Mehr als 12000 Biker von 70 europäischen Harley-Davidson-Clubs feiern Pfingsten im Harz Die Harley Davidson: Ein Motorrad, aber auch eine Lebensphilosophie
Tausende von Zelten, Pizzabuden, Getränkeständen, Bühnen für 22 Bands, dazwische die knatternden Sportster, Dyna und die anderen Harley-Modelle - in Schwarz, Silber, Gold, mit Nieten geschmückt oder Tierschädeln. Und über allem liegt der Duft des "Biker-Chanells" - verbranntes Motorenöl.
Ballenstedt l "Harleyfahren ist für die meisten Harley-Davidson-Freunde ein Teil ihres Lebens", sagt einer, der es wissen muss - Norbert Natusch, der Mann, der 1974 den Harley-Davidson-Club Deutschland gründete und sein erster Vorsitzender war. "Die Leute sparen sich ihre Maschinen, die Ausrüstung und das Outfit regelrecht vom Munde ab. Die Bikes sind ihre Lebensphilosophie."
Der 73-Jährige geht gestern auf dem Ballenstedter Verkehrslandeplatz durch die schier endlosen Reihen von Harleys, Minizelten, Dixi-Klos und frühstückender Menschen. Gekleidet in Leder oder Shorts, viele Männer mit ergrauten, dafür schulterlangen Haaren - Pferdeschwanz ist in - bärtig wie weiland die Helden des Harley-Kult-Streifens "Easy Rider" (USA 1969), der eine mit Strohhut, der andere mit Lederkopfbedeckung, einige mit Piratentüchern.
"Eine richtig schöne Feiergemeinde", freut sich der Altpräsident, "völlig entspannt." Und dann wird seine Stimme ernst: "Mit den ,Bandidos\' und den ,Hells Angels\' haben wir nichts gemein, lediglich, dass einige in den Rockerclubs auch Harleys fahren." Trotzdem würde sein Club immer wieder mit den MCs in einen Topf geworfen.
In Ballenstedt findet am Pfingstwochenende das jährliche Treffen der 70 europäischen Harley-Davidson-Clubs statt - die sogenannte Super Ralley. Die erste wurde 1964 im niederländischen Francorchamps zelebriert, 2011 feierte die "Familie" in Vilnius (Litauen), im nächsten Jahr erwartet das polnische Wroclaw die "heißen Öfen".
Sehe ich die Menschen hier so friedlich feiern, kommen mir die Tränen"
László aus Budapest stellt seinen "Fat Boy" ab und nimmt den schwarzen Helm vom Kopf. "Elf Stunden, gut 900 Kilometer", sagt er. "Ich hätte es auch in achteinhalb Stunden schaffen können, aber ich wollte ja schließlich etwas von der Gegend sehen."
Das ist auchfür Günter Osterhaus ein wichtiges Argument für das Harley-Fahren. "Was ich auf meinen Motorradtouren alles gesehen habe, hätte ich im Auto nie mitbekommen", sagt der Mann aus Iserlohn in Nordrhein-Westfalen.
Der Weißbärtige neben ihm, der ein wenig an "Bigfoot" erinnert, nickt zustimmend. Auf seinem schwarzen T-Shirt steht in grellem Gelb über der Karrikatur eines Motorradfahrers: "Leise ist Scheiße."
In Deutschland gibt es rund 700 Harley-Davidson-Clubs mit mehr als 30000 Mitgliedern. Und der verdacht drängt sich auf, dass alle in Ballenstedt sind.
Vor dem T-Shirt-Stand steht eine lange Schlange. Jeder, der hier ist, will ein "Super-Ralley-2012"-T-Shirt kaufen. 10000 Stück hat der Veranstalter geordert - "zumeist die etwas stärkeren Größen", sagt Osterhaus.
Gleich neben dem Zelt, in dem die Shirts verkauft werden und in dem sich die große Fotowand mit Bildern der vergangenen Club-Treffen befindet, geht es einige Nummern kleiner, aber mit demselben Engagement zu. Ronny, Marcel und Daniel aus Ballenstedt halten die Ehre der Simson-Fahrer hoch. Alles, was "Schwalbe", "Star" oder "Sperber" heißt, ist für die jungen Männer ebenso Kult wie die Harleys für die "Großen".
"Wir waren mit unseren Simsons schon in Schottland und über die Alpen in Italien", sagt Ronny. Sie seien zwar eine kleine Gruppe, aber sie machten schon "was los". Auch ein Simson-Treffen gebe es. Allerdings lange nicht so oppulent wie die Harley-Sause.
Norbert Natusch kann sich noch genau daran erinnern, wie bei ihm die Harley-Sucht begann. "Los ging es in Deutschland erst nach dem Krieg. Bei den Nazis war doch eine Ami-Maschine tabu."
Er selbst habe vor 54 Jahren mit einer 350er "Ariel" mit Seitenwagen angefangen. Später sei er auf eine Zündapp umgestiegen, anschließend auf eine 500er NSU.
"Dann habe ich mir gesagt: Es gibt doch auch noch etwas anderes als deutsche Maschinen und habe mir in Belgien eine ausrangierte Polizei-Harley besorgt - für 200 D-Mark. Die Leute haben mich alle für bekloppt gehalten."
Doch beim Harleyfahren allein blieb es nicht. Der Kölner wollte den ersten Harley-Club Deutschland gründen. Und weil er nicht kleckern, sondern klotzen wollte, fing er gar nicht erst mit einem Regional-Club an. Er rief 1973 in der Zeitung "Motorrad" zur Gründung eines Deutschland-Clubs auf.
"Wenn ich an die Handvoll Harley-Freunde von damals denke und die mehr als 12000 Menschen heute hier friedlich feiern sehe, steigen mir die Tränen in die Augen." Dann steigt der 73-Jährige auf seine Ultra Classic Electra Glide mit Seitenwagen und legt den eigens nachgerüsteten Rückwärtsgang ein.