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Deutsche UmwelthilfeAbmahnung als Millionengeschäft

Wie die Deutsche Umwelthilfe mit einer umstrittenen Praxis die Kassen füllt und wie ein Autohändler aus Sachsen-Anhalt sich dagegen wehrt.

Von Matthias Fricke 11.12.2018, 00:01

Calvörde l Dietmar Lüders ist an jenem 4. August 2017 gerade bei der Geburtstagsfeier seines 85-jährigen Vaters, als er einen Anruf von einem seiner Mitarbeiter erhält. „Chef, die Deutsche Umwelthilfe hat sich gemeldet und die wollen uns abmahnen“, sagt er knapp. Kurze Zeit später spuckt das Fax mehrere Seiten mit der Überschrift aus: „Unterlassungs-anspruch zu Verstößen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb: Irreführende Angaben zum Kilometerstand in der Werbung“.

Er soll eine Abmahngebühr von 229,34 Euro zahlen und sich dazu verpflichten, künftig solch einen Fehler nie wieder zu machen. Ansonsten werden 5000 Euro fällig. Der Grund für die juristische Keule ist in der Anzeige eines kleinen lokalen Werbeblättchens mit dem ungeschulten Auge so gut wie nicht erkennbar: An einem der acht angebotenen „Vorführ- oder Gebrauchtwagen“ ist der Kilometerstand in Mini-Schrift mit „101 Kilometern“ angegeben. Damit ist der Wagen laut EU-Recht mit seinen unter 1000 Kilometern als Neuwagen anzusehen. Und der muss nach dem Gesetz in Werbeanzeigen auch Angaben zum Verbrauch und der CO₂-Emission enthalten.

Lüders: „Mein Mitarbeiter hat natürlich gleich bei der Umwelthilfe angerufen. Doch die Frau am Telefon sagte, dass er froh sein könne, dass der Wagen zumindest im Internet richtig beworben ist. Sonst wäre es noch teurer geworden.“ Der Autohändler stellt sich sofort hinter seinen Mitarbeiter und sagt: „Da halten wir dagegen!“

Wie das kleine Anzeigenblatt in Papierform Umwelthilfe-Geschäftsstelle nach Radolfzell am Bodensee kam, bleibt bis heute unklar. Nur ein paar Tage später flattert das Schreiben an ihn noch mal per Post in den Briefkasten. Sicher ist sicher.

Der Autohändler räumt den kleinen Fehler zwar ein, sagt aber: „Hier wird doch mit Kanonen auf Spatzen geschossen.“ Zumal man auch künftig nie einen Fehler ausschließen könne und dann würden gleich Tausende Euro fällig werden.

Als er sich dann in den Foren im Internet über die Umwelthilfe beliest, steht sein Entschluss erst recht fest: „Von mir bekommen die kein Geld, für mich ist das Piratentum.“

Zahlen wird er wohl trotzdem müssen, befürchtet er. Meist gewinnt die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Und die Einnahmen aus solchen Abmahnungen erzielt die DUH inzwischen in Millionenhöhe, erfährt er später auch von seinem Anwalt, der gut hundert solcher Fälle betreut. Insgesamt sollen es laut DUH deutschlandweit 30 Verfahren pro Woche geben. Das sind rund 1500 im Jahr. Meist zahlen die Betroffenen offenbar anstandslos. In insgesamt 400 Fällen komme es zu Gerichtsverfahren, teilte die DUH der Volksstimme auf Nachfrage mit.

Doch betroffen sind nicht nur Autohändler, denen Fehler in der Beschriftung unterlaufen. Sogar Möbelhäuser sollen eine Abmahnung erhalten haben, als zum Beispiel kleine Kinder aus Langeweile die Energie-Effizienz-Aufkleber von den Elektrogeräten abpulten. Bei Lüders in Calvörde habe sich nach einer Fernseh-Veröffentlichung telefonisch ein Hamburger Immobilien-Makler gemeldet. Lüders: „Auch der stand vor einer Klage, weil er bei einer von acht Wohnungen den Energiepass im Internet nicht angegeben hatte.“

Die DUH dürfte eine der effektivsten Lobbyorganisationen sein – für die Autoindustrie ist sie jedenfalls die gefürchtetste. Sie hatte um den Dieselrußfilter gestritten und die Umweltzonen in vielen Innenstädten durchsetzen können. Der Verein klagt gegen knapp 30 Kommunen. All das kostet viel Geld und das holt sich der Verein zunehmend aus dem Bereich „Verbraucherschutz“. Nach den bisher veröffentlichten Zahlen verfügt die Deutsche Umwelthilfe über ein Gesamtbudget von knapp neun Millionen Euro. Rund 30 Prozent, also 2,5 Millionen Euro, waren 2016 die Einkünfte aus solchen Abmahnungen. Im Jahr 2005 brachte das Geschäft gerade mal 88.111 Euro. 2013 waren es schon knapp 1,8 Millionen Euro.

Allerdings, so teilt die DUH der Volksstimme auf Anfrage mit: „Den 2,5 Millionen Euro Einnahmen stehen 2,2 Millionen Euro Kosten für die direkte ,Marktüberwachung‘ sowie 300.000 Euro für die Verbraucherberatung gegenüber. Wir machen keinen Gewinn mit der ökologischen Marktüberwachung und das ist so auch nicht beabsichtigt.“ Den Rest der Finanzierung machen Steuergelder aus, die EU und Ministerien als Fördermittel an gemeinnützige Organisationen vergeben. Zu den Einnahmen gehören auch Spendengelder.

Wobei der Autohersteller „Toyota“ am vergangenen Dienstag bereits angekündigt hat, die Zusammenarbeit Ende dieses Jahres zu beenden. Er hatte den Verein mehr als 20 Jahre mit rund 50.000 und zuletzt mit 30.000 Euro jährlich unterstützt. Für den Rückzug machte Umwelthilfe-Chef Jürgen Resch die Politik verantwortlich. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte zuvor der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ mit Blick auf die DUH und den japanischen Autobauer Toyota gesagt: „Das ist ein klassischer Abmahnverein, finanziert von einem ausländischen Autokonzern, der die deutsche Autoindustrie schwächen will.“

Ausgestiegen waren zuvor schon die Telekom, die Krombacher-Brauerei und Volkswagen unter anderem wegen der vermehrten Dieselklagen.

Rechtlich gesehen ist die Umwelthilfe schon seit zehn Jahren für solche Abmahnungen tatsächlich autorisiert. Sie gehört seit dieser Zeit zu den 78 vom Bundesministerium für Justiz klageberechtigten Einrichtungen in Sachen Verbraucherschutz. Neben Mietervereinen, Verbraucherzentralen, dem Bund der Energieverbraucher, Foodwatch, gehört auch der ADAC dazu. Ziel des dafür zugrunde liegenden „Unterlassungsklagegesetzes“ ist, wie der Name es sagt, das Unterlassen. Nicht das Geldverdienen.

Doch die Praxis der Umwelthilfe legt etwas anderes nahe, wie das Wirtschaftsmagazin „Capital“ bei einer Umfrage herausfand. Von den 78 klageberechtigten Unternehmen äußerten sich 65. Von diesen erklärten 46, dass sie überhaupt keine Einnahmen aus Abmahnpauschalen und Vertragsstrafen erzielen. Die Verbraucherzentralen landeten oft nur bei einer vier- bis fünfstelligen Summe. Die Berliner Zentrale gab ihre Summe zum Beispiel mit 395 000 Euro an.

Das ist ein Unterschied zu den Summen, die die DUH einnimmt. Trotzdem wehrt sich der Verein gegen Bezeichnungen, wie sie Ministerpräsident Laschet in den Mund nahm: „Klassischer Abmahnverein.“

Die Umwelthilfe meint dazu: „Diese Unterstellung kommt seit zehn Jahren von der Autoindustrie. Die DUH mahnt keine Verbraucher ab. Wir kontrollieren seit 14 Jahren die Einhaltung von umweltbezogenen Verbraucherschutzvorschriften in 20 Rechtsgebieten gegenüber Herstellern bzw. dem Handel.“ Als klageberechtigter Umwelt- und Verbraucherschutzverband sei man „Bestandteil der deutschen Rechtspflege“ und habe in dieser Funktion einen bestimmten Auftrag.

Rechtsanwalt Frank Jahn aus Erlangen in Bayern sieht das anders: „Die ziehen nur vor Gericht, um an das noch größere Geld zu kommen. Wenn jemand die Unterlassungserklärung unterschreibt, ist er beim nächsten kleinsten Verstoß gleich mit mehreren tausend Euro dabei. Das ist wie Gelddrucken.“

Der Deutschen Unwelthilfe wirft er vor, „unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes“ Kasse zu machen. Er selbst hatte erst kürzlich ein Autohaus vertreten, das ähnlich wie Dietmar Lüders bei einem Fahrzeug mit einem Kilometerstand unter tausend Kilometer eine CO₂-Angabe vergaß. „Mal ehrlich, dem Endverbraucher ist das doch am Ende völlig wurst“, sagt er. Dennoch wollte am Ende sein Mandant unterschreiben, aber mit dem Zusatz, „dass die Strafen für künftige Verstöße das Gericht festlegt.“ Doch darauf ließ sich die Deutsche Umwelthilfe nicht ein. Sie wollte die geforderten 5000 Euro im Fall eines Verstoßes. Der Autohändler unterlag am Ende.

Auch Lüders rechnet mit einem Urteil, meint aber: „Wenn der Verein auch nur irgendetwas für die Umwelt tun würde, würde ich ja anstandslos zahlen. Dem ist aber nicht so. Der Name ist doch völlig irreführend.“

Das sehen offensichtlich zurzeit auch 130.000 Unterstützer ähnlich, die dem Verein die Gemeinnützigkeit aberkennen wollen. Zudem beschloss die CDU auf ihrem Bundesparteitag am Wochenende, dafür ebenfalls einzutreten und finanzielle Hilfen zu streichen. Das Bundesumweltministerium lehnt das aber bisher ab. Hintergrund des Streits ist der juristische Kampf der Umwelthilfe für Dieselfahrverbote in den Innenstädten.

Den Protest ficht die Umwelthilfe aber nicht an. Die DUH-Geschäftsführung meint: „Wir engagieren uns seit über 40 Jahren für den Umwelt- und Verbraucherschutz. Aktuell erhalten wir sehr viel positive Rückmeldung.“ Die Petition stamme „aus dem Umfeld der AfD“, so ordne man sie auch ein.

Auch Lüders unterschrieb die Petition, aber weil er davon überzeugt ist, dass die DUH kein gemeinnütziger Verein sein kann. Der Autohändler ist seit 35 Jahren selbstständig und parteilos.