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Erinnerungskultur Gegen das Vergessen der NS-Verbrechen

Ines Doberanzke-Milnikel aus Beendorf (Bördekreis) hat für ihr Auschwitz-Projekt das Bundesverdienstkreuz bekommen.

Von Janette Beck 27.12.2018, 00:01

Beendorf l Wie feiert eigentlich eine frischgebackene Trägerin des Bundesverdienstkreuzes ins neue Jahr? Ganz in Ruhe, und „ohne viel Tamtam“, mit dem Ehemann und Freunden in geselliger Runde. Aus gutem Grund: Ines Doberanzke-Milnikel, 47 Jahre alt, gebürtige Magdeburgerin, in Wefensleben aufgewachsen und seit 16 Jahren bei Volkswagen in Wolfsburg tätig, hat gerade jede Menge Jubel, Trubel, Heiterkeit hinter sich. Ihre besondere Ehrung schlug nämlich nicht nur im Konzern Wellen, sondern natürlich auch in der 1000- Seelen-Gemeinde Beendorf sowie im familiären Umfeld und Freundeskreis.

Ohnehin sei der „Ritterschlag“ durch den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier nur schwer zu toppen, meint die Geehrte: „Das ist etwas ganz Besonderes und das erlebt man nur einmal im Leben. Ich kriege immer noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke.“

Ein Bundesverdienstkreuz bekommt man nicht geschenkt. Es wird, wie der Name verrät, für Verdienste verliehen. Und die hat sich die Diplom-Sozialpädagogin durch ihr unermüdliches Wachhalten der Erinnerungen an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, den Holocaust, erworben.

Seit drei Jahrzehnten arbeiten Volkswagen und das Internationale Auschwitz-Komitee (IAK) bei der Erhaltung der KZ-Gedenkstätte in Auschwitz eng zusammen. Und Ines Doberanzke-Milnikel leitet das vielschichtige Projekt mit viel Herzblut und großer Leidenschaft – „es ist meine Berufung“, wie sie selbst sagt.

Als Referentin organisiert sie seit mehr als 15 Jahren internationale Austausch- und Begegnungsprogramme sowie die Gedenkstättenarbeit in Auschwitz. Sechs Projekte im Jahr richten sich an die jungen Azubis der VW-Werke in Deutschland und Polen, vier an Führungskräfte des Konzerns.

„Wir legen alte Wege oder Grundmauern von Häftlingsbaracken wieder frei, reparieren auf 13 Kilometern Stacheldrahtzäune oder setzen neue Fundamente“, erläutert die Projektleiterin, wie bis dato über 3000 Azubis vor Ort freiwillig und ganz konkret dazu beigetragen haben, die KZ-Gedenkstätte Auschwitz zu erhalten. Die Jugendlichen konservieren aber auch Kinderschuhe oder Habseligkeiten der Ermordeten und sprechen mit Zeitzeugen, die Auschwitz überlebt haben. „Dann bekommt das Grauen Gesichter und es wird der jungen Generation klar, welche Verantwortung wir alle tragen, die Erinnerungen an das hier erlittene Leid wachzuhalten. Und dass wir dafür sorgen müssen, dass sich so etwas Schreckliches nicht wiederholt.“

Deshalb engagiert sich die Sachsen-Anhalterin auch ehrenamtlich für die Internationale Jugendbegegnungsstätte Oświęcim/Auschwitz. Der von ihr 2013 ins Leben gerufene Förderverein ist eine „Herzenssache“. Es werden Spenden gesammelt, um möglichst vielen Jugendgruppen aus Deutschland, Polen und Osteuropa Bildungsfahrten zur Gedenkstätte zu ermöglichen. In der Würdigung des Bundespräsidenten, der unter dem Motto „Zukunft braucht Erinnerung“ insgesamt 14 Frauen und Männer für ihr Engagement mit dem Verdienstorden geehrt hatte, hieß es zusammenfassend: „Die Erinnerungsarbeit von Ines Doberanzke-Milnikel steht für zweierlei: für persönliches Engagement und für die gesellschaftliche Verantwortung deutscher Unternehmen.“

Sie selbst sagt über den Tag der Ehrung, zu der sie von ihrer Familie und Ehemann Andreas begleitet wurde: „Das war alles sehr aufregend. Meine Schwiegermutter hat sich gar nicht mehr eingekriegt – wann kommt man schon mal ins Schloss Bellevue. Und ja, ich selbst war und bin noch immer mega stolz und gerührt.“

Die ersten Tränen hatte die gertenschlanke Ex-Handballerin und Leichtathletin vor Wochen verdrückt. Sie kam von einer Dienstreise zurück und sah die Post durch. Darunter ein weißer Briefumschlag. Absender: Bundespräsidialamt. „Die Einladung nach Berlin zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes hat mich total überrascht. Damit hätte ich wirklich nicht gerechnet.“

Überwältigt und gerührt ist Ines Doberanzke-Milnikel jedes Mal von Neuem, wenn sie den Ort betritt, der sich wie kein anderer in das kollektive Gedächtnis der Menschheit eingebrannt hat: „Auschwitz ist inzwischen zu einem Teil meines Lebens geworden.“ Als sie 2002 das Projekt übernahm, habe sie noch nicht so viel über den Ort des Grauens und seine Geschichte bei der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden gewusst. „Meine ersten Begegnungen waren erschütternd, beklemmend. Ich habe viel geweint und von mir preisgegeben. Heute erlebe ich Auschwitz als einen Ort, der mir Kraft gibt. Der mich erdet und mich lehrt, dass nichts im Leben selbstverständlich ist.“

Dieselben Reaktionen beobachte sie auch oft bei ihren Projektteilnehmern: „Es ist immer wieder bewegend für mich, zu erleben, wie der Ort die jungen Menschen verändert und ihnen die Augen öffnet.“ Das zeige, dass ihre Projektarbeit und ihr persönliches Engagement sich lohnen: „Solange Toleranz, Menschlichkeit und ein respektvolles Miteinander weit über Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit stehen, gibt mir das Hoffnung.“ Und so lange sie Hoffnung habe, leiste sie Widerstand gegen das Vergessen.

Informationen über den Verein zur Förderung der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz, Wolfsburg e. V.