Kriminalität Fahrraddiebe kommen in Fahrt
Im ersten Halbjahr 2016 ist die Zahl der Fahrraddiebstähle in Sachsen-Anhalt gestiegen. Das Motiv ist oft die Finanzierung der Drogensucht.
Magdeburg l Als Christoph Deike am Donnerstagmittag aus seinem Bürofenster am Hundertwasserhaus sieht, traut er seinen Augen nicht. Zwei Männer knacken gerade die Schlösser von zwei Fahrrädern einer Dresdener Touristenfamilie. Der Landesgeschäftsführer des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) sitzt nicht einmal eine Stunde nach dem Vorfall wieder auf seinem Platz, als er wieder ein Geräusch hört und ein weiterer Mann mit einem Rad verschwindet. Deike: „Der rauchte dabei ganz seelenruhig eine Zigarette.“
Alltag in Sachsen-Anhalt. Pro Tag werden in Sachsen-Anhalt inzwischen 41 Fahrräder als gestohlen gemeldet. In den beiden Großstädten Magdeburg und Halle verschwinden die meisten von ihnen. Dort stiegen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres die Diebstähle sogar um annähernd 20 Prozent im Vergleich zum Zeitraum des Vorjahres. „Wir rechnen auch insgesamt im Land wieder mit einem leichten Anstieg“, sagt Andreas von Koß vom Landeskriminalamt. Der Trend hält seit sechs Jahren an. Bereits 2015 war Magdeburg nach Münster die Fahrraddiebstahlhochburg in Deutschland. Halle lag auf Platz 4.
Nach einer Analyse des Polizeirevieres Magdeburg aller aufgeklärten Fälle des vergangen Jahres sind dort 80 Prozent Wiederholungstäter. Die meisten von ihnen, etwa 65 Prozent, im Erwachsenen-Alter und bis auf wenige Ausnahmen Männer. 14,3 Prozent waren nicht deutscher Herkunft.
Mit einer Aufklärungsquote von 20 Prozent liegt der Erfolg der Magdeburger Ermittler deutlich über dem Landes- und Bundesdurchschnitt. Kriminaloberrat Frank Held: „Das liegt daran, dass wir über Jahre spezialisierte Ermittler und eine bestimmte Klientel haben.“ Damit meint er, dass zum Beispiel jeder vierte Beschuldigte härtere Drogen wie Crystal konsumiert. Um diese Sucht zu finanzieren, sei der Fahrraddiebstahl offenbar besonders geeignet. Held: „Ein Abhängiger benötigt für eine Dosis am Tag etwa 50 Euro, diese Summe erhält er auch im Schnitt für ein gestohlenes Rad.“
Das Diebesgut wird später als Ersatzteilspender genutzt oder weiter verkauft. „Ob die Masse nach Osteuropa geht, ist für uns aber offen. Wir wissen es nicht“, sagt er. Es gebe inzwischen auch andere Vertriebswege, wie Onlineplattformen.
Einen nicht unerheblichen Anteil machen auch die „unbefugten Nutzungen“ aus. Held: „Die Verdächtigen fahren damit von A nach B und lassen die Räder irgendwo stehen.“ Das Diebesgut selbst ende irgendwo als „Fahrradleiche“. Gestützt wird die Aussage auch durch die Erfahrung des Magdeburger Ordnungsamtes. 500 bis 600 Fund-Fahrräder werden dort jährlich erfasst. „Wir müssen dutzendweise nicht mehr genutzte Räder sicherstellen“, so der Chef des Stadtordnungsdienstes Gerd vom Baur. Die Stadt starte zurzeit eine Kampagne „Stoppt den Fahrraddiebstahl!“. Neben Schildern, Flyern und Fahrradständern mit Anschließ-Möglichkeit, werde auch über eine gemeinsame Internetplattform mit der Polizei nachgedacht. Schon jetzt gibt es bei Facebook eine privat betriebene Seite „Mein Fahrrad – Geklaut in Magdeburg“ mit mehr als 2500 Anhängern.
In Landkreisen ist die Aufklärungsquote niedriger. So wurden zum Beispiel von den 862 Fahrraddiebstählen im Harz nur 5,7 Prozent aufgeklärt. Auch hier gilt Beschaffungskriminalität als Hauptmotiv.