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Flüchtlinge Zu viele Hürden bis zur Arbeit

Eine Metallbaufirma aus Barby möchte Flüchtlinge einstellen. Bislang gab es viele Gespräche. Doch eingestellt wurde niemand.

18.11.2015, 23:01

Barby l Eckhard Henschel würde gerne junge Asylbewerber einstellen. Sein Metallbau-Unternehmen aus Barby im Salzlandkreis fertigt Treppen, Geländer und andere Metallelemente für Gebäude. Zehn Flüchtlinge wollte Henschel ab dem 1. Oktober zum Facharbeiter für Metalltechnik ausbilden.

Gut 20.000 Menschen sind seit Januar nach Sachsen-Anhalt gekommen. Doch Henschel hat noch keinen einzigen Bewerber. Die Arbeitsagentur in Bernburg sollte die Flüchtlinge eigentlich vermitteln. Seit Juni verhandelt er mit den Vermittlern der Behörde. Ohne Ergebnis. Die Hürden sind einfach zu hoch.

Erste Hürde: Die Flüchtlinge sollen erst Deutsch lernen und dann einen Beruf.

Henschel schüttelt den Kopf. „Wir müssen das doch mal praktisch angehen. Wenn sie hier mit den Deutschen zusammen sind, dann klappt das auch mit dem Deutschlernen”, meint Henschel. Der Unternehmer, der auch ehrenamtlicher Bürgermeister im Ortsteil Tornitz ist, ist ein Mann der Tat. „Ich habe auch ein paar Polen als Angestellte, die können auch kein Deutsch”, sagte Henschel. Trotzdem sei die Verständigung mit ein paar Brocken Englisch sowie Hand und Fuß kein Problem.

Doch so einfach ist das nicht. In Deutschland müssen Lehrlinge nicht nur an der Drehbank stehen, sondern auch die Schulbank drücken. Keine Praxis ohne Theorie. An der Pflicht zur dualen Berufsschulausbildung lassen die Behörden nicht rütteln. Der Unterricht ist vom ersten Tag der Ausbildung auch für Asylsuchende Pflicht – so steht es in der Verordnung.

„Kaum ein junger Asylbewerber wäre ohne Deutschkenntnisse in der Lage, dem Berufsschulunterricht zu folgen“, sagt Stefanie Deutschbein, Beauftragte für Chancengleichheit bei der Agentur für Arbeit in Bernburg. Dass Flüchtlinge sofort eine Ausbildung beginnen, sei in der Realität daher tatsächlich kaum umsetzbar.

Allerdings gäbe es einen Kompromiss: Die sogenannte Einstiegsqualifizierung. Das heißt: Flüchtlinge arbeiten für sechs bis zwölf Monate erstmal auf Probe. Dafür bekommen sie mit 206 Euro im Monat zwar nur halb so viel wie Facharbeiterlehrlinge in der Metalltechnik, aber sie könnten sich mit der Arbeit vertraut machen, ihr Deutsch verbessern und danach in die volle Berufsausbildung einsteigen.

Doch da steht die zweite Hürde: Für die Einstiegsqualifikation gibt es eine Altersgrenze von 27 Jahren. Deutschbein berichtet, dass sie mit ungefähr 55 Asylbewerbern über die Stellen im Betrieb Henschel gesprochen hat. „Viele Interessierte sind leider älter als 27 Jahre.“

Ein drittes Problem ist die Erreichbarkeit. Der Salzlandkreis ist wie viele andere Regionen in Sachsen-Anhalt ländlich geprägt. „Es ist nicht jeder Arbeitgeber mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu normalen Schichtzeiten erreichbar”, sagt Deutschbein. Eine Anfahrt zu Henschels Betrieb wäre vom nahe gelegenen Barby noch gut machbar. Vor einem Umzug müsste allerdings erst ein Umverteilungsantrag bei der Ausländerbehörde gestellt werden.

„Ich bin enttäuscht”, sagte Eckhard Henschel. „Ein bisschen mehr Initiative hätte ich schon erwartet.” Platz für die neuen Auszubildenden in einer seiner Fertigungshallen hatte er bereits frei geräumt, Unterkunftsmöglichkeiten vor Ort organisiert, an drei Diskussionsrunden mit Vertretern von Innenministerium, Landrat, Ausländerbehörde und Handwerkskammer teilgenommen. Für seinen Betrieb findet er genügend deutsche Lehrlinge. Er würde für Asylsuchende zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, weil er sich für junge Flüchtlinge engagieren will.

Sollte es angesichts der enorm hohen Flüchtlingszahlen nicht mehr Sonderregeln geben?

Die Wirtschaft ist skeptisch. Burghard Grupe, Geschäftsführer der Handwerkskammer Magdeburg, meint: „Wir können keine Ausbildung light machen für Ausländer.“ Seiner Meinung nach brauchen auch Berufseinsteiger solide Sprachkenntnisse. „Gerade in kleinen Betrieben, in denen jeder Kundenkontakt hat, ist das unverzichtbar.“

Grupe fordert eine schnellere Bearbeitung von Asylanträgen. Nach einem positiven Bescheid nehmen Asylbewerber an einem sechsmonatigen Integrationskurs teil, in dem fast ausschließlich Sprachkenntnisse vermittelt werden. Jedoch: Syrer, die jetzt in den Städten und Gemeinden ankommen, können im Frühjahr 2016 (!) ihren Antrag abgeben, berichten viele Landräte und Bürgermeister. Nach der Abgabe schließt sich noch eine mehrmonatige Bearbeitungszeit an.

Immerhin können Asylantragssteller in ihrer Wartezeit neuerdings sechs- bis achtwöchige Sprachkurse belegen. So wären sie fit für die Einstiegsqualifikation, heißt es in der Arbeitsagentur. Doch auch für die Absolventen dieser Schnellkurse gilt: Kommt der positive Asylbescheid, sind erst mal sechs Monate Integrationskurs Pflicht.

„Das Problem ist, dass die Behörden in Sachsen-Anhalt der Meinung sind, dass alle Prozesse hintereinander ablaufen müssen”, kritisiert die Wolmirstedter Stadträtin Gisela Gerling-Koehler. Die FDP-Politikerin spricht sich dafür aus, das duale Bildungssystem zu öffnen, so dass junge Flüchtlinge Schulabschlüsse, Ausbildungen und Deutschkurse parallel absolvieren können. „Wenn wir es nicht schaffen, diese bürokratischen Abläufe kurzfristig und nachhaltig zu ändern, ziehen wir ein Heer von jungen, auf Hartz IV angewiesenen Männern heran.”

„Das Interesse an einer Berufsqualifikation unter Flüchtlingen ist groß“, sagt Juliana Gombe. Sie berät beim Internationalen Bund Magdeburg junge Asylbewerber in Ausbildungsfragen. Und beobachtet, dass bei fehlenden Möglichkeiten vor Ort die Menschen schnell das Weite suchen. Sobald der positive Asylbescheid vorliegt, wandern viele ausländische Arbeitskräfte ab, da sie ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik dann frei wählen können, erzählt sie. Beliebt bei jungen Flüchtlingen seien Großstädte wie Frankfurt oder Hamburg. „Dort ist es einfacher, einen Job zu finden,” sagt Gombe. „Irgendwo findet man sogar Arbeit, für die man keine Qualifikation braucht.”

Trotz der vielen Hürden sind Sachsen-Anhalts Firmen weiter an jungen Asylbewerbern interessiert.

„Als Facharbeiter können wir jeden gebrauchen“, sagt Handwerkskammer-Chef Burghart Grupe.

Auch Eckhard Henschel meint, dass Betriebe in Barby und Umgebung aufgeschlossen gegenüber Asylbewerbern seien. „Die Betriebe haben alle freie Lehrstellen”, weiß er. Zu lange mit dem Ausbildungsbeginn zu warten, sei nicht gut. „Die Flüchtlinge, die jetzt da sind, mit denen müssen wir auch jetzt etwas machen.”