man bekommt einen differenzierten Blick auf sich selbst und die Welt.“ Entspannt und dankbar zu sein, habe sie so gelernt.

Von ihrem Vorgänger, Thomas Wurzel, habe sie mitgenommen, wie wichtig es ist, Kontakt zu den Gefangenen zu halten. Als Vollzugsleiterin für eines der Hafthäuser mit 180 Insassen sei das kein Neuland für sie gewesen, nachdem sie „Chefin vom Ganzen“ geworden ist. „Man muss sich selbst ein Bild von der Stimmung machen. Sonst verliert man den Kontakt. Und ohne diesen Kontakt kann man nur sehr schwer Entscheidungen treffen und den Haftalltag so gestalten, dass es möglichst wenig Ärger gibt.“

Wer sind die Starken, wer die Schwachen? Die Beantwortung dieser Frage und die daraus resultierende Trennung dieser Gruppen seien entscheidend für den „inneren Frieden in einer JVA“.

Man müsse auch im Hinterkopf haben, dass sich die Altersstruktur der Gefangenen verändere. „Wir haben hier Verurteilte, die sitzen schon 30 Jahre hinter Gittern. Der Älteste ist 80 Jahre alt.“

In ihren vier Bürowänden hat sie schon alles erlebt: „Aggressivität, Verzweiflung, Wut, Trauer, Einsamkeit“. Wer den Großteil des Tages allein und eingeschlossen in einem kleinen Raum verbringe, bei dem „stauen sich Emotionen an“. Ein Gefängnis sei eine hochemotionale Sache, wiederholt sie. „Man muss es aushalten, wenn man beschimpft wird, genauso, wenn der gegenüber unter Tränen zusammenbricht.“

Kontakt hin, Schreibtisch her. Natürlich lasse sich auch die zweite Seite ihrer Tätigkeit nicht völlig vermeiden. „Da sind Verwaltungsaufgaben, die erledigt werden müssen, oder Berichte ans Ministerium“, erzählt sie.

Das A und O bleibe nach wie vor der Versuch, die Gefangenen zu resozialisieren, so Hagemann, die erste Frau im Land, die eine Haftanstalt leitet. „Ganz vorn steht dabei die berufliche Fortbildung, gleich gefolgt vom Bestreben, den Insassen ihre Probleme – zum Beispiel ihre Süchte – bewusst zu machen und Therapien anzubieten.