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Erdfälle Sachsen-Anhalt hat etwa 1000 Löcher

In Sachsen-Anhalt gibt es rund 1000 Löcher im Boden, die sich ohne Vorwarnung aufgetan haben. Das größte "Sinkhole" misst 514 Hektar.

Von Bianca Oldekamp 29.06.2018, 01:01

Magdeburg l Schaut man sich eine Landkarte von Sachsen-Anhalt an, auf der alle Erdfälle eingezeichnet sind, wird schnell klar: Das Vorkommen von Sinkholes, also Erdfällen, in Sachsen-Anhalt konzentriert sich auf wenige Regionen. Besonders betroffen sind die Mansfelder und Sangerhäuser Mulde einschließlich Harzsüdrand sowie der Harznordrand bei Wernigerode und Blankenburg.

Erdfälle sind natürlich auftretende Geländeeinbrüche, die nicht vom Menschen beeinflusst sind. Sie kommen vor allem dort vor, wo der Untergrund aus relativ leicht löslichen Gesteinsschichten mit beispielsweise Steinsalz, Gips oder Kalkstein besteht. Und das ist in den betroffenen Gebieten der Fall. Doch auch abseits der genannten Regionen gibt es in Sachsen-Anhalt einen weiteren Erdfall, der den mit Abstand größten im Bundesland bildet: Der Arendsee mit einer Fläche von rund 514 Hektar.

Die Entstehung des heutigen Arendsees begann bereits vor rund 100 Millionen Jahren mit dem Aufstieg von Salz. In der Eiszeit wurde der Salzaufstieg dann immer stärker und der sogenannte Gipshut, der oberhalb des Salzstockes liegt, bildete sich durch fortschreitende Lösungsvorgänge. Der „Ur“-Arend­see entstand letztlich durch Senkungen und Erdeinbrüche vor etwa 10.000 bis 12.000 Jahren im nördlichen Bereich des heutigen Sees, nachdem Grundwasser das Salz weiter löste. Im Laufe der Zeit vergrößerte sich die Fläche des Erdfalls und somit die des Sees. Den letzten größeren Erdfall am Arendsee gab es 1685. Am Südostrand des Sees brach ein großes Landstück ein, wobei eine Windmühle versank. Heute erstreckt sich der Arendsee etwa 3,5 Kilometer in Ost-West-Richtung und 2 Kilometer in Nord-Süd-Richtung, was rund 514 Hektar entspricht. Die maximale Wassertiefe liegt bei 50 Metern, im Durchschnitt beträgt sie 29 Meter.

Aber auch heute kommt es im Arendsee noch zu Einbrüchen am Seeboden, sozusagen Unterwassererdfällen. Eine Gefahr für Badegäste besteht allerdings nicht. Und auch in den Regionen in Sachsen-Anhalt, in denen es häufiger zu Erdfällen kommt, sind die Menschen bisher wenig gefährdet gewesen, obwohl Sinkholes nicht vorhersehbar seien, sagt Günter Schönberg vom zuständigen Dezernat für Angewandte Geologie und Georisiken vom Landesamt für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt.

Insgesamt gibt es in Sachsen-Anhalt rund 1000 Erdfälle unterschiedlicher Größe. Allerdings kommt keiner von ihnen an die Ausmaße des Arendsees heran. Den Überblick über all diese Sinkholes hat unter anderem Günter Schönberg. Gemeinsam mit seinen Kollegen begutachtet er gemeldete Erdfälle und erfasst deren Daten.

Diese fließen in eine Datenbank ein, in der unter anderem der Standort der einzelnen Erdfälle vermerkt ist, sodass im Laufe der Jahre eine Gefahrenhinweiskarte entstehen konnte. Und die weist insbesondere die Regionen Mansfelder und Sangerhäuser Mulde einschließlich Harzsüdrand und den Harznordrand als „Gefahrengebiete“ aus.

Bei der Datenerfassung werden außerdem Größe und Tiefe der einzelnen Erdfälle festgehalten. Rund die Hälfte der Sinkholes in Sachsen-Anhalt haben einen Durchmesser von bis zu drei Metern, die Größten – abgesehen vom Arendsee – messen zehn Meter, selten mehr. Unabhängig vom Durchmesser sind fast die Hälfte aller Erdfälle im Bundesland nur einen Meter tief.

Festgehalten wird außerdem, welcher Untergrund sich am Standort von Erdfällen befindet. So befinden sich 82,1 Prozent der Sinkholes in Gebieten mit einem Untergrund aus Zechsteinschichten. Zechstein ist eine Gesteinseinheit, die sich vor 257 und 252 Millionen Jahren vor Heute (Oberperm) bildete und sehr viele Salzschichten enthält. Auch der Arendsee als größter Erdfall in Sachsen-Anhalt entstand in einem Gebiet mit einem Untergrund aus Zechsteinschichten.

Das letzte vom Landesamt für Geologie und Bergwesen registrierte Sinkhole entstand in einem Garten eines Hauses in Wernigerode. Nachdem die Grundstückseigentümer das Landesamt verständigt hatten, übertrugen Günter Schönberg und seine Kollegen alle vor Ort erfassten Informationen zum Erdfall in ihre Datenbank. Die Grundstückseigentümer ließen den circa 20 Kubikmeter großen Hohlraum, der nur ein Loch mit einem Meter Durchmesser an der Oberfläche aufwies, verfüllen – auf eigene Kosten. Denn nur wer eine Elementarschadenversicherung abgeschlossen hat, bleibt nicht auf diesen Kosten sitzen. Nicht völlig auszuschließen ist allerdings, dass sich erneut ein Loch an dieser Stelle auftut.

Und dass sich ein Erdfall, nachdem das entstanden Loch verfüllt wurde, an gleicher Stelle wiederholen kann, zeigte sich unter anderem an der Bundesstraße 180 bei Eisleben. Hier kam es 1987 erstmals zu einem Erdfall im Bereich der Fahrbahn. Beide Spuren sackten ab und machten die Durchfahrt unmöglich.

Um den Schaden zu beheben und einem neuen Erdfall vorzubeugen, wurden Maßnahmen zur Sicherung und eine Frühwarnanlage unterhalb der neuen Teerschicht eingebracht – ohne dauerhaften Erfolg. Im Oktober 2001 gab es einen Nachbruch mit einem Durchmesser von 20 Metern und einer Tiefe von bis zu zehn Metern. Nach diesem zweiten Vorfall wurde die Straße gesperrt und der Verlauf der Bundesstraße schließlich verlegt.

Bei der Erfassung der Daten notiert Günter Schönberg außerdem, wann der Erdfall aufgetreten ist. „Aufgrund von Schneeschmelze kommt es in Sachsen-Anhalt besonders im März und April zu Erdfällen“, sagt Günter Schönberg. Auch der bisher einzige Erdfall, der in Magdeburg erfasst wurde, ereignete sich im März. Nahe der Salzquelle im Süden des Magdeburger Rotehornparks, gab es Anfang März 1933 einen Erdfall mit einem Durchmesser von rund 25 Metern und einer Tiefe von drei Metern. Grund für dieses Sinkhole und die nahe gelegene Salzquelle: Die Stadt Magdeburg liegt in einem Gebiet, in dem sich die Erdkruste vor vielen Millionen Jahren gehoben hat. In einem schmalen Streifen haben unter anderem auch Salze des Zechsteins die Oberfläche erreicht bzw. liegen nur wenige Meter tief, so dass sie vom Grundwasser gelöst wurden. Durch den Erdfall nahe der Salzquelle versiegte diese weitestgehend aufgrund des mit dem Erdfalls einhergehenden Druckabfalls des hier aufsteigenden Wassers.

Wann der nächste Erdfall in Sachsen-Anhalt auftritt, kann Günter Schönberg nicht vorhersagen. Wahrscheinlich ist aber, dass er sich wieder in einem der Gefahrengebiete ereignet. Verletzt wurde durch einen Erdfall bisher niemand.