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Forschung Salat bei minus 50 Grad am Südpol

Conrad Zeidler aus Magdeburg nimmt teil an der Eden-ISS-Mission des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.

Von Bernd Kaufholz 01.12.2017, 00:01

Magdeburg l „Was heute noch wie ein Märchen klingt, kann morgen Wirklichkeit sein.“ Mit diesen Worten begannen 1966 alle Folgen des Raumschiffes „Orion“ in der ARD.

Conrad Zeidler, in Magdeburg geboren, ist mit seinen 32 Jahren allerdings viel zu jung, um damals diese Science-Fiction-Kult-Serie gesehen zu haben. Aber in wenigen Tagen ist der diplomierte Wirtschaftsingenieur selbst mittendrin in einem Zukunfts-Abenteuer. Er wird in der Antarktis ein Gewächshaus aufbauen, in dem die Pflanzenzucht für Mond- und Marsmissionen getestet wird.

Der Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gehört ab Mitte Dezember zwei Monate lang zur Crew der Antarktisstation „Neumayer III“, die vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung betrieben wird. Mehr als 14.000 Kilometer Luftlinie von der Heimat entfernt, sorgt Zeidler am südlichsten Arbeitsplatz unseres Planeten dafür, dass Obst- und Gemüsepflanzen wachsen können. Unter den gleichen Bedingungen wie später einmal in Gewächshäusern in außerirdischen Stationen.

Dass er einmal Thermounterwäsche, dicke, kälteabweisende Oberbekleidung und Schneebrille einpacken würde, um ins Ewige Eis zu reisen, hätte sich der Junge am Magdeburger Wilhelm-Raabe-Gymnasium nicht träumen lassen. „Mein Interesse war geteilt“, denkt er zurück. „Auf der einen Seite habe ich mich für Mathe und Physik interessiert, auf der anderen für Musik.“

Zeidler wird an der Magdeburger Telemann-Musikschule ausgebildet. Er spielt Geige, Bratsche, Klavier und tritt mit dem Kammerorchester, dem Jugendsinfonieorchester und später mit dem Orchester der Otto-von-Guericke-Universität auf.

Doch letztlich entscheidet er sich, die Wirtschaftsingenieur-Laufbahn im Bereich Maschinenbau einzuschlagen und seine Liebe zur Musik zum Hobby zu machen. „Doch damals war mir schon klar, dass ich in Richtung Luft- und Raumfahrttechnik gehen möchte. Allerdings gibt es in Deutschland nicht allzu viele Unis, die Raumfahrttechnologie als Studium anbieten.“ Eine davon ist die Lehranstalt in Braunschweig. Von 2007 bis 2011 vertieft Zeidler dort sein ingenieurswirtschaftliches Wissen und schließt sein Diplom mit dem Prädikat „sehr gut“ ab.

Es folgen sechs Monate Praktikum am DLR in Bremen. Dort arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Raumfahrtsysteme. 2012 wird der Diplomingenieur fest angestellt. Sein Aufgabenbereich wird die Abteilung „Systemanalyse Raumsegmente“.

Was sich ein bisschen sperrig anhört, sei eine „hochspannende Aufgabe“, sagt der Bärtige mit den langen Haaren. Und er erklärt sein Wirkungsfeld an einem Beispiel: „Nehmen wir den Auftrag für das DLR, einen Satelliten zu entwickeln. Er soll um die Erde fliegen und dabei Aufnahmen von der Agrarlandschaft Sachsen-Anhalts machen, um unter anderem bestimmte Erkenntnisse über die Landaufteilung, das Verhältnis Wald, Acker und den Anbau der unterschiedlichen Kulturen zu gewinnen.“

Der künstliche Erdtrabant solle 150 Kilogramm wiegen, die Solarpaneele sollten in einer bestimmten Art und Weise angeordnet sein. Die Kamera müsse zwei Stunden am Tag Fotos schießen, um nur einige Eckpfeiler zu nennen. Die Kosten dürften die Summe x nicht übersteigen. Seine DLR-Abteilung entwickele nun nach diesen Vorgaben die Mission und prüfe ihre Machbarkeit. „Entweder ist sie gar nicht möglich oder wir kommen zu dem Schluss, dass an den Anforderungen geschraubt werden muss.“

Vor fünf Jahren bekam das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik das EDEN-ISS-Projekt der Europäischen Union auf den Tisch. „Es ging um die Frage, wie Pflanzen bei Mars- und Mondmissionen unter kontrollierten Bedingungen angebaut werden können“, sagt der Wissenschaftler.

Innerhalb von vier Jahren wurden zwei je sechs Meter lange Container konzipiert und aufgebaut. In einem befindet sich das Kernstück des Projekts, das Gewächshaus.

Im Frühjahr 2016 war es so weit, die fünf festen Projekt-Mitarbeiter, immer wieder ergänzt durch Studenten, stellten internationalen Experten ihre Arbeit vor. „Es gab eine Menge kritischer Fragen und viele Hinweise“, so Zeidler. Und genau das sei auch der Grund für den Workshop gewesen.

Die Anmerkungen der Fachleute aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen flossen in das Projekt ein.

„Als künstliche Sonne während der Polarnacht dienen im Eden-ISS-Gewächshaus wassergekühlte LED-Lampen, die sich gut steuern lassen und das Pflanzenwachstum positiv beeinflussen“, geht Zeidler auf Details ein.

„Wir verwenden einen Cocktail aus blauem, rotem und weißem Licht.“ Das verbessere die Photosynthese und somit das Pflanzenwachstum. Rotes Spektrum wirke sich zum Beispiel auf den Geschmack aus. 16 Stunden werden die Pflanzen bestrahlt, dann bekommen sie acht Stunden Nachtruhe.

Im Gewächshaus gibt es mit Blick auf kommende Raumfahrtmissionen keine Erde. „Jedes Gramm Erde, was die Astronauten mitnehmen müssten, ist Gewicht.“ Deshalb heißt das Zauberwort „Aeroponik“. „Dabei werden Pflanzen ohne Erde steril kultiviert und computergesteuert mit einem Wasser-Nährstoff-Gemisch besprüht.“

Die Luft im Gewächshaus passen die Wissenschaftler den Bedürfnissen der Pflanzen an. Der Co2-Gehalt wird gesteigert. Spezielle Filter reinigen die Luft von Pilzsporen und Keimen.

Am 15. Dezember fliegen Zeidler und vier Kollegen nach Kapstadt. Vier Tage später brechen sie zum Südpol auf. „Zurzeit ist Sommer in der Antarktis. Die Temperaturen liegen bei um null Grad. Ab Februar, wenn die Temperatur auf minus 55 Grad sinkt, kommen keine Schiffe und Flugzeuge mehr an. Dann ist auch mit der Frisch-Vitamin-Versorgung aus Südafrika Schluss“, sagt der Wissenschaftler. Doch da springt das Eden ein, das nicht nur ein wissenschaftliches Großprojekt ist, sondern zugleich die Versorgung mit Salat, Gurken und Tomaten für die bis zu 50 Mann starke Besatzung der Neumayer-Station übernimmt.

Inzwischen sei er auch ein halber Biologe, schmunzelt Zeidler. Aber wenn es um spezielle Pflanzen-Fragen gehe, sei ja Gott sei Dank ein Gartenbau-Experte an Bord.

„Ich finde es toll, dass ich dabei bin“, räumt der 32-Jährige ein. „In den letzten Wochen habe ich so viel Arbeit mit der Vorbereitung gehabt, dass ich mich mit den Gedanken, weite Reise‘ und ,Kältewüste‘ noch nicht so befassen konnte. Erst jetzt, wo mich immer mehr Leute fragen: Na, schon gespannt?‘ beschäftige ich mich mehr damit. Es ist ein Abenteuer und wird sicherlich auch eine Lebenserfahrung.“

Dann scherzt er: „Sicher ist, dass ich seit Jahren mal wieder eine weiße Weihnacht haben werde.“ Dann wird er aber sofort wieder ernst, als er anfügt: „Es ist nicht schön, dass ich so völlig losgelöst von Freundin und meinen Eltern, die immer noch in Magdeburg leben, feiern muss.“ Neben der erwähnten Polarausrüstung, die ihm das Institut für Polar- und Meeresforschung zur Verfügung gestellt hat, nimmt Zeidler für die zwei Monate in der Antarktis auch etwas für die Stunden nach der Arbeit mit. „Zu Hause halte ich mich mit ungesichertem Klettersport fit. Damit ich in Form bleibe, nehme ich ein spezielles Trainingsgerät mit. Außerdem gibt es in der Station einen kleinen Fitnessbereich.“ Weil der private Internetzugang aufgrund der Kapazität gering sei, habe er sich schon Filme aufs Tablet geladen. „Außerdem gibt es eine Bibliothek und Brettspiele.“

Das Eden-ISS-Projekt hat etwas vom amerikanischen Film „Der Marsianer – Rettet Mark Watney“. In diesem Science-Fiction-Film geht es um einen Astronauten, der nach einem Unfall auf dem Mars zurückgelassen wird und dort ums Überleben kämpft. Als Nahrung dienen dem Botaniker Kartoffeln, die er in einem Gewächshaus pflanzt.

Der Film kam 2015 in die Kinos. Und anders als die „Orion“-Serie kennt Conrad Zeidler den Streifen ganz genau.