Vier Jahre nach dem Unglück ist Siedlung fast abgerissen und Seeland am Nordufer weiter ein "Geisterort" Concordia-See: Leben und Hoffen am Abgrund
Nachterstedt. Das Landesbergamt will vorerst auch weiter den "Concordia-See" für die nicht betroffene Nordseite gesperrt lassen. Die Enttäuschung der Anlieger ist deshalb groß. Mit den Wasser-Touristen fehlen dem Seeland seit vier Jahren das Wesentliche zum Überleben: Gäste.
Hans-Hermann Fraust zeigt auf ein Bild, in der die Welt noch in Ordnung war. "Hier war mal unser Haus", sagt der 66-Jährige und hat Tränen in den Augen. Auch wenn das Unglück vier Jahre her ist. Immer um den 18. Juli kommt bei ihm alles hoch. Die regnerische Nacht, das Schreien der Nachbarn und das Chaos. Mit dem Absacken der Landmassen fiel damals um 4.40 Uhr auch der Strom aus. Seine Frau Monika und er konnten nur noch etwas anziehen, mehr Zeit blieb nicht. Alles andere musste im Haus zurückbleiben.
Heute, vier Jahre später, hat er ein neues Haus und steht an der Absperrung. Er blickt auf die beräumte Siedlung Am Ring. Nur zwei Häuser direkt am Abgrund stehen noch. Der Rest ist weg. Die letzten beiden Häuser sollen mit einem Spezialbagger eingeschoben werden, ohne dass sie in die Tiefe stürzen. Es ist für die Familie eine Art Schlussstrich.
Die Frausts hoffen nur, dass die Leichen der drei Vermissten doch noch gefunden werden. Bei den geplanten Untersuchungen wollen die Fachleute dafür einen neuen Anlauf nehmen. "Von dem Gutachten über die Ursache selbst haben wir ohnehin nicht viel erwartet", sagt er.
Die auf der anderen Seite des Sees hat es aber auch hart getroffen, sagt Fraust. Er meint zum Beispiel die 45-jährige Betreiberin des Cafés "Arche Noah", Antje Görecke. "Ein paar Arbeiter vom Bau der neuen Radfahrstation kommen zum Essen, ansonsten kann man es hier vergessen", sagt sie. Am Anfang kamen die Schaulustigen, aber nicht zum Schlemmen, sondern zum Gaffen. Doch die wurden auch immer weniger.
Die Pächterin des Cafés ist Kellnerin, Kassiererin und Managerin in Personalunion. Angestellte kann sie sich nicht leisten. Sie übernahm das Geschäft von Dieter Neumann, der im Januar 2010 an seinem 65. Geburtstag in den Ruhestand ging. Seine Tochter Astrid hat eines der Häuser in der Ferienhaussiedlung gekauft. Wie sie und ihre Nachbarn feststellen mussten, ein schwerer Fehler.
Sie sagt: "Es kamen keine Gäste mehr und wir mussten schon unser anderes Haus verkaufen." So wie ihr geht es noch weiteren Eigentümern der Ferienhäuser. Nun droht ihr weiteres Unheil. Weil die Ferienhäuser nur als solche genutzt werden dürfen, gibt es Streit mit der Einheitsgemeinde Seeland. Ein Traum am See dürfte anders aussehen.
Das weiß auch der Geschäftsführer der Seeland GmbH, Hans Strohmeyer. Er ist einer von vier Angestellten, die auf Sparflamme die Anlagen der Stadt verwalten und zumindest den Ausbau des Radfahrweges R1 vorantreiben. "Auch der Abenteuerspielplatz mit 50000 Quadratmetern wird von uns betreut", sagt er. Laut seiner Bürgermeisterin Heidrun Meyer hatte das Areal vor dem Unglück rund 100.000 Besucher. Jetzt sind es noch rund die Hälfte. Hans Strohmeyer: "Das ganze Areal steht und fällt nunmal mit der Nutzung des Sees." Er hat bereits viele Vorschläge gemacht. Sogar die Einrichtung eines Wellenbrechers am Badestrand hat er vorgeschlagen. Doch er blieb ungehört.
Bürgermeisterin Meyer: "Wir haben inzwischen alles versucht, trotz der Katastrophe das Gebiet weiterzuentwickeln. Aber wir brauchen nunmal diesen See dazu." Dabei waren die Gemeinden rund um das ehemalige Tagebaurestloch ganz euphorisch. "Das Seelandprojekt hat sechs Kommunen zusammengeschweißt. Wir hatten erst drei Tage vor dem Unglück uns zu einer Einheitsgemeinde zusammengeschlossen", erklärt sie. Nun heißt es weiter warten.
Übrigens auch für die beiden letzten Dauercamper Brigitte und Hans-Günther Böttcher aus Darlingerode: "Wir sind hier geblieben in der Hoffnung, dass der Zaun endlich wegkommt und das hier wieder zum Paradies wird." Bisher ist es das aber nur für Füchse und Hasen.