Vorstoß von Verteidigungsminister Pistorius Debatte um allgemeine Dienstpflicht: Das sagen Politiker aus Sachsen-Anhalt
Darf man jungen Menschen eine gesellschaftliche Dienstpflicht zumuten? Bundestagsabgeordnete aus Sachsen-Anhalt sehen den Vorschlag von Verteidigungsminister Pistorius mit gemischten Gefühlen.

Magdeburg - Die allgemeine Dienstpflicht könnte helfen, die Menschen und die staatliche Organisationen wieder ein Stück näher zusammenzubringen“, begründete Boris Pistorius jüngst seinen Dienstpflicht-Vorstoß. Frank-Walter Steinmeier der im Vorjahr eine „soziale Pflichtzeit“ forderte – und scheiterte.
In den Bundestagsparteien herrschen unterschiedliche Ansichten zu einer Dienstpflicht. Jeweils zwei Fragen bekamen sachsen-anhaltische Abgeordnete aller sechs Fraktionen gestellt, diese und die Antworten sind nachfolgend zusammengestellt:
Sind Sie für eine allgemeine Dienstpflicht oder dagegen?
Franziska Kersten (SPD): Ich finde die Idee einer allgemeinen Dienstpflicht, ausdrücklich keine Wehrpflicht, zumindest eine Überlegung wert. Wer ein Jahr beispielsweise in einem Krankenhaus gearbeitet hat, hat direkt größeren Respekt vor und Verständnis für die Leistungen unseres Pflegepersonals. Es muss ja kein ganzes Jahr sein – aber gemeinnützige Arbeit führt meiner Einschätzung nach zu mehr Wertschätzung und Respekt in unserer Gesellschaft. Ob eine allgemeine Dienstpflicht rechtlich, organisatorisch und finanziell machbar wäre, müssen wir aber noch diskutieren.
Kay-Uwe Ziegler (AfD): Für mich ist klar, dass unsere Bundeswehr nur im Verteidigungsfall eingesetzt werden darf. Um ihrem Verfassungsauftrag gerecht werden zu können, ist sie mit modernster Technik und ausreichend Personal auszustatten. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht können aber zehntausende Dienstposten nicht mehr besetzt werden und die Zivilgesellschaft entfremdet sich von der Bundeswehr, was sich auch in der Hinnahme ungenügender Ausstattung zeigt. Deshalb fordern wir seit Jahren die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht. Dies kann auch unter dem Pseudonym „Dienstpflicht“ geschehen.
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Jan Korte (Linke): Ich bin gegen eine Dienstpflicht. Artikel 12 unseres Grundgesetzes sagt, dass niemand zur Arbeit gezwungen werden darf. Die dort erwähnte Dienstleistungspflicht taugt nicht als Grundlage für eine Dienstpflicht. Das sagen alle juristischen Kommentare, die meine Kollegen aus CDU und SPD auch kennen müssten.
Tino Sorge (CDU): Wer sich für den Dienst an der Gesellschaft entschiedet, sollte das aus innerem Antrieb tun. Gerade in der Alten- und Behindertenpflege brauchen wir motivierte Menschen, die sich aus echter Überzeugung engagieren und nicht nach Vorschrift.
Marcus Faber (FDP): Zuletzt verletzte die Wehrpflicht das Gleichheitsgebot, da die Bundeswehr nur noch Teile eines Jahrgangs verwenden konnte und junge Menschen nach dem Zufallsprinzip eingezogen wurden. Heute müsste eine allgemeine Dienstpflicht Männer und Frauen gleichermaßen einbeziehen und dürfte nicht grundlos nach Alter diskriminieren. Das heißt also auch, dass jeder Mann und jede Frau unter 60 Jahren, die noch keinen Dienst in der Bundesrepublik geleistet haben, herangezogen werden müssen.
Wie können alternativ mehr junge Leute für den gesellschaftlichen Dienst gewonnen werden?
Jan Korte (Linke): Wie man in den Wald hereinruft, so schallt es heraus. Wenn der Staat seine Kinder in unterbesetzten, maroden Schulen hängen lässt und dann auch noch den Jugendtreff und das Schwimmbad schließt, kann nicht viel Begeisterung für öffentliche Institutionen entstehen. Zusammen an guten Nachbarschaften und einer solidarischen Gesellschaft arbeiten – dafür kann man junge Leute begeistern. Die Grundlage dafür müssen aber die Bundes- und Landesregierungen schaffen und ihren Job machen: Wir brauchen ein Sondervermögen Zukunft für unsere Kinder, statt sie zum Dienst in kaputtgesparten Sozialeinrichtungen zu verpflichten.
Franziska Kersten (SPD): Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, die Plätze in den Freiwilligendiensten nachfragegerecht auszubauen, das Taschengeld zu erhöhen und die Teilzeitmöglichkeiten zu verbessern. Gesellschaftliches Engagement darf nicht privilegierten jungen Menschen überlassen werden – jeder muss sich einbringen können. Auch Bildung ist dabei ein wichtiger Bestandteil.
Marcus Faber (FDP): Mit dem Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahr haben junge Leute die Möglichkeit sich zu engagieren. Ein freiwilliges militärisches Jahr kann ich mir gut vorstellen.
Kay-Uwe Ziegler (AfD): Eine Dienstpflicht ist möglicherweise der einzige Weg, um ausreichend Personal für die wachsenden Aufgaben zu gewinnen. Sie würde natürlich neben einer militärischen auch eine viel stärkere zivilgesellschaftliche Komponente enthalten. Entscheidend wird sein, den jungen Menschen den tiefen Sinn einer solchen Aufgabe zu vermitteln, um Verständnis für den Dienst und Engagement bei der Bewältigung zu erreichen.
Tino Sorge (CDU): Die Pandemie und der Krieg haben gezeigt, dass wir viele zivile und soziale Organisationen, aber auch unsere Sicherheit stärken müssen. Solche Dienste müssen für junge Leute attraktiver werden – insbesondere durch eine angemessene Vergütung und mehr Möglichkeiten einer direkten Übernahme. Wer ein Dienstjahr absolviert hat, sollte bei der Suche nach einem Studien- oder Ausbildungsplatz einen Vorteil bekommen. Das wäre ein klares Signal, dass der Dienst an der Gemeinschaft wertgeschätzt wird und auch für den beruflichen Werdegang von Vorteil ist.
Angefragt wurde auch Steffi Lemke, einzige Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Sachsen-Anhalt und Bundesumweltministerin. Sie ließ ihre Mitarbeiterin mitteilen: „Bedauerlicherweise werden wir es diesmal aus Kapazitätsgründen nicht bewerkstelligen können Ihnen das angefragte Statement von Steffi Lemke zu übermitteln.“ Die Antwortfrist betrug zwei Werktage plus Wochenende. Lemke hat nach Übernahme des Ministeramtes ihr Bundestagsmandat behalten. Wozu, wenn sie keine Kapazität hat, es auch auszufüllen?