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Feriencamp Die grüne Lehranstalt der Altmark

Ein Feriencamp mal anders. Norman Schenk belebt im Sommer ein altes Ferienlager am Arendsee als Filmcamp.

Von Kathrin Wöhler 10.06.2018, 01:01

Arendsee l Eine anstrengende Fahrt übers Land, staubige Straßen und Luftdruck für Kopfschmerzen. Links taucht der Arendsee auf, rechts das Schild „Jugendfilmcamp“. Vor-Ort-Termin im Kiefernwald. Kein gepflasterter Weg, kein Parkplatz, nur Nadeln und Hitze. Da sitzt er, Norman Schenk, der Schauspieler, inmitten seines Paradieses im Nirgendwo der Altmark. Hier wachsen seine Visionen aus dem Waldboden.
Er passt zu dem Wald: graues Shirt, Arbeitshose, staubige Schuhe. Aber es ist sein intensiver Blick, der die Menschen anzieht. Auch nach zwei Stunden Gespräch fällt es schwer, sich von ihm abzuwenden. Norman Schenk ist ein Magier, der Bauwagen in eine Filmstadt und Pubertierende in ein Drehteam verwandeln kann. Er schafft das kraft seiner Ideen, seiner Hände und einer sich selbst verstärkenden Energie. Auch das ist Magie.
Der 48-Jährige arbeitet zwölf Stunden am Tag, ohne Unterteilung in Woche und Wochenende. Es gibt keine durchgrübelten Nächte, er schläft sofort ein. Außer in der Startphase, wenn die Anmeldungen losgehen. Dann fragt er sich oft: Wird es voll? 2014 waren es noch 100 – in diesem Sommer werden 600 Jugendliche nach Arendsee zum Filmcamp reisen.
Fünf Bauwagen stehen im Halbkreis unter den Fichten, dazu zwei einfache Gebäude. Alles erinnert an Ostsee-Ferien, tatsächlich war dies einst das örtliche Ferienlager. Norman Schenk zeigt sein Reich: Man muss schon weiter blicken als bis zu den Kisten, die sich überall stapeln, um das hier Geschaffene zu begreifen.
Seit drei Jahren schuftet Schenk jeden Frühling wochenlang auf dem Gelände, pendelt von seinem Wohnort Berlin nach Arendsee. Denn Camp-Feeling allein reicht nicht für das, was der gebürtige Altmärker für seine grüne Lehranstalt braucht. Schnittplätze, einen Vorführraum, professionelle Technik, Requisiten und nicht zuletzt eine Küche, Toiletten, Bäder und vernünftige Schlafstätten. Dafür hat er Helfer, treue Gefährten und neu Entflammte. Handwerker aus dem Ort haben kostenlos Fliesen verlegt, Klempnerarbeiten erledigt, Geländer und Treppen für die Bauwagen geschweißt, Einwohner bringen noch brauchbare Sofas, Sessel und Baustoffe vorbei, Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr helfen beim Errichten der Versorgungszelte.
Doch der Campvater bettelt nie. Er bewegt und packt selbst an. Ein Chef darf sich nicht zu schade sein, die Toiletten zu putzen, sagt Schenk. Er hat seit 2016 Stockbetten aufgebaut, Kanäle für die Kabel geschachtet, Holzverkleidungen gesägt und mobile Wände zusammengeschraubt. Sein Dank klingt so aufrichtig, dass er vielen genügt. Die Menschen fühlen sich wohl bei diesem Mann, sie suchen seine Nähe, seine Freundschaft, lassen sich mitreißen von seinen Plänen. Sie spüren, dass er es ehrlich meint, dass es ihm nicht ums Materielle geht, sondern um einen schöpferischen Akt. Er schafft jedes Jahr aufs Neue einen Ort, an dem Filme entstehen, Fertigkeiten geübt, Talente herausgelockt werden. Ich wurde gefragt, erzählt er und läuft dabei auf und ab, wann ich fünf Jahre Jugendfilmcamp feiere. Gar nicht! Nicht darauf bin ich stolz, sondern auf das, was hier jeden Sommer passiert. Und dann erzählt er, steht immer wieder auf, sein ganzer Körper redet, in den Augen schwimmen Sehnsucht, Rührung und jungenhafte Freude.
Was wir hier machen, das darf niemals scheitern, das muss weitergehen! Wir haben nicht nur Gäste aus Deutschland, sondern auch aus Österreich, der Schweiz, aus Spanien und sogar aus den USA – das ist so großartig! Sieben von zehn Jugendlichen kommen wieder. In den Einsteigerkursen unter dem Motto „Dein Film in einer Woche“ drehen sie als Team einen Kurzfilm, lernen Kameraarbeit, Schnitt, Ton, Dramaturgie – das Grundlegende. Aber das reicht den meisten nicht. Sie wollen zum Beispiel wissen, wie Sounddesigner arbeiten und Filme nachvertonen.
Schenk bückt sich und zerreibt ein trockenes Blatt zwischen seinen Fingern, seine Worte werden drängender. Wie klingt Feuer? Wie komponiert man eine Filmmusik? In diesem Jahr erweitern wir das Kursangebot nochmals. Die jungen Leute lernen, wie man Drohnen fliegt und mit ihnen filmt. Außerdem bauen wir einen Raum ohne rechte Winkel für unseren Kurs Virtual Reality & 3D. Ich hätte nie gedacht, dass solche Spezialworkshops voll werden. Wer weiß schon mit 17 oder 18, dass er Sounddesigner werden will?
Kopfschüttelnd, so, als könne er das selbst nicht glauben, setzt er sich wieder auf seinen Baumstumpf. Wissen Sie, viele fahren nach Mallorca und geben sich die Kante. Und es gibt andere, für die ist unser Camp. Ich hätte mir als junger Mensch genau diesen Ort gewünscht. Er ist wie eine Glocke – hier scheint immer die Sonne. Schenk sagt von sich selbst: Ich bin sehr emotional, und tatsächlich kann man seine Gefühle sehen und die Bilder, die er heraufbeschwört: Jungen, die bis in die Nacht an der Postproduktion sitzen, Mädchen im Schneidersitz am Strand, die am Drehplan feilen. Hängematten zwischen den Bäumen, und „Ruhe bitte, Klappe die dritte“ vom Filmteam drüben, zwischen den Bauwagen. Schenk, wie er im Vorführraum vor den Jugendlichen sitzt und die Filme auswertet. Wie er lobt, denn Anerkennung muss sein, wenn etwas gelingt, sagt Schenk. Wie er sanft und freundlich korrigiert, erfreut über Fehler, die alle Teilnehmer weiterbringen.
Anstrengend wird es erst, wenn junge Leute nicht mehr beweglich im Kopf sind, überlegt Schenk. Ich wünsche mir noch mehr wilde Kinder, selbst wenn ab und zu die Polizei hier wäre, weil wir Dummheiten gemacht haben. Ich finde es gut, wenn Kinder auf die Barrikaden gehen. Ich war auch so.
Schenk liebt die Arbeit mit Jugendlichen, er schiebt die Schauspielerei zunehmend nach hinten. Auf Angebote warten zu müssen, das macht unfrei, dann viel lieber im Jugendfilmcamp Bauwagen anstreichen oder Belegpläne ausarbeiten. Er habe erst sehr spät begriffen, nämlich mit 40, wo seine Qualitäten liegen, schwenkt er ein. Aber es ist doch auch die spannendste Zeit, quasi die geistige Pubertät! Manche verbürgerlichen, andere machen Yoga oder malen Bilder. Ich investiere meine Zeit in diese Vision. Ich will etwas hinterlassen, was soll man denn sonst mit seiner Lebenszeit anstellen?
Der Gedanke wühlt ihn sichtlich auf, Schenk zündet sich eine Zigarette an. Ich schauspielere gern, aber an den großen Häusern, an denen ich war, sind 50 Leute damit beschäftigt, dass einer auf der Bühne steht. Du bist nur ein Rädchen, und deine Möglichkeiten der Einflussnahme sind begrenzt. Das ist hier anders. Ich lasse mich nicht verbiegen, und immer mehr Menschen begreifen auch, dass das hier wichtig ist: Sponsoren, Politiker, Stiftungen, das Land.
Der Förderanteil ist gering, im Wesentlichen finanzieren die Teilnehmerbeiträge das Camp. Schenk zahlt sich als Geschäftsführer der gemeinnützigen YouVista UG, die das Filmcamp trägt, ein äußerst bescheidenes Gehalt aus – obwohl die Einnahmen wachsen.
In diesem Jahr stellt er Helfer für Küchen- und Reinigungsdienste sowie für einen Shuttleservice ein, 2019 für den Anmeldeprozess. Wieder steht er auf, läuft im Kreis, sammelt sich. Natürlich ist es anstrengend, immer zu brennen, aber ich muss die Leute einnehmen für dieses Projekt. Klar haut’s mir mal die Beine weg – zack. Aber dann geht es am nächsten Morgen weiter. Rückschläge sind wie Bälle, die beim Jonglieren herunterfallen. Man kann sie aufheben – ich nehme das sportlich. Ich wollte als Junge Clown werden.
Dazu gehört, nicht so viel zurückzublicken. Jetzt, kurz vor dem 5. Jugendfilmcamp, bleibt dafür ohnehin keine Zeit. Die vier Wohnwagen der Dozenten müssen aufgemöbelt werden. Damit wird es für die Lehrkräfte etwas komfortabler, aber sie kommen ohnehin nicht wegen der Gemütlichkeit. Erstmals wird ein Stuntchoreograf Kurse halten, und mit ihm Schauspieler, Maskenbildner, Regisseure, Kameraleute, Songwriter. Menschen, die Lust auf die Filmideen der Jugendlichen haben, die wie Schenk etwas weitergeben wollen – und natürlich etwas dazuverdienen.
An einen Bauwagen lehnend, erzählt er am Ende des Gesprächs von seiner Vision: Aus dem Filmcamp soll eine Filmstadt werden, ein ganzjährig offenes Medien-, Bildungs- und Kommunikationszentrum für die Jugend. Ein architektonischer Entwurf existiert bereits, das Projekt ist kalkuliert, die Pachtfrage für das Grundstück klärt sich derzeit. Immer mehr Unterstützer vereint Norman Schenk hinter sich, Fördermöglichkeiten konkretisieren sich.
In diesem Augenblick fällt es schwer, daran zu glauben. Doch Schenk lächelt wissend, er kennt alle Vorbehalte schon: Ich will nicht für einen Schwätzer gehalten werden. Ich bremse aus, wenn es mir zu schnell geht, ich mache keine Schulden und ich stehe zu allem, was ich sage. Die Filmstadt ist greifbar, wir werden mit ihr nur den Weg weitergehen, den wir eingeschlagen haben. Warum sollte es eigentlich nicht klappen? Hier oben, in der Altmark, ist noch Platz für Magie.