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Fluthelfer: Sandsackfüllen bis zum Umfallen

16.08.2012, 14:00

Eine riesige Hochwasserwelle rollt 2002 auf Sachsen-Anhalt zu. Tausende Helfer kämpfen gegen die Flut. In Dessau besteht ein junger Mann vom Technischen Hilfswerk seine Bewährungsprobe.

Dessau-Roßlau (dpa) l Es ist sein erster großer Einsatz als Leiter beim Technischen Hilfswerk (THW). Daniel Freyer-Gottschalk aus Dessau-Roßlau ist gerade im Urlaub, als ihn der Hilferuf seiner Kameraden vom THW im August 2002 erreicht: "Da ist viel Wasser, und es kommt noch viel, viel mehr. Es wäre schön, wenn du hier wärst." Auf Sachsen-Anhalt rollt zu dieser Zeit die größte Hochwasserflut zu, die das Land in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat. Die Pegelstände der Flüsse steigen schneller als vermutet.

Der damals 30-Jährige zögert keine Minute und fährt zurück in seine Heimatstadt. "Ich sah die Bilder im Fernsehen. Ich hatte einfach keine Ruhe mehr, ich musste helfen", sagt der heutige Ortsbeauftragte des THW in Dessau-Roßlau. Dass es auch sein bis heute längster Einsatz werden sollte, ahnt er damals noch nicht.

Fast drei Wochen dreht sich bei Hitze und Staub alles nur um Sand und Wasser. Das THW hatte auf dem alten Flugplatz Dessau eine Station zum Befüllen von Sandsäcken eingerichtet. Daniel Freyer-Gottschalk wird Einsatzleiter. "Wir wechselten uns ab, jeder hatte für acht Stunden das Ruder in der Hand, und ich war zum ersten Mal verantwortlich für das gesamte Geschehen."

Im Minutentakt kippen Laster Sand auf der Piste ab. Zunächst sind es nur THW-Helfer und einige Kameraden der Feuerwehr, die Sandsäcke befüllen. "Es war eine Knochenarbeit. So ein Sandsack ist mindestens so schwer wie eine Getränkekiste", erklärt der große, kräftige Mann. Deshalb sei er über die zahlreichen Hilfsangebote aus dem ganzen Land erleichtert gewesen. "Die Leute kamen auch aus Bayern und Schleswig-Holstein und wollten helfen. Sie kamen sogar mit ihren eigenen privaten Fahrzeugen, um Sandsäcke an kritische Deichstellen zu bringen", berichtet der 40-Jährige, der gelernter Elektromonteur ist, aber seit 1992 beim THW hilft.

"Es war eine Knochenarbeit. So ein Sack ist so schwer wie eine Getränkekiste."

"Auf dem Fluglatz war es bald wie auf einem Ameisenhaufen. 3000 bis 4000 Leute schippten fieberhaft, oftmals bis zur Erschöpfung, aber ans Aufgeben dachte keiner", sagt Freyer-Gottschalk. Millionen Sandsäcke sind auf dem Gelände abgefüllt worden.

Die Menschen arbeiten wie entfesselt, doch die Überflutung des Dessauer Stadtteils Waldersee können sie nicht verhindern. Den Tag nach dem Bruch eines Dammes der Elbe vergisst der damalige Einsatzleiter nie. "Zum Glück waren die meisten Menschen vorher in Sicherheit gebracht worden." Doch Leute mit Tränen in den Augen zu sehen, die ihre schmucken Häuser und Gärten der stinkenden, braunen Brühe überlassen mussten, sei herzergreifend gewesen. "Einigen der Betroffenen war erlaubt worden, kurz zu ihren Häusern zurückzukehren, um einige Sachen zu holen", erzählt er. "Da sind wir oftmals mit dem Schlauchboot bis zum Dachfenster gefahren." Auch nach der Jahrhundertflut gibt es noch viele THW-Einsätze für den Vater einer Tochter - so bei der Hebung einer eingestürzten Brücke der Autobahn 38 oder nach der Explosion von Häusern. Und auch zu Hochwassereinsätzen ist er nach 2002 immer wieder gerufen worden. Doch zu so einer Katastrophe wie vor zehn Jahren in Sachsen-Anhalt musste er nie wieder ausrücken.

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Daniel Freyer-Gottschalk, Ortsbeauftragter des Technischen Hilfswerkes (THW) in Dessau-Roßlau, aufgenommen am 09.08.2012. Eine gigantische Hochwasserwelle rollt auf Sachsen-Anhalt zu. Tausende Helfer kämpfen gegen die Flut. In Dessau besteht Freyer-Gottschalk seine Bewährungsprobe. Foto: Jens Wolf dpa/lah (zu dpa «Mit dem Boot bis zum Dachfenster - Einsatzleiter bei Jahrhundertflut» vom 14.08.2012)  +++(c) dpa - Bildfunk+++
Daniel Freyer-Gottschalk, Ortsbeauftragter des Technischen Hilfswerkes (THW) in Dessau-Roßlau, aufgenommen am 09.08.2012. Eine gigantische Hochwasserwelle rollt auf Sachsen-Anhalt zu. Tausende Helfer kämpfen gegen die Flut. In Dessau besteht Freyer-Gottschalk seine Bewährungsprobe. Foto: Jens Wolf dpa/lah (zu dpa «Mit dem Boot bis zum Dachfenster - Einsatzleiter bei Jahrhundertflut» vom 14.08.2012) +++(c) dpa - Bildfunk+++
dpa-Zentralbild