Zerbster FDP-Fraktionschef fordert neue Leute in Spitzenpositionen im Bund und in Sachsen-Anhalt FDP: Gegenwind für Landeschefin von der Basis
Die krachende Niederlage bei der Bundestagswahl steckt der FDP in
Sachsen-Anhalt in den Knochen. Bei Liberalen an der Basis und in der
Führung regiert die Hoffnung: Auf eine neue Bundesspitze und ein
Comeback bei den Kommunal- sowie Europawahlen 2014. Fraglich ist, ob das
mit Landeschefin Cornelia Pieper gelingt.
Magdeburg/Zerbst. Andreas Schnurpel ist ein liberaler Einzelkämpfer. Aus dem Souterrain der parteieigenen Villa an der Magdeburger Walter-Rathenau-Straße heraus lenkt er als FDP-Landesgeschäftsführer die organisatorischen Geschicke der Partei in Sachsen-Anhalt. Die drei Etagen darüber hat die FDP vermietet.
Geschuldet ist die repräsentative Schmalkost aber nicht der jüngsten Wahlschlappe im Bund, sondern der vergeigten Landtagswahl 2011. "Nur im Bundestagswahlkampf hatten wir eine zusätzliche Halbtagskraft", sagt der Geschäftsführer.
"Wir können keine großen Sprünge machen, sind aber konsolidiert."
Andreas Schnurpel
Zu entlassen gab es also nach dem September-Desaster in Magdeburg niemanden - ganz anders als im personellen Bundestags-Apparat der Liberalen, der nicht mehr gebraucht wird. "Wir können zwar finanziell keine großen Sprünge machen, sind aber konsolidiert", konstatiert Schnurpel.
Beim liberalen Nachwahl-Frust hält er sich nicht lange auf, spricht lieber von "Trotzreaktionen", die er an einem Mitgliederzuwachs festmacht. 17 neue FDP-Mitglieder habe der Landesverband in den vergangenen zwei Monaten aufnehmen können. Dagegen stünden zwölf Austritte, was unterm Strich ein Plus von fünf Parteimitgliedern ergebe. Schnurpel kennt alle Zahlen: Insgesamt gehörten dem FDP-Landesverband per 11. November genau 1443 Mitglieder an.
Was Sachsen-Anhalts Liberale künftig bewirken können, wird sich bei den anstehenden Wahlen 2014 zeigen. Im Frühjahr wird das Europaparlament neu gewählt und es stehen Kommunalwahlen an. Schnurpel: "Wir stellen immerhin mehr als 30 Bürgermeister im Land."
Auch in Zerbst wird im Mai über einen neuen Stadtrat abgestimmt. Die alte Residenzstadt in Anhalt war für die FDP im Osten bisher eine Kommune wie aus dem Bilderbuch. Die Freien Demokraten stellten mit Helmut Behrendt nach 1990 für 22 Jahre den Bürgermeister, bei den Wahlen zum Stadtrat sind Ergebnisse um die 15 Prozent die Norm. Derzeit sitzen sieben Liberale im politisch bunt gemischten Rat, sie sind damit die drittstärkste Kraft.
Steffen Grey, im Hauptberuf Schornsteinfegermeister, führt die FDP-Fraktion im Rat. Die Wut über die Niederlage bei der Bundestagswahl ist noch nicht verraucht. "Sie ist für die Partei bundesweit ein Desaster", sagt Grey. Ein Großteil der Infrastruktur breche weg, beklagt er. In Zerbst ist indes niemand aus dem 23-köpfigen Stadtverband von der gelb-blauen Fahne gegangen.
Man habe in den vergangenen Jahren schließlich auch einiges bewegen können, sagt Grey. Für die Zerbster Liberalen sei es stets darum gegangen, die Stadt zu einem "lebenswerten Mittelzentrum" zu machen. Grey verweist auf die Erweiterung beim Geflügelproduzenten Wiesenhof, die Abwasserabrechnung nach Wohnungen und nicht mehr nach Gebäuden oder die Verhinderung des Schweinemast-Betriebes auf dem alten Flugplatz zugunsten einer Photovoltaik-Anlage.
Die Niederlage der Freien Demokraten bei der Bundestagswahl macht der Zerbster Stadtrat vor allem an der "Klientelpolitik" der Parteiführung fest. "Bei der Masse der Wähler ist der Eindruck entstanden, die FDP sei nicht für alle da - siehe den Steuerbonus für Hoteliers. Dabei steht in den Programmen von A bis Z alles drin."
"Frau Pieper ist ihren Aufgaben nicht gewachsen."
Steffen Grey, Zerbst
Grey will, dass die Partei den Fokus wieder auf den Freiheitsgedanken als Grund- element des Liberalismus legt. "Die NSA-Affäre zeigt doch, wie nötig die Verteidigung der Bürgerrechte ist. Da fehlt jemand wie Frau Leutheusser-Schnarrenberger." Die Liberalen als ein Korrektiv gegen den Überwachungsstaat, so wünscht sich das der Zerbster Stadtrat. Für bedenklich hält er die ins Haus stehende Große Koalition von Union und SPD in Berlin: "Da werden die Oppositionsrechte geschmälert und somit die Grundsätze der Demokratie ausgehebelt."
Wunder erwartet Grey vom FDP-Sonderparteitag Anfang Dezember nicht. Wohl aber, dass die FDP mit den inneren Querelen Schluss macht und zur Politik zurückkehrt: "Es kann nur besser werden, schlechter geht es nicht mehr."
Für den Zerbster ist es mit der Neubesetzung der Bundesspitze nicht getan. Steffen Greys richtet ebenso scharfe Kritik an die Landesvorsitzende, noch amtierende Staatsministerin im Auswärtigen Amt: "Meiner Meinung nach ist Frau Pieper ihren Aufgaben in Sachsen-Anhalt nicht gerecht geworden. Es sollte auf einem Parteitag über das Führungspersonal im Land gesprochen und entschieden werden. Verbessern können wir uns nur mit neuen Leuten in Berlin und in Magdeburg."
Dahinter steckt vor allem der Vorwurf, Pieper kümmere sich als Staatsministerin im Auswärtigen Amt zu wenig um ihren Partei-Posten. Cornelia Pieper weist das empört zurück. Sie sei jeden Tag in Gedanken beim Landesverband: "Ich mache das mit Leib und Seele." Im Frühjahr für zwei Jahre gewählt, wolle sie die Mannschaft für die Landtagswahl aufbauen.
Auch Lydia Hüskens, Vize-Landeschefin aus Magdeburg, zeigt sich überrascht von der Basis-Meinung zur Landesvorsitzenden. Für sie hat sich parteiinterne Kritik auf die FDP-Bundesspitze konzentriert. "Rufe nach Änderungen im Land, also einem Rücktritt von Cornelia Pieper, habe ich bisher weder aus dem Landesvorstand noch aus den Kreisverbänden gehört. Das ist meine persönliche Wahrnehmung." Was aber wäre, wenn ein personeller Umbruch in Sachsen-Anhalt auf die Tagesordnung käme? Dann stünde Lydia Hüskens für das Spitzenamt zur Verfügung: "Ich würde in die Bresche springen, wenn es nötig wäre." Freilich wissend, dass ihre Tätigkeit in der Landesverwaltung keine Empfehlung für einen FDP-Spitzenjob ist.
"Nach der Wahl der Kanzlerin mache ich erstmal Urlaub."
Cornelia Pieper
Karl-Heinz Paqué, Wirtschaftsprofessor und ehedem Minister für die FDP in Sachsen-Anhalt, denkt, wenn es um die Partei geht, heute in europäischen Maßstäben. Im Bundespräsidium ist er Vizechef des Fachausschusses Wirtschaft. Er will, dass die FDP wieder in die Offensive kommt - in erster Linie gegen die Konkurrenz von der Alternative für Deutschland bei den Europawahlen. Zu Cornelia Pieper formuliert er den Satz: "Sie hat als Staatsministerin im Auswärtigen Amt viel Respekt in Mittel- und Osteuropa gewonnen."
Wenn die schwarz-gelbe Regierung zu Ende amtiert haben wird, ist Pieper auch nicht länger viel beschäftigte Staatsministerin. Zur beruflichen Neuorientierung sagt sie nichts, nur: "Nach der Wahl der Bundeskanzlerin mache ich erstmal Urlaub."