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Ministerpräsident Haseloff weist Brandappell von Ruhrgebiets-Oberbürgermeistern zurück "Der Osten taugt nicht zum Prügelknaben"

Von Michael Bock 21.03.2012, 04:09

Oberbürgermeister der hoch verschuldeten Städte im Ruhrgebiet fordern ein Ende der Milliarden-Hilfen für die neuen Länder. In Sachsen-Anhalt stößt der Aufschrei aus dem Westen auf Unverständnis.

Magdeburg l Die Oberbürgermeister haben im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf die Debatte um Finanzhilfen für den Osten neu entfacht: "Der Solidarpakt Ost ist ein perverses System, das keinerlei inhaltliche Rechtfertigung mehr hat", sagte der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) der "Süddeutschen Zeitung". "Der Osten ist mittlerweile so gut aufgestellt, dass die dort doch gar nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld."

"Es muss Schluss sein mit der Verteilung nach Himmelsrichtungen", sagte Oberhausens Oberbürgermeister Klaus Wehling. Sein Gelsenkirchener Amtskollege Frank Baranowski, der auch Chef der Ruhr-SPD ist, forderte die Abschaffung des Solidarpakts: "Wir können nicht bis 2019 warten."

In Sachsen-Anhalt rief dieser Brandappell Unverständnis hervor. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte der Volksstimme: "Die Finanzprobleme einiger westdeutscher Kommunen resultieren gewiss nicht aus dem Solidarpakt. Insofern taugt der Osten nicht zum Prügelknaben. Solange die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands nur bei 70 bis 80 Prozent des Westniveaus liegt, sind die Solidarpakt-Mittel auch im Interesse Westdeutschlands unverzichtbar. Wer mit diesem Thema Wahlkampf machen will, trägt in unverantwortlicher Weise zu einer neuen Spaltungsdiskussion zwischen Ost und West bei."

Nach Angaben des Magdeburger Politikwissenschaftlers Wolfgang Renzsch lag die Wirtschaftskraft Sachsen-Anhalts im Jahr 2010 bei 22337 Euro je Einwohner, in Nordrhein-Westfalen waren es 30430 Euro pro Einwohner.

CDU-Landeschef Thomas Webel bekräftigte: "Wir haben nach wie vor Nachholbedarf." Er warnte davor, "den Osten als Feindbild zu entdecken". CDU-Fraktionschef André Schröder sagte, die Oberbürgermeister hätten sich "im Ton vergriffen". Und: "Diese Zuspitzung hat eine neue Qualität. Der Verteilungskampf wird härter." Die SPD versuche in Nordrhein-Westfalen, "mit antisolidarischen Gedanken Wahlkampf zu machen".

Die Landes-SPD ging mit den NRW-Genossen hart ins Gericht. Finanzminister Jens Bullerjahn sagte der Volksstimme, der Vorstoß sei "in der Sache falsch und politisch unklug". Bullerjahn: "Das ist Stammtisch-Niveau." Er verwies darauf, dass die Steuerkraft der neuen Länder bei gerade mal knapp über 50 Prozent der Westländer liege. Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) sagte: "Auch die Städte im Westen brauchen eine angemessene Finanzausstattung. Das darf aber nicht zu Lasten der Ostkommunen gehen."

Die Chefs der SPD-Fraktionen aller neuen Länder wiesen die Forderung nach sofortiger Abschaffung des Solidarpaktes zurück. "Ostdeutschland ist auch in den nächsten Jahren auf die solidarische Unterstützung Westdeutschlands angewiesen, um am Ende des Jahrzehntes auf eigenen Beinen stehen zu können", hieß es in einer Erklärung. "Solange die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands nur bei 70 bis 80 Prozent des Westniveaus liegt, darf die zugesagte Unterstützung nicht in Frage gestellt werden. Das hat nicht nur mit Solidarität, sondern auch etwas mit Verlässlichkeit zu tun."

Der Vorsitzende der sachsen-anhaltischen Linken-Fraktion, Wulf Gallert, sprach von "plumpem Populismus". Und: "SPD-Bürgermeister im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen vorzuschicken, um den Solidarpakt zu diskreditieren - das ist ein unwürdiger, verlogener und billiger Vorgang. Leider kann er nicht einmal recht verblüffen, hat doch namentlich die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft schon mehrfach in eben diese Kerbe geschlagen." Seite 7