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Ehe für alleZwei gegen jeden Widerstand

Annett Lazay und ihre Partnerin wollten sie sich in einer Kirche segnen lassen. Doch der Gemeindekirchenrat war dagegen.

07.07.2017, 23:01

Schönebeck l Ausgegrenzt, verhöhnt und verletzt – so hat sich Pfarrerin Annett Lazay vor ein paar Monaten gefühlt. Weil ihr das Gefühl gegeben wurde, dass sie ein schlechterer Mensch sei – wegen der Person, die sie liebt. Gerade sind die negativen Gefühle jedoch ferner denn je. Sie lächelt glücklich und nimmt die vielen Gratulationen entgegen. Es ist das Sommerfest vom Schönebecker Diakonieverein Burghof, für den sie als Vorsteherin tätig ist. Der Burghof leistet sozialdiakonische Arbeit im Bereich der Alten-, Jugend- und Behindertenhilfe. Annett Lazay ist gerade aus den Flitterwochen eingeflogen. An ihrer Seite steht der Grund für ihr Lächeln: Conny Lazay – ihre Frau.

Geht es nach dem Schönebecker Gemeindekirchenrat St. Johannis, hätte es die Segnung zwischen Annett und Conny Lazay nie gegeben. Sie haben dem Paar untersagt, sich in der Johanniskirche segnen zu lassen – der Kirche, in der auch Annett Lazay oft zur Vertretung Gottesdienste gehalten hat. Götz Beyer, Pfarrer in St. Johannis Schönebeck, findet, man könne nicht von einer „Hochzeit“, „Ehe“ oder „Trauung“ sprechen. „Eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft ist keine Ehe – auch, wenn sie im Volksmund ‚Homo-Ehe’ genannt wird“, sagt er. Und weil es keine Ehe zwischen Mann und Frau sei, gebe es auch keine kirchliche Trauung, sondern eine Segnung. Selbst dieses Angebot machte ihnen die St.-Johannis-Kirche nicht.

Nun wird sich einiges ändern. Der Bundesrat billigte gestern die Gesetzesänderung zur Ehe für alle. Die ersten Ehen von Homosexuellen sollen ab dem 1. Oktober geschlossen werden können. Künftig bekommen die Paare mit der Hochzeit alle Rechte und Pflichten wie bisher nur bei einer Ehe zwischen Mann und Frau. Im Bürgerlichen Gesetzbuch hieß es bislang: „Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen.“ Jetzt wird es heißen: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“ Es sind gerade einmal sieben Worte in einem Paragrafen, die die Rechte von homosexuellen Paaren in Bezug auf ihr Zusammenleben grundlegend verändern werden. Ein gesetzgebender Einfluss darauf, wie die Kirchengemeinden mit dem Thema umgehen, ist damit nicht verbunden.

Nachdem Conny und Annett Lazay vor einem Jahr mit Götz Beyer gesprochen haben, hat dieser zunächst die Segnung der beiden in der Johanniskirche angeboten, erzählen sie. Nach dem Gespräch habe der Gemeindekirchenrat (GKR) mehrere Sitzungen gehabt, um darüber zu entscheiden, ob die Segnung in der St.-Johannis-Kirche stattfinden dürfe – die Entscheidung fiel negativ aus. „Uns wurde gesagt, dass man uns als Einzelpersonen sehr schätze, aber nicht als Paar“, erinnert sich Conny Lazay. Es seien auch die Worte gefallen, dass eine Segnung von uns als Paar die Kirche entweihen würde, so Annett Lazay.

Dass stattdessen der Vorschlag einer Einzelpersonen-Segnung der beiden, um „den Eindruck der Segnung einer Ehe zu vermeiden“, gefallen sei, bestätigt Götz Beyer. Dieser Vorschlag ging am Ziel vorbei – finden Annett und Conny Lazay. „Der Gemeindekirchenrat ist davon ausgegangen, dass eine Segnung der beiden als Lebenspartner viele aktive Kirchenmitglieder irritieren würde“, teilt Götz Beyer in Absprache mit dem Gemeindekirchenrat der Kirchengemeinde St. Johannis mit.

An der Formulierung „davon ausgegangen“ stört sich Annett Lazay. „Der Gemeindekirchenrat hat diese Entscheidung in einem Kämmerlein getroffen – ohne die Gemeinde zu fragen. Der öffentliche Diskurs in dieser Gemeinde steht seit 20 Jahren aus“, kritisiert sie.

Etwas verklausuliert äußert sich Matthias Porzelle, Superintendent des Kirchenkreises Egeln, zu dem Schönebeck gehört, zur Entscheidung des GKR: „Christen können aus ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen Antworten auf moralische Fragen finden, die mit den gesellschaftlichen Mehrheiten deckungsgleich sind, aber nicht (...) sein müssen. Unabhängig von meiner (...) Meinung habe ich keinen Grund, diese Entscheidung infrage zu stellen, denn sie kam demokratisch zustande.“

Annett Lazay äußert sieht das differenzierter. Im Nachhinein seien viele Gemeindemitglieder entsetzt darüber gewesen, dass die Segnung der beiden nicht in ihrer Kirche stattfinden durfte. „Ich habe das Gefühl, dass ein paar wenige Fromme im Gemeindekirchenrat sitzen, die alle anderen dominieren“, so Annett Lazay.

Außerdem stellt die Pfarrerin fest, dass es in der Bibel keine eindeutigen Stellen gibt, die gegen die homosexuelle Beziehung von zwei Frauen urteilen. „Die sieben Bibel-Stellen verbieten die sexuelle Handlung zwischen zwei Männern, die im historischen Kontext bezogen waren auf einen erwachsenen Mann mit einem Jungen, insofern spielen sie auf Pädophilie und wechselnde Sexualkontakte an. Um Verantwortung, Vertrauen oder gar Liebe geht es in keiner der wenigen Bibelstellen zu ausschließlich männlicher Homosexualität.“ Das Pärchen ließ sich durch das „Urteil“ des Gemeindekirchenrates keinesfalls stoppen. Im Gegenteil. Zunächst hatte Annett Lazay einen Plan B in der Tasche. „Das war in unserem Fall die Burghofkirche, in der die Segnung letztendlich stattgefunden hat“, erzählt sie. „Trotzdem wollten Conny und ich einen Beschluss erzwingen – um Klarheit für Paare nach uns zu schaffen“, erklärt Annett Lazay. Wir wissen aus vielfältiger Erfahrung, dass die Gesellschaft und die Kirchengemeinden als Ganzes viel weiter sind, als so mancher Gemeindekirchenrat, sagen sie.

Dass es auch anders geht, beweist die Geschichte von Beate Eisert und Magdalene Wohlfarth aus Genthin. Als es zur Diskussion stand, dass die beiden in einer Partnerschaft lebenden Pfarrerinnen gemeinsam die Nachfolgerinnen des scheidenden Pfarrers werden sollten, brach eine Debatte innerhalb der Gemeinde aus. Doch letztendlich „glätteten sich die Wogen weitgehend“, wie Beate Eisert erzählt. Mit positiven Folgen: „Es wurde so viel geredet, wie wohl seit der Reformation nicht mehr“, sagt sie augenzwinkernd. Von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland gibt es zum Thema „Ehe für alle“ eine klare Aussage: „Wir unterscheiden zwischen der Verbindung von Frau und Mann und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften“, sagt Landesbischöfin Ilse Junkermann. Allerdings könnten sich gleichgeschlechtliche Paare seit 2012 segnen lassen.

Differenziert bewerten viele Pfarrer die Thematik: Pfarrer Albrecht Lindemann aus Zerbst sagt: „Für mich ist die Frage des Geschlechts der Partner nicht entscheidend.“ Die Partnerschaft sei ein Schatz. „Wem sollte man den Weg dahin versperren?“

Arnulf Kaus, evangelischer Pfarrer in Halberstadt: „Ich sehe nicht, warum die Ehe jemandem vorenthalten werden sollte.“ Pfarrerin Anne Bremer aus Aschersleben sieht das ähnlich – die Frau, die Annett und Conny Lazay gesegnet hat, nachdem die St.-Johannis-Kirche ihnen dies verweigert hatte. „Die Lazays sind so herzlich, man erkennt auf den ersten Blick wie sehr sie sich lieben“, sagt die Pfarrerin. Sie findet es erschreckend wie manche Christen denken. „Selbst, wenn jemand seine Schwierigkeiten mit gleichgeschlechtlichen Paaren hat, ist von Christen doch zu erwarten, kein Urteil zu fällen“, so die Pfarrerin. Sie hofft, dass nach der Gesetzesänderung auch in den Kirchen vermehrt diskutiert wird.

Obwohl Annett und Conny Lazay jetzt glücklich gesegnet sind, finden sie die Entscheidung des Gemeindekirchenrates schade. Sie haben niemals das Interesse daran gehabt, sich mit dem GRK zu verstreiten. Dennoch gibt Annett Lazay zu: „Das Verhältnis, das wir jetzt wieder geschaffen haben, ist ein ‚fauler Frieden‘.“ Conny Lazay hat das Ganze sehr zu schaffen gemacht. „Man fühlt sich nicht gewollt“, sagt sie. Für sie kam noch etwas dazu: „Es ist noch kein Jahr her, dass ich in der St.-Johannis-Kirche getauft und ausgesprochen herzlich in der Gemeinde aufgenommen wurde. Ich spüre da eine große Verlogenheit: erst willkommen und dann vor die Tür gesetzt.“ Kennengelernt haben sich Annett und Conny Lazay vor viereinhalb Jahren auf einer Paddeltour.

Für Annett Lazay war es ein großer Schritt, denn sie hatte eine schwierige Trennung hinter sich. „ Ich war vor Conny etwa 22 Jahre in einer Beziehung mit einer Kantorin“, sagt sie. Zwischen ihr und Conny habe es sofort gefunkt und man kann es ihr nur glauben, so strahlend wie sie ihre Frau anschaut. Das Paar will, wenn Ehen offiziell geschlossen werden können, ihre eingetragene Lebenspartnerschaft umwandeln lassen.

Annett und Conny Lazay sind davon überzeugt, dass Diversität das Leben reicher macht, statt zu Irritationen zu führen – wie der Gemeindekirchenrat es als Reaktion auf die Segnung der beiden vermutet hat. Das Sommerfest des Diakonievereins Burghof illustriert das. Alle feiern miteinander – egal ob alt oder jung, ob krank oder gesund und ob mit oder ohne Behinderung. „Das Leben wird durch das Verschieden-Sein bereichert“, sagt Annett Lazay, schaut erst Conny an und dann glücklich in die Menge.

Götz Beyer gratuliert ihnen beim Sommerfest des Burghofes etwas einsilbig am Rande. Als er am Ehepaar vorbeigeht, grüßt Annett Lazay ihn herzlich. Er hebt schnell die Hand und huscht davon.