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Ungeklärte Kriminalfälle in Sachsen-Anhalt (Teil 10) Die Todesschüsse auf den Geldtransporter

Von Bernd Kaufholz 12.08.2011, 04:33

In Sachsen-Anhalt werden Jahr für Jahr rund 1500 sogenannte Kapitalverbrechen begangen – darunter rund 100 Tötungsdelikte. Die meisten Fälle werden aufgeklärt. Doch bleiben immer noch einige Straftaten übrig und die Täter unerkannt. Die Volksstimme nimmt sich in ihrer Sommerserie gemeinsam mit Staatsanwaltschaft und Polizei einiger dieser Delikte an und fragt: Wer kann Hinweise geben?

Sietzsch. 19. Dezember 1996, kurz vor 23 Uhr. Der weiße Kleintransporter mit dem grünen Streifen und den drei Buchstaben "ADS", die für "Auskunftei, Detektive, Security" stehen, nähert sich bei Sietzsch dem Tor des Zentrallagers von "Porta". Das Möbelunternehmen hat seinen Sitz im Dreieck zwischen A14 und A9 im Saalekreis, unmittelbar an der Landesgrenze zu Sachsen.

Uwe M. identifiziert sich mit seiner Plastikkarte, dann meldet sich der 35 Jahre alte Wachmann mit einem Codewort bei der Zentrale in Bielefeld.

M. öffnet das Metalltor und fährt mit seinem Kollegen Walter G. auf das Betriebsgelände. Vor dem sogenannten Stechraum müssen die Mitarbeiter der Sicherheitsfirma ihre Zugangsberechtigung erneut mit der Chipkarte bestätigen. Danach laden sie Plastikkisten mit leeren Geldkassetten aus dem gepanzerten Fahrzeug.

Bevor sie den Tresorraum, in dem das Geld liegt, das sie abholen sollen, betreten können, müssen sie eine Zahlenkombination eintippen. So wird die Alarmanlage entschärft.

Im Geldraum nehmen sie die 80 nummerierten Kassetten aus den Plastikkisten und verstauen das Geld. In dieser Nacht sind es 378000 Mark Bares und Schecks im Werte von 700000 Mark.

Nachdem die Männer den Tresorraum verlassen haben, schalten sie das Sicherheitssystem wieder scharf.

Als sie das Gebäude verlassen wollen, stehen plötzlich zwei Maskierte vor ihnen. Der Vordere hält eine Pistole in der Hand. Die Wachleute hören den Befehl: "Geld her!" Dann überstürzen sich die Ereignisse.

Eine Schrotladung mitten ins Gesicht

Walter G. versucht, dem Pistolenmann die Waffe aus der Hand zu schlagen, was ihm jedoch nicht gelingt. Der 63-Jährige hört nur noch das Wort: "Schieß!" Dann trifft ihn ein Projektil im linken Arm.

Sein jüngerer Kollege gibt eine ganze Serie Schüsse auf die Gangster ab. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit trifft er jedoch keinen der Räuber. Denn später werden keine anderen Blutspuren als die der Wachleute gefunden.

Uwe M. wird bei dem Schusswechsel von einer Schrotladung aus der Pumpgun des zweiten Maskierten ins Gesicht getroffen.

Walter G. ruft dem Schwerverletzten zu: "Wir müssen rein!", stützt seinen Partner und beide suchen im gesicherten Fahrerhaus des Transporters Schutz.

Die Räuber greifen sich die Beute und den Smith § Wesson-Revolver vom Typ Magnum, Modell 66-1/2, von Uwe M. und verschwinden damit.

Über Funk informiert G. die Zentrale der Sicherheitsfirma. Dort geht der Notruf am 10. Dezember um 0.10 Uhr ein. 50 Minuten später ist die Polizei vor Ort.

Uwe M. stirbt am 24. Dezember 1996 in der Uniklinik Halle an den Folgen des Schusses. Die Obduktion ergibt "Hirnprellung durch Schrotschuss. Besonders betroffen sind die linke Gesichts- und Halsseite".

Walter G. schildert den Ermittlern den Überfall so gut er kann. Zu den beiden Männern kann er allerdings nicht viel sagen. Ihm werden verschiedene Maskentypen vorgelegt. Er pickt sogenannte Motorradhauben heraus. Sicher ist sich der Wachmann auch, dass die beiden akzentfreies Deutsch gesprochen haben.

Da es in der Nacht geschneit hat, sind die Spuren, die die Polizei auf und vor dem Gelände vorfinden, nicht sonderlich aussagekräftig. Allerdings glauben die Ermittler, die Verbrecher über das Kartenlesegerät am Tor identifizieren zu können.

Und das sieht anfangs auch gar nicht so schlecht aus. Denn die Elektronik hat die Zutrittskarte desjenigen gespeichert, der kurz nach den beiden Wachleuten das Tor geöffnet hatte. Die Karte lautet auf den Namen Peter S. Und dieser "Porta"-Zentrallagermitarbeiter wird zum Hauptverdächtigen, wie sich Staatsanwalt Klaus Wiechmann erinnert.

"Wir haben ihn als Beschuldigten vernommen, und er hat uns erzählt, dass er seine Zugangskarte ein halbes Jahr zuvor verloren hat." Peter S. habe sich von seiner Firma eine neue ausstellen lassen. Kurz darauf habe er jedoch seine alte Karte wiedergefunden. "Von den beiden Karten konnte er uns jedoch nur die zweite, die neue, vorweisen. Die erste war verschwunden."

Dieser Umstand ist nicht besonders entlastend für den "Porta"-Mitarbeiter. Allerdings kann er ein wasserdichtes Alibi für die Tatnacht vorweisen.

Bei ihren Ermittlungen innerhalb der Belegschaft des Unternehmens stößt die Kripo auf zwei Brüder, Enrico und Torsten R. Enrico R. war bei Karteninhaber Peter S. Beifahrer in einem Auslieferungsfahrzeug.

Polizeibekannte Brüder in Verdacht

Doch aufgrund der dünnen Spurenlage bleibt es lediglich bei einem unbewiesenen Verdacht, dass einer der Brüder oder gar beide etwas mit dem blutigen Überfall zu tun haben. Die Ermittlungen verlaufen im Sande.

Zu dem polizeilich bekannten R.-Brüdern gehört noch ein dritter junger Mann - Udo R. Er verunglückt drei Jahre nach dem Überfall mit seinem BMW tödlich. Er rast in einer Kurve ungebremst gegen einen Baum. Auf trockener Straße, ohne Alkohol, ohne Fremdeinwirkung. War es Selbstmord, weil er mit dem Wissen um die Tat im Dezember 1996 nicht mehr zurechtkam? "Spekulation", meint Wiechmann.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Halle die Ermittlungen 1997 vorläufig eingestellt hatte, eröffnet sie 2007 ein Verfahren gegen Torsten R. wegen Mordes. R. hat in einer Stadt südlich von Halle ein teuer ausgestattetes Bestattungsunternehmen gegründet. Die Polizei vermutet, dass das Geld dafür aus dem Raub elf Jahre zuvor stammen könnte. Doch die Spur führt nicht zu "Porta".

"Wir haben ausführlich mit der Witwe von Udo R. gesprochen, genauso wie mit den Freundinnen der beiden anderen Brüder, aber es gab weder einen Hinweis auf das Geld noch auf mögliche Täter", sagt Wiechmann.

Eines scheint jedoch sicher: Es müssen Insider am Werk gewesen sein. Denn Außenstehende kannten weder die Örtlichkeiten noch das Prozedere des Geldabholens. Doch auch diese Erkenntnis brachte die Ermittler bis heute nicht sonderlich weiter.

Dasselbe gilt für die Tipps, die von sogenannten Langzeitstraflern aus dem Knast bei der Kripo eingingen. Wiechmann: "Häftlinge bieten uns immer wieder Hilfe an, um im Gegenzug dafür früher rauszukommen." Doch ein wirklich heißer Tipp sei bisher nicht darunter gewesen.

Weder die Schecks noch die Pumpgun und der Revolver des Wachmanns sind wieder aufgetaucht. Mit den beiden Waffen wurde weder vor dem "Porta"-Überfall noch danach geschossen. Da die Nummern der gestohlenen Geldscheine nicht bekannt sind und sie auch nicht gekennzeichnet waren, hoffte die Polizei, wenigstens im Zuge der Euro-Umstellung einen Hinweis zu bekommen. Doch auch diese Hoffnung zerrann.

Auch dass 35000 Mark plus zehn Prozent der geraubten Summe für Hinweise auf die Täter und auf die Beute ausgelobt wurden, brachte die Ermittler keinen Schritt weiter.

Am Dienstag:

An der Mauer "hingerichtet"

Leuna. Ein Taxifahrer findet am 27. Mai 1996 in Leuna (Saalekreis) einen Toten. Der Vietnamese wurde an der Werksmauer in der Spergauer Straße regelrecht hingerichtet.