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Die Gemeinsame Ermittlungsgruppe Schleusung von Landeskriminalamt und Bundespolizei arbeitet seit 2001 zusammen (Teil 17) Frauen als Prostituierte und Männer als billige Arbeitskräfte

Von Bernd Kaufholz 07.04.2012, 03:23

Magdeburg l Im Jahr 2004 erfährt die Gemeinsame Ermittlungsgruppe Schleusung (GES) von Landeskriminalamt und Bundespolizei, dass vier Frauen über die Ukraine und über Polen nach Deutschland gebracht werden sollen. "Der Chef der Schleusergruppe war ein Deutscher", erinnert sich Kriminalrat Jörgen Deutsch. "Und wir wussten auch, dass die Frauen in Bordellwohnungen arbeiten sollten."

"Rundumermittlungen" nennt der LKA-Beamte vom Dezernat 41, das was nun folgte: Unter anderem Telekommunikationsüberwachung, Observation durch das Mobile Einsatzkommando.

Die Frauen aus Moldawien und der Ukraine sind in einem Plattenbau im Landkreis Mansfeld-Südharz untergebracht, erfahren die GES-Leute, nachdem sie Banküberweisungen der Prostituierten unter die Lupe genommen haben, auf denen die Adresse des "Arbeitsplatzes" angegeben war.

Das Haus stand von nun Tag und Nacht unter Beobachtung. Und die Ermittlungsgruppe stellt fest, dass dort - speziell zur Nachtzeit - ein reger Besucherverkehr vorherrscht.

"Allerdings schauten nicht nur Freier bei dieser Adresse vorbei", berichtet Deutsch. "Wir hatten Glück. Einmal in der Woche kam der Chef persönlich, um die Frauen abzukassieren." 85 Prozent ihrer Einkünfte wechseln so den Besitzer.

Die Ermittler erstellen ein sogenanntes Bewegungsbild. Dafür wird das Auto des Schleusers mit Technik versehen, die anzeigt, wo er sich befindet. Dabei läuft die Telefonüberwachung weiter.

"Dadurch erfuhren wir, dass bereits eine neue Schleusung vorbereitet wird und sieben Frauen in Moldawien auf ihren Transport warten. Sie sollten ebenfalls zur Prostitution gezwungen werden oder waren für Scheinehen mit Deutschen vorgesehen", erzählt der Kriminalrat. Den Ermittlern fällt ein Katalog in die Hände. Frauen, kaum bekleidet, mit Altersangabe, Gewicht und Größe. "Wir mussten handeln. Denn es bestand aus unserer Sicht Fluchtgefahr." Der Verdacht habe sich nach einer sogenannten Postbeschlagnahme erhärtet.

Bei der Durchsuchung einer Wohnung, in der eine Ukrainerin und eine Moldawierin tätig sind, findet die GES ein ausgeklügeltes Überwachungssystem. Der Schleuser hatte in einer Deckenlampe Kamera und Mikro installiert, um die Frauen immer im Blick zu haben.

Die Durchsuchungsaktion sei ein gutes Beispiel dafür, so Deutsch, welchen Vorteil die Kooperationsvereinbarung zwischen Landes- und Bundesbehörde mit sich bringt: "An dem betreffenden Tag war das LKA durch eine landesweite Aktion gebunden und hatte kaum Kräfte frei." Die Bundespolizei sprang in die Bresche.

Aber die Ermittler scheinen bezüglich des Tatverdächtigen keinen Erfolg zu haben. Es sieht so aus, als habe er sich abgesetzt. "Doch als wir gründlicher nachgesehen haben, fanden wir hinter der Schrankwand einen Durchbruch, der in ein kleines Hinterzimmer führte. Dort saß der Gesuchte und ließ sich widerstandslos festnehmen."

Die GES hat Glück: Der Mann hat akribisch Buch über seine Einnahmen geführt und Fotos zeigten ihn im Kreise der Prostituierten.

Der Täter, der sich mit der "Ware Mensch" eine goldene Nase verdienen wollte, wird 2004 zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Großen Anteil daran hat eine 18 Jahre alte Prostituierte, die sich bereit erklärt hatte, auszusagen. Deutsch: "Ein seltener Fall. Und wir haben die Frau sofort ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen, ihr eine neue Identität gegeben. Sie durfte in Deutschland bleiben." Die Frau nicht abzuschieben, sei in diesem Fall auch deshalb vertretbar gewesen, weil sie von ihren Eltern an den Schleuser "verkauft" worden war.

Bei der Bearbeitung von Schleusungsstraftaten wird, wenn wie im geschilderten Fall die sexuelle Ausbeutung von Frauen bezweckt war, ferner sehr intensiv mit Einrichtungen der Opferhilfe, z. B. der Fachberatungsstelle "VERA" zusammengewirkt. Als weiterer Hintergrund von Schleusungen stellt sich die Ausbeutung der Arbeitskraft der geschleusten Personen dar.

Seit 2001 gibt es zur Bekämpfung dieser Phänomene zwischen dem Landeskriminalamt und der Bundespolizei den Kooperationsvertrag in Sachen Schleusungskriminalität. Je fünf Beamte gehören zu der Sondereinheit.

Die LKA-Kriminalisten schätzen besonders, dass sie innerhalb der GES unter anderem auf besondere Technik und bei Großeinsätzen auch auf spezialisierte Unterstützungskräfte, wie die Mobilen Fahndungseinheiten der Bundespolizei, zurückgreifen können.

Betrachte man die Nationalitäten, die illegal nach Deutschland gebracht werden, gehören in Sachsen-Anhalt Vietnamesen zu den Top-Ten, sagt Deutsch. Und bezogen auf Regionen stehe Halberstadt vorn. "Der Grund ist, die Eingeschleusten werden im Harz abgesetzt, weil sich in Halberstadt die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber befindet." Vorher werden ihnen in aller Regel Papiere und Fahrkarten abgenommen.

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