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Corona Das Rennen um den Impfstoff

Mit einer Millionenförderung will der Bund das Unternehmen IDT Biologika aus Dessau-Roßlau bei der Impfstoff-Herstellung unterstützen.

07.10.2020, 23:01

Dessau-Roßlau l Der erste Proband bekommt eine niedrige Dosis. Dann warten die Forscher. Treten keine unerwarteten Komplikationen auf, geht es nach 24 Stunden weiter. Die nächsten beiden Probanden sind dran. Auch ihnen wird der Impfstoff verabreicht. Die Wissenschaftler tasten sich vor, bis schlussendlich alle 30 freiwilligen Studienteilnehmer den Impfstoff unterschiedlich dosiert erhalten haben.

So beginnt die Erprobung des Corona-Impfstoffs am Menschen nach Angaben des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF). In diesem Monat soll der Impfstoff der Firma IDT Biologika aus Dessau-Roßlau so getestet werden. Seit der vergangenen Woche gibt es eine behördliche Genehmigung für die klinische Prüfung der Phase eins, dem Test an wenigen gesunden Personen. Von den etwa 200 Forscherteams, die weltweit an einem Corona-Impfstoff arbeiten, haben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation bislang nur etwas mehr als 40 diese Phase erreicht.

Entwickelt hat das Biopharma-Unternehmen aus Sachsen-Anhalt den Wirkstoff gemeinsam mit Wissenschaftlern des DZIF. Als Grundlage diente dabei ein Impfvirus, das schon beim Kampf gegen andere Krankheiten geholfen hat. Seit mehreren Jahrzehnten wird damit gegen Pocken geimpft. Nach Angaben von IDT ist eine Weiterentwicklung außerdem gegen das MERS-Coronavirus erfolgreich im Einsatz gewesen. Dromedare auf der Arabischen Halbinsel übertragen den mit dem neuartigen Coronavirus verwandten Erreger mit oft tödlichen Folgen auf den Menschen.

Eine Förderung aus dem Sonderprogramm des Bundes zur Corona-Impfstoff-Entwicklung stand schon länger in Aussicht. 120 Millionen Euro waren im Gespräch. Noch ist unklar, wie viel es wird. Nach Volksstimme-Informationen wird es aber deutlich weniger Geld geben. Wie viel, soll heute verkündet werden.

Getestet wird der Impfstoff von IDT am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Geleitet wird die dortige Studie von der Infektiologin Marylyn Addo, einer der bekanntesten Corona-Expertinnen des Landes. Wie Addo berichtet, untersuche das Team in der ersten Phase das Sicherheitsprofil des Wirkstoffs sowie die Immunantworten bei jüngeren Menschen. Die Probanden sind zwischen 18 und 55 Jahre alt. "Eine größere klinische Studie der Phase zwei ist für Ende des Jahres geplant", berichtet Addo. Dann werde der Impfstoff auch bei älteren Menschen getestet, sagt die Infektiologin.

Mit Phase zwei der klinischen Studie haben laut Weltgesundheitsorganisation in den vergangenen Monaten mehr als 20 Impfstoffentwickler auf der ganzen Welt begonnen. Neun von ihnen sind schon einen Schritt weiter und haben bereits die dritte und letzte Phase erreicht.

Unter den zwanzig aussichtsreichsten Impfstoffkandidaten befinden sich zwei aus Deutschland. Die Firma Curevac aus Tübingen testet ihren Wirkstoff derzeit in Phase zwei. Er wird nach Angaben des Unternehmens an rund 690 Probanden in Peru und Panama getestet. Ergebnisse erwartet die Firma zum Ende des Jahres, dann könnte die nächste Phase beginnen.

Bereits in Phase drei der klinischen Studien befindet sich der Impfstoffkandidat der Mainzer Firma Biontech. Das Biotechnologie-Unternehmen mit rund 1300 Mitarbeitern arbeitet bei der Impfstoffherstellung mit dem US-amerikanischen Pharmakonzern Pfizer sowie dem chinesischen Unternehmen Fosun Pharma zusammen. Derzeit wird die Wirksamkeit nach Angaben von Biontech global an 120 Standorten in 39 Staaten getestet, rund 37.000 Menschen sollen den Impfstoff verabreicht bekommen.

Das Unternehmen aus Mainz stellt in Aussicht, zum Ende des Jahres bereits 100 Millionen Impfstoffdosen zu produzieren. Zum Ende des kommenden Jahres könne die Firma dann bis zu 1,3 Milliarden Dosen liefern, berichtet das Unternehmen.

Zum Einsatz kommen kann der Impfstoff europaweit allerdings nur, wenn die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) die Zulassung erteilt. Bei den Impfstoffen von Biontech und AstraZeneca prüft die Behörde allerdings noch während der dritten klinischen Phase.

Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat die Kriterien für die Zulassung von Corona-Impfstoffen zuletzt verschärft. Die Behörde will etwa, dass die Teilnehmer bei Studien mindestens zwei Monate beobachtet werden. Damit ist eine Zulassung vor der Präsidentschaftswahl unwahrscheinlich.

Trump reagierte darauf verärgert. Er hatte in Aussicht gestellt, dass noch vor der US-Präsidentschaftswahl Anfang November erste Impfstoffe zugelassen werden. Bis April hatte der US-Präsident seinen Verlautbarungen nach erwartet, dass es genug Impfdosen für alle US-Bürger gibt.

In Russland ist bereits ein Impfstoff zugelassen. Noch in diesem Jahr soll die Massenproduktion des Wirkstoffs beginnen. Viele Experten betrachten das Vorgehen allerdings mit Skepsis, weil Phasen der klinischen Studien teilweise nicht vollständig abgeschlossen seien.

In China gibt es noch keinen zugelassenen Impfstoff. Nach einem Bericht der "Tagesschau" hat der Chef des staatlichen Pharmakonzerns Sinopharm allerdings kürzlich im Fernsehen verkündet, dass dort bereits Hunderttausende Menschen geimpft worden seien. Mitarbeiter von Staatsbetrieben, Soldaten und medizinisches Personal würden dort Impfungen erhalten, heißt es in dem Bericht. Nach Angaben im Staatsfernsehen habe es keine Nebenwirkungen gegeben – was allerdings noch nichts über die Wirksamkeit aussagt. China meldet seit Mitte März nur wenige Neuinfektionen.

Wann es in Deutschland einen zugelassenen und wirksamen Impfstoff gibt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Der Virologe Christian Drosten betonte kürzlich im Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit", es könne "vielleicht sogar schon Ende des Jahres" ein Impfstoff zugelassen werden. "Wir werden verschiedene Impfstoffe haben, die vielleicht sogar unterschiedlich wirksam sind und mit denen sich Teile der Bevölkerung impfen lassen können", sagte Drosten.

Deutlich skeptischer äußerte sich zuletzt der Virologe Hendrik Streeck. Er hält es für möglich, dass alle Impfstoffe, die derzeit in Phase drei getestet werden, am Ende nicht funktionieren. Eine Vorhersage sei kaum möglich, betont er.

Dass sich alle Impfstoffe am Ende als unwirksam herausstellen, glaubt Helga Rübsamen-Schaeff nicht. Die Virologin ist Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle. Sie geht davon aus, dass es zum Ende dieses Jahres bei fünf oder sechs Impfstoffen Erkenntnisse über die Sicherheit für den Menschen geben werde. Ebenso erwarte sie Aufschluss darüber, wie viele Antikörper und Immunzellen gebildet würden.

Wie wirksam diese Impfstoffe dann am Ende sind, gerade auch bei älteren Menschen, werde aber erst später ersichtlich, betont Rübsamen-Schaeff. Gerade ältere Menschen würden schließlich schwächer auf Impfstoffe reagieren, weil deren Immunsystem nicht mehr so stark sei, erläutert die Virologin.

"Wir müssen erst Erfahrungen sammeln mit den Impfstoffen", sagt Rübsamen-Schaeff. "Vielleicht sind wir Ende kommenden Jahres so weit, dass Impfstoffe der breiten Bevölkerung verabreicht werden können". Sie gehe davon aus, dass mehrere Impfstoffe zur Überwindung der Pandemie beitragen werden. Ebenso erwarte sie aber auch, dass bessere Medikamente zur Behandlung von Covid-19-Patienten einen "wesentlichen Beitrag" leisten könnten.

"Wir werden Ende nächsten Jahres keinen Strich unter Corona ziehen können", betont Rübsamen-Schaeff. "Das wäre zu früh", sagt die Virologin. Zwar werde die Wissenschaft Lösungen finden, Corona werde aber erst einmal bleiben. Womöglich sogar noch bis zur Mitte dieses Jahrzehnts, sagt die Virologin.