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Jubiläums-Serie Das Liebesempfinden in der Bauhaus-Bewegung

Vor 100 Jahren sprengten Studenten und Meister an den Bauhäusern in Weimar und Dessau auch gesellschaftliche Konventionen.

Von Beate Hagen 22.09.2019, 08:51

Dessau/Weimar l Die „freie Liebe“ – für die Bauhäusler war sie ein Fest, dem sie sich oft und gern hingaben, für die Weimarer und Dessauer Bürger dagegen ein Ärgernis. Ihnen erschien das ungewöhnlich lockere Verhältnis zwischen den Frauen und Männern am Bauhaus als skandalös, denn es führte zu zahlreichen Liebschaften und – besonders schockierend in dieser Zeit – zu unehelichen Kindern. Gelegenheiten, um sich näherzukommen, gab es genug, denn das Leben am Bauhaus war durch eine weitgehend kollektive Lern-, Arbeits- und Lebensweise geprägt. Zum Grundprogramm gehörten zudem regelmäßige, gemeinsame Freizeitaktivitäten, wie Feste, Laternenumzüge, Maskenbälle, Ausflüge oder Sportkurse.

Insbesondere in den Dessauer Jahren des Bauhauses sorgte die so genannte freie Liebe für Gesprächsstoff. Zwischen den beiden miteinander befreundeten Weberinnen Benita Otte und Gunta Stölzl kam es darüber zu einer heftigen Auseinandersetzung. Während Benita Otte für die „glatte Sauberkeit“ als Grundlage der Liebe plädierte und sich davor fürchtete „ein Vagabund zu werden, der sich an diese Dinge verspielt“, wollte Gunta Stölzl unabhängig bleiben, auf keinen Fall aber gegängelt werden. Doch der Wunsch nach einem Mann blieb auch bei ihr. So schrieb Gunta Stölzl 1928 in einem Brief an ihren Bruder: „Mein ganz persönliches Leben krankt daran, dass ich keinen Mann habe – ja, das ist schon so – das ist ja nun nur meine Schuld – aber so leicht lässt sich eben der Mensch nicht deixeln.“

Wie groß die Empörung der Bürger vor allem über die undogmatische Einstellung der Bauhäusler unehelichen Kindern gegenüber war, lässt sich in einem Artikel der „Weimarischen Zeitung“ vom 13. Juni 1924 nachlesen. Dort schrieb ein Journalist: „Ich muss es als Ausfluss eines völlig verwahrlosten Empfindens und zwar als ei-nen Niederschlag der destruktiven Lehr- und Erziehungsmethoden des Bauhauses geißeln, wenn solche Mutterschaft (gemeint ist eine „uneheliche“, die Verfasserin) mit allerlei Tamtam öffentlich gefeiert wird, wenn die Wiege von beteiligten Jünglingen gefertigt und dann in einer Art von Triumph zur Wohnung der Hereingefallenen gefahren wird.“ Doch war ein Kind unterwegs, wurde – wie damals üblich – auch am Bauhaus meist geheiratet. Nicht nur die Studierenden heirateten untereinander, sondern es gingen auch zehn Meister und viele Jungmeister mit Studierenden den Bund fürs Leben ein. 71 Ehepaare hat das Bauhaus hervorgebracht, das wohl prominenteste Beispiel: die Ehe des Architekten und vorletzten Bauhaus-Direktors Hannes Meyer mit der Studierenden und Textildesignerin Lena Bergner.

Viele dieser Ehen hielten jedoch nicht lange. Eine der wenigen Ausnahmen war die von Josef und Anni Albers. Spätestens als Anni Fleischmann am Weimarer Bauhaus einen Druck von Giottos „Flucht nach Ägypten“ als Weihnachtsgruß von Jungmeister Josef Albers erhielt, war es um sie geschehen. Sie verliebte sich in den „hageren, halb verhungerten, asketischen Westfalen mit unwiderstehlichen blonden Haaren“, wie sie später einmal erzählte. Drei Jahre später, 1925, gaben sie sich das Ja-Wort, zogen in eine Doppelhaushälfte der Meisterhaussiedlung in Dessau und gehörten fortan zu den wenigen Künstlerpaaren, die das Bauhaus bis zur Schließung maßgeblich prägten. 1933 emigrierten Josef und Anni Albers in die USA und setzten ihre Lehrtätigkeit am neu gegründeten Black Mountain College in South Carolina fort. Ihrer Liebe jedoch blieben Anni und Josef zeitlebens treu. Mehr als fünfzig Jahre dauerte ihre Ehe.

Auch Bauhaus-Gründer und -Direktor Walter Gropius hatte ein sehr bewegtes Liebesleben. Schlank, schlicht, das volle, schwarze Haar zurückgekämmt und peinlich exakt frisiert, auf klassische Art korrekt, charismatisch und weitläufig war der „Silberprinz“, wie der Maler und Bauhaus-Meister Paul Klee ihn nannte, für Frauen offenbar unwiderstehlich anziehend. Während einer Kur in Tirol lernte der 27-jährige Architekt die drei Jahre ältere Alma Mahler, die Frau von Gustav Mahler, kennen und verliebte sich unsterblich in sie. Es folgten Jahre ständigen Versteckspiels, immer abgestimmt mit den Proben und Auftritten des Komponisten. „Es wirrt ja alles durcheinander, Eis und Sonne, Perlen und Dreck, Teufel und Engel“, schrieb Gropius in einem Brief an seine Geliebte. Die beiden heirateten nach dem Tod Mahlers und bekamen ein Kind, doch Alma Mahler-Gropius konnte sich nicht entschließen, aus Wien wegzuziehen – und mit dem Bauhaus konnte sie sowieso nicht viel anfangen. Und so endete die Beziehung, wie sie begonnen hatte, mit Seitensprüngen. Alma Mahler-Gropius hatte Affären mit dem Maler Oskar Kokoschka und dem Dichter Franz Werfel. Die Ehe scheiterte.

Gropius suchte Trost bei der Malerin Lily Hildebrand. Auch sie war verheiratet, aber weniger exaltiert als Alma Mahler-Gropius, sie teilte Gropius’ berufliche Interessen und bestärkte ihn offenbar auch in seiner Eitelkeit. In einem Brief an seine Geliebte schrieb er: Es scheine, als sei er in einem Alter und einer Geistesverfassung, welche die Frauen anziehe, da viele ihm Avancen machen würden. Das dürfe sie jedoch nicht anfechten, im Gegenteil. „Nach der süßen Frankfurter Sättigung bin ich in meiner erotikfreien Epoche und gehe ganz in meiner geistigen Arbeit auf“, so Gropius weiter. Irgendwann wurde Lily Hildebrandt von der ebenfalls verheirateten Dichterin Maria Benemann abgelöst, die Liebe zu ihr beschrieb Gropius in einem Brief an sie als „Flammenbrand“ und sich selbst als „Wanderstern“.

Doch dann lernte er auf einer Vortragsreise 1923 Ilse Frank kennen, die er, weil es für ihn aparter klang, Ise nannte. Nur fünf Monate später heirateten die beiden. Erst sie brachte Ruhe in sein Leben. Die gelernte Buchhändlerin gab ihren Beruf auf und trat in den Dienst des Bauhauses ein, als Sekretärin, Lektorin, Organisatorin und für Gropius als „Partner von gleichem Rang“. Ise Gropius warb so unterschiedli-che Prominente wie Albert Einstein oder den Kölner Bürgermeister und späteren Bundeskanzler Konrad Adenauer als Bauhaus-Paten, sie besorgte Fördergelder und Aufträge für die Werkstätten, sie beschwichtigte Kritiker, und sie war private Thera-peutin und Trösterin. Und schon bald nannte Walter Gropius seine Frau liebevoll „Frau Bauhaus“.

Dass aber auch „Frau Bauhaus“ eine Affäre hatte, blieb eher im Geheimen. Die Liebschaft mit dem Fotografen, Typografen und Grafikdesigner am Bauhaus, Herbert Bayer, hatte 1930 am Bauhaus in Dessau begonnen und bestand fort bis zur Emigration von Ise und Walter Gropius im Jahr 1934 nach England. Bayers Ehefrau, Irene Bayer, die mit der gemeinsamen Tochter in Berlin lebte, sprach anschließend von „Wochen und Monaten der Folterqualen“, aus denen sich zunächst eine unfriedliche Dreiecksbeziehung entwickelte. Später endete es in einer Trennung, was Herbert Bayer tief traf, denn er liebte seine Tochter sehr. Sicherlich wusste auch Walter Gropius von dieser Affäre, doch öffentlich zur Sprache kam sie nicht.