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Elbarkaden Magdeburgs neue Forscher-City

Im einstigen Handelshafen an der Elbe entsteht für 150 Millionen Euro ein neuer Komplex für Forscher, Erfinder und Firmengründer.

Von Jens Schmidt 14.09.2018, 01:01

Magdeburg l Trennschleifer kreischen, Hämmer klopfen, Kräne drehen sich, Männer ziehen Kabel und bauen Türen ein, schwere Bagger brummen und verteilen Erde: Auf der Baustelle am Wissenschaftshafen, zwischen Elbe und Uni, herrscht Hochbetrieb. Doch es sind nicht nur die modernen Gewerke aktiv: Auf dem Gerüst stehen auch Männer, die Klinkersteine mauern. „Wie vor 100 Jahren“, sagt Patrick Schneider, Projektmanager des Immobilienunternehmens Grundtec - sein Unternehmen führt hier die Regie. Denn hier am einstigen Handelshafen regiert auch der Denkmalschutz. „Die alten Wände bleiben entweder stehen - oder sie werden nach historischem Vorbild wieder aufgebaut.“

Innen Stahlbeton, außen Klinker, Türme und Gesims. So entstehen aus alten Speichern modernste Forschungebäude und Wohnungen.

Grundtec will in den nächsten Jahren 150 Millionen Euro investieren. In den neuen Komplex „Elbarkaden“ sollen vor allem Forscher und Ingenieure der Medizintechnik einziehen. Zusammen mit Universität, Fraunhofer- und Max-Planck-Institut entsteht so in Magdeburg eines der größten Forschungszentren des Landes. Wissenschaftshafen heißt das Viertel schon seit 1994. Doch es hatte etliche Jahre gedauert, ehe richtig Schwung in die Sache kam und sich auf der größten Brache Kräne drehen. „Seit zehn Jahren sind wir da dran“, sagt Lutz Trümper. Magdeburgs Oberbürgermeister ist erleichtert, dass es nun endlich vorwärts geht. „Für Magdeburg ist das eine wichtige Nummer.“

Der Knoten platzte voriges Jahr. Das Land brauchte eine Immobilie für einen neuen Forschungscampus. Das Unternehmen Grundtec hatte alte Speicher - und wollte den Auftrag fürs schlüsselfertige Bauen. Der Landtag gab grünes Licht. Der Deal kam zustande. Sachsen-Anhalt zahlt 19 Millionen Euro, bekommt einen modernen Campus in alter Zuckerspeicher-Architektur.

Einige Mieter warten schon auf den Einzug. Ganz oben auf der Liste stehen die Forscher um Professor Georg Rose mit ihrem Forschungscampus „Stimulate“. Sie werden in gut einem Jahr in den einstigen Zuckerspeicher ziehen. „Wir sind sehr glücklich, dass wir unseren Hightech-Campus bald aufbauen können.“

Rose entwickelt mit seinen Leuten neue MRT-Geräte – um künftig auch Kleinstkinder unkomplizierter untersuchen zu können, als dies heute möglich ist. Denn: In den engen und lauten Röhre müssen die Patienten absolut still liegen, damit Bilder vom Innersten des Körpers gemacht werden können. Für kleine Kinder ein Unding. Daher müssen sie derzeit noch unter Narkose gesetzt werden. „Darüber sind alle unglücklich“, sagt Rose. Mediziner wie Eltern. Die neuen, kleineren Geräte sollen leiser und schneller arbeiten, so dass man ohne Narkose auskommt. Gebaut werden die Geräte von der Firma Neoscan. Die wiederum zieht in das benachbarte ehemalige E-Werk, das derzeit ebenfalls umgebaut wird. „Wissenschaft und Wirtschaft Tür an Tür“, schwärmt Rose.

Zudem forscht Roses Team an MRT-Geräten, die routinemäßig zu Operationen eingesetzt werden können. Für Chirurgen würden sich ganz neue Möglichkeiten eröffnen, wenn sie während des Eingriffs in Echtzeit präzise Bilder sehen können. „Das wäre eine Weltneuheit“, sagt Rose.

Grundtec-Eigentümer ist Karl Gerhold. Anfang der 90er Jahre Staatskanzleichef, wechselte er nach dem Rücktritt von Sachsen-Anhalts erstem Regierungschef Gerd Gies von der Politik in die Wirtschaft. Er baute mit Getec einen der größten Energiedienstleister des Landes auf. Seit einigen Jahren investiert er nicht nur in Kessel und Kraftwerke, sondern steckt viel Geld auch in Beton.

Gerhold gehört mittlerweile zu den großen privaten Bauherren in der Stadt. Seine Spezialität sind „schwierige“ Immobilien. Aus einem lange leerstehenden barocken Haus am Domplatz wurde ein Hotel. Aus dem verwaisten Altstadtkrankenhaus werden Wohnungen und Arztpraxen. Am bislang noch ziemlich öden Universitätsplatz plant Gerholds Grundtec ein modernes Ensemble mit Hochhaus. Nun wird die einstige Brache am Wissenschaftshafen belebt. Gerhold an jeder Ecke? Oberbürgermeister Trümper stört das nicht: „Was er macht, macht er gut. Ansprechende Architektur statt Null-Acht-Fünfzehn-Würfel.“ Und zudem: „Er traut sich an Projekte, um die viele andere einen Bogen machen.“

Auch im Wissenschaftshafen hat Grundtec noch einiges vor. Das größte Vorhaben ist der Tower: 16 Etagen, 60 Meter hoch. Noch ist es ein Papier-Projekt. Denn das Bauland gehört der Stadt - der Stadtrat muss über einen Verkauf noch entscheiden. Wer soll in den Turm hinein? „Forscher, Tüftler, Professoren, junge Firmengründer, Geldgeber, Management-Lehrer“, sagt Grundtec-Geschäftsführer Rollandy Horvath. Um die nach Magdeburg zu holen, hat er jetzt Kontakt zu einem der weltgrößten Anbieter aufgenommen. Zu „We Work“, Hauptsitz New York, Büros in allen Metropolen der Welt. Das Unternehmen vermietet Schreibtische. An Forscher, Tüftler, Einzelkämpfer. Klingt profan, ist aber derzeit ziemlich angesagt. Denn: Die Firma kümmert sich um alles - von der Druckerpatrone bis zum Kaffee. So können sich die Mieter voll in die Arbeit stürzen. Und da sie Tisch an Tisch sitzen, lassen sich beste Kontakte knüpfen. „Coworking Space“ heißen diese Art Büros.

Die Sache ist so erfolgreich, dass auch große Unternehmensberater, Steuerexperten und Anwaltskanzleien Schreibtische mieten. So bekommen sie Kontakt zu einer jungen, speziellen Kundschaft: junge Gründer, die Geld und kaufmännisches Knowhow brauchen, wohl aber nie an die Türen von Berater-Kanzlei-Palästen klopfen würden. Neuste Niederlassung von „We Work“: Berlin, Potsdamer Platz.

Und bald auch Magdeburg? Ist das nicht ein bisschen größenwahnsinnig? „Vielleicht“, sagt Rollandy Horvath. „Aber nur so wird es gelingen, den Standort langfristig zu sichern.“ Keine halben Sachen also, volle Pulle ist jetzt angesagt.

Horvath gerät ins Schwärmen. Klappt das mit dem Turm, entsteht eine Gründerszene. Dann kommen die Firmen. Und dann ist Magdeburg kein Duchlaufplatz mehr, an dem man mal billig studiert und dann wieder wegzieht. Da die Wirtschaft floriert, suchen Unternehmen wie „We Work“ in den Großstädten neue Standorte. Doch ob Berlin, München oder Hamburg - die Großen kommen an ihre Kapazitätsgrenzen. „Schweineteuer“ sind da schon die Mieten, sagt Horvath. „Hier aber ist Platz - und er ist noch bezahlbar.“ Aber was Beeindruckendes bieten muss er den Leuten in London und anderswo schon. Daher der Turm. Spätestens 2020 würde er gern mit dem Bau anfangen. „Jetzt ist die Zeit reif. In ein paar Jahren kann schon alles vorbei sein.“