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Digitale Kommune Das Rathaus für die Hosentasche

Auf einem Praxistag wollen Verwaltungs- und IT-Experten einen Ausweg aus der digitalen Sackgasse suchen. Vorbild könnte die Stadt Tangerhütte sein, in der es seit 2020 ein Digitales Rathaus gibt.

Von Christian Wohlt 16.08.2024, 07:00
IT-Experte Hagen Woecht  hat mit seinen Mitarbeitern Behördengänge im Tangerhütter Rathaus  für Bürger deutlich vereinfacht.
IT-Experte Hagen Woecht hat mit seinen Mitarbeitern Behördengänge im Tangerhütter Rathaus für Bürger deutlich vereinfacht. Foto: CT-press

In der historischen Altstadt Tangermündes tummeln sich üblicherweise die Touristen. Nur ein unscheinbares Schild verweist darauf, dass in einem der malerischen alten Häuser Hochtechnologie entsteht. „Wir sind ausgesprochen klein für das, was wir machen“, sagt Hagen Woecht, der gemeinsam mit Chefentwickler Christian Giertler die 15-köpfige InnoCon Systems leitet. Einen internationalen Namen machte sich die Firma mit IT-Lösungen im Gesundheitsbereich.

Im März 2020 brachte Woecht im benachbarten Tangerhütte das erste Digitale Rathaus an den Start. Die Marke hat sich der findige IT-Experte EU-weit schützen lassen. Wo Digitales Rathaus draufsteht, steckt Innovation aus der Altmark drin. Einwohner können sich registrieren, um Leistungen der Einheitsgemeinde online zu nutzen. Zahlreiche Verwaltungsgeschäfte sind so vom Sofa aus möglich. Als Handy-App ist das Digitale Rathaus in der Hosentasche immer dabei. Das Portal bietet auch ohne Anmeldung viele Informationen. Ursprünglich sollte das System später ans Netz gehen. Die Corona-Krise beschleunigte Entwicklung und Start.

Lange hatte Woecht in der Region einen Partner für ein solches Projekt gesucht. Viele Kommunen zeigten ihm zuvor die kalte Schulter. Das Interesse oder die personelle Basis, sich diesem Thema zu widmen, fehle oft. Bei Tangerhüttes Einheitsgemeindebürgermeister Andreas Brohm (parteilos) rannte der Informatiker mit seiner Idee offene Türen ein. Die Digitalisierung der Verwaltung ist nicht nur das Steckenpferd des Stadtoberhauptes, sondern auch eine gesetzliche Norm. Seit Anfang 2023 verpflichtet das Onlinezugangsgesetz (OZG) Bund, Länder und Kommunen dazu, ihre Verwaltungsleistungen auch digital anzubieten. Tangerhütte hat diese Vorgabe fristgerecht umgesetzt, als eine der ersten von bisher nur wenigen Kommunen im Land.

Inhalte entscheidend

Digitale Rathäuser gibt es inzwischen auch in der Stadt Thale sowie den Verbandsgemeinden Arneburg-Goldbeck und Elbe-Havel. In Zörbig und Kalbe/Milde wird das Angebot derzeit eingerichtet. In der Hansestadt Gardelegen sollen zunächst Terminbuchungen angeboten werden, ebenso im Einwohnermeldeamt der Hansestadt Stendal. Einige Kommunen arbeiten mit anderen Softwareanwendungen. Darauf komme es letztlich aber nicht an, sagt Brohm. Entscheidend seien die Inhalte. Jeder behandle das Thema Digitalisierung, wenn überhaupt, nach eigenen Vorstellungen. „Wir haben eine Lösung entwickelt, die sich problemlos und kostengünstig auf alle übertragen ließe“, so der Tangerhütter.

Von einem echten digitalen Durchbruch ist in den Verwaltungen Sachsen-Anhalt bisher nichts zu spüren. „Wir sind in einer Sackgasse“, sagt der Bürgermeister. Es fehle ein Konzept, eine einheitliche Linie und Rückenwind vom Land, ist er sich mit Marco Langhof einig. Die Kommunen bräuchten klare Vorgaben und Unterstützung bei der Umsetzung der Digitalisierung, sagt der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der IT-Wirtschaft Sachsen-Anhalts. Das Digitale Rathaus lobt Langhof als praktikables Modell. Es gebe aber auch andere Anbieter. Seit Jahren werde das Thema diskutiert. „Es gab immer nur wolkige Aussagen“, ärgert sich Langhof. Andere Bundesländer seien auch nicht viel weiter. „Aber das ist keine Entschuldigung“, so der Verbandschef.

Die Vorreiter nehmen die Sache nun selbst in die Hand. Unter dem Motto „Wir machen´s digital“ laden Woecht und Brohm Vertreter aller Kommunen im Land für den 19. September zu einem Praxistag ins Tangerhütter Rathaus ein. Nicht virtuell, sondern ganz leibhaftig wollen sie mit Bürgermeistern, Amtsleitern, IT-Experten und weiteren Beteiligten die Erfahrungen des Digitalen Rathauses kommunizieren und austauschen. „Mindestens ebenso interessant ist es auch, zu erfahren, was andere Kommunen digitalisiert haben, wie groß der Aufwand dabei ist und welchen Nutzen bestimmte Verfahren mit sich bringen“, hofft Woecht auf reges Interesse. Vertreter der Hochschule Magdeburg-Stendal und der IHK Magdeburg hätten ihre Beteiligung bereits zugesagt. Auch der IT-Verbandschef will sich dazugesellen. Er erwarte eigentlich, dass das Land einen solchen Dialog und die Vernetzung organisiere, sagt Langhof. Die Chance, zumindest bei der Gelegenheit mit den Betroffenen direkt ins Gespräch zu kommen, bleibt ungenutzt. „Das Digitalministerium sieht sich leider nicht in der Lage, einen Vertreter zu schicken“, bedauert Woecht.

Die Ungeduld und Beharrlichkeit des Altmärkers liegen sicherlich in seinen persönlichen Erfahrungen begründet. Im Jahr 2014 zog der gebürtige Tangermünder mit dem 2010 in Berlin gegründeten Unternehmen in seine Heimatstadt. Die Region sei nicht nur wegen ihrer landschaftlichen Reize lebenswert. Auch die Rahmenbedingungen, einschließlich vernünftiger Internetverbindung, würden in der historischen Kleinstadt stimmen. Der Standort, abseits der Ballungszentren, sei für die Firma kein Nachteil, sagt Woecht.

Schwerpunkt Portallösungen

Die Referenzliste liest sich wie ein Who’s who der Branche. Als namhafte Kunden nennt er vier Bundeswehrkliniken, die Charité in Berlin und eine große Privatklinik-Kette. Schwerpunkte sind Portallösungen, also die Bereitstellung von Webseiten mit Anmeldung im Internet für Krankenhäuser, Kommunen und weitere öffentliche Dienstleister. „Digitale Dokumente“ erlauben es, Papier vollständig abzulösen. „Digitale Dokumente können das, was Papier kann und darüber hinaus einiges mehr“, sagt der IT-Spezialist.

IT-Experte Hagen Woecht (rechts) und Verwaltungschef Andreas Brohm haben gemeinsam das Digitale Rathaus entwickelt.
IT-Experte Hagen Woecht (rechts) und Verwaltungschef Andreas Brohm haben gemeinsam das Digitale Rathaus entwickelt.
Foto: ct-press