Brüssel geht gegen Ökostrom-Rabatte vor / Eisengießerei in Tangerhütte wäre schwer getroffen "Das würden wir kaum überstehen"
Magdeburg l Die EU-Kommission greift die milliardenschweren Industrie-Rabatte bei der Förderung von Ökostrom in Deutschland an. In Sachsen-Anhalt fürchten Betriebe um ihre Existenz und Arbeitsplätze. Der Chef der Eisengießerei in Tangerhütte spricht von einer Katastrophe.
In der Technoguss-Eisengießerei in Tangerhütte geht es um die Zukunft von 185 Beschäftigten. Das Unternehmen stellt unter anderem Seiltrommeln und Industriearmaturen her. Stromkosten pro Monat: 120000 Euro.
"Wenn wir die Ökostromumlage zurückzahlen müssten, wäre das für uns eine Katastrophe", sagt Geschäftsführer Rüdiger Schulz. "Das würden wir kaum überstehen." Zwar will er aus Wettbewerbsgründen keine Zahl nennen, aber die Gießerei müsste ihre Preise dermaßen anheben, dass wichtige Kunden abspringen und kostengünstiger im Ausland bestellen würden, verdeutlicht Schulz die Situation.
Hintergrund: Unternehmen, die einen hohen Stromverbrauch haben, sind von der sogenannten EEG-Umlage so gut wie befreit. Nach Ansicht der EU-Kommission verstoßen die Nachlässe wahrscheinlich gegen die Grundprinzipien des fairen Wettbewerbs in Europa. Sie glaubt, dass es sich um verbotene Staatsbeihilfen handelt.
Sollte die Wirtschaft die Rabatte zurückzahlen und die Umlage künftig wieder voll entrichten müssen, hätte das neben der Eisengießerei in Tangerhütte auch für viele andere Unternehmen in Sachsen-Anhalt ernste Konsequenzen.
"Die Gefahr ist sehr groß", sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie in Sachsen-Anhalt, Matthias Menger. Das würde für viele Firmen "erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten" bedeuten und Arbeitsplätze gefährden. Menger zufolge arbeiten in energieintensiven Metall- und Elektrounternehmen landesweit 12000 Menschen. In Sachsen-Anhalt sind 165 Betriebe unter anderem aus den Bereichen Chemie, Kunststoff und Metall von der EEG-Umlage befreit.
Alarmiert sind auch die Magdeburger Verkehrsbetriebe. Wäre das Unternehmen beim Fahrstrom nicht von der EEG-Umlage befreit, müsste es jährlich 1,3 Millionen Euro mehr schultern. "Das müssten wir dann durch Fahrpreiserhöhungen kompensieren", sagt Sprecherin Juliane Kirste.
Für die Harms Lohnhärterei in Magdeburg, Spezialist für die Wärmebehandlung unter anderem von großen Zahnrädern für den Schwermaschinenbau, wären die Folgen von Nachzahlungen und möglicher kommender Mehrbelastungen "beträchtlich", sagte Hans-Günter Seiffert aus der Firmenspitze. Auf das Unternehmen mit 40 Beschäftigten würde eine Summe im fünf- bis sechsstelligen Bereich zukommen. "Die wirtschaftlichen Konsequenzen wären kaum absehbar."
Enorme Probleme hätte auch die chemische Industrie. Beispiel Leuna. Die Unternehmen an dem Standort haben im Jahr 2000 eine Million Euro EEG-Umlage gezahlt, dieses Jahr wahrscheinlich 15 Millionen Euro. Ohne eine Entlastung wären es jährlich 60 Millionen Euro. Für diesen Fall müssten Anlagen heruntergefahren und Arbeitsplätze abgebaut werden.
Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Hartmut Möllring (CDU) blickt deshalb "mit großer Sorge" nach Brüssel. Gerade die großen und international orientierten Unternehmen Sachsen-Anhalts stünden unter erheblichem Druck. Eine Entscheidung gegen sie würde deren Wettbewerbsfähigkeit "maßgeblich beeinflussen und Hunderte von Arbeitsplätzen im Land gefährden".