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Wehrpflicht ist seit heute ausgesetzt / Junge Frauen und Männer können nun Freiwilligen Wehrdienst in allen Waffengattungen leisten / 3419 Freiwillige starten am Montag Freiwillige vor: Die Bundeswehr wirbt mit Hochdruck um neues Personal

Von Andreas Stein 01.07.2011, 06:32

Magdeburg. Seit heute ist die Wehrpflicht ausgesetzt, die letzten Wehrpflichtigen haben gestern Deutschlands Kasernen verlassen. Am Montag rücken 3419 laut Agentur dpa freiwillig Wehrdienstleistende ein, mit den 4000 im März eingetretenen Soldaten und 5700 Wehrpflichtigen, die länger bleiben, sind das mehr als 13000 Freiwillige. Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) ist zufrieden, denn auch die Quoten für die Offiziers- und Unteroffiziersanwärter sind gut.

Auch im Kreiswehrersatzamt Magdeburg (KWEA) ist es ruhiger geworden. Noch im vergangenen Jahr traten hier täglich 40 bis 50 junge Männer zur Musterung an, in jedem Quartal wurden bis zu 400 Grundwehrdienstleistende einberufen. Das heißt jedoch nicht, dass die Soldaten und zivilen Mitarbeiter in Magdeburg nun Däumchen drehen – im Gegenteil.

"Wir haben viel zu tun", sagt Ingrid Männl, kommissarische Leiterin des KWEA. Aus dem "Amt", das nahezu jeder Jugendliche der Region verpflichtend besuchen musste, soll künftig das "Berufsberatungszentrum Bundeswehr" werden. Das sei zwar nur ein Arbeitstitel, betont Ingrid Männl. Doch er zeigt, wo der Weg hingeht: Die KWEA-Mitarbeiter takten nicht mehr Wehrpflichtige in den riesigen Bundeswehr-Apparat ein, sondern werben nun mit Hochdruck interessierte junge Leute sowohl für den bis zu 23 Monate möglichen Freiwilligen Wehrdienst als auch für eine Karriere als Soldat auf Zeit.

Nach wie vor kümmern sich die KWEA-Mitarbeiter außerdem um die Reservisten und den Berufsförderungsdienst. Bis zur endgültigen Standortentscheidung im Herbst soll das so bleiben.

Nachdem am 1. Januar die letzten Grundwehrdienstleistenden einrückten, brach die Zahl der Bewerber schlagartig ein, auch in Sachsen-Anhalt. Das Verteidigungsministerium setzte deshalb eine millionenschwere Werbekampagne in Gang. Ingrid Männls Mitarbeiter schickten im Januar und April außerdem 13500 Briefe an potenzielle Bewerber, doch: "Die Umstellung lief schleppend an", denkt die Psychologin zurück. Schon warnte Heeresinspekteur Werner Freers, die Bundeswehr werde "große Lücken im Personalkörper hinnehmen müssen, die uns langjährig begleiten und nicht auszugleichen sein werden".

Droht der Bundeswehr der Verlust der Einsatzfähigkeit? Nein, betonen die Experten vor Ort. 170000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie mindestens 5000 freiwillig Wehrdienstleistende gab der Staatssekretär im Verteidigungsministerium Stéphane Beemelmans kürzlich auf einem Symposium als Ziel vor. Um die Einsatzstärke zu erhalten, müssten jährlich rund 13000 Zeitsoldaten und 4000 Freiwillige eingestellt werden. "Das haben wir bereits geschafft", sagt Ingrid Männl mit Blick auf die aktuellen Zahlen. Die Nachfrage hat wieder stark angezogen, auch aus dem hiesigen Wehrbereich Ost, der traditionell immer sehr gute Bewerberzahlen lieferte. Schon werde es schwierig, für alle Stellen zu finden. "Aus der Pflicht wird die Chance", wirbt die Bundeswehr nun um den Nachwuchs. Rekrutierte sich früher ein Gutteil der Längerdienenden aus den Grundwehrdienstleistenden, steht die Bundeswehr nun in direkter Konkurrenz zu zivilen Arbeitgebern und ist regulärer Mitbewerber auf dem Arbeitmarkt – und lockt mit Geld und vielen Vergünstigungen.

Verdienten Wehrdienstleistende früher 378 Euro im Monat, sind es nun 777 bis 1146 Euro, dazu kommen Weihnachts- und Entlassungsgeld und unentgeltliche Leistungen wie ärztliche Versorgung und Verpflegung. Mit sicheren Arbeitsplätzen und auf Wunsch möglichst standortnaher Verwendung soll nicht nur den neuen Freiwilligen die Längerverpflichtung schmackhaft gemacht werden, sondern auch den Zeitsoldaten. Tatsächlich können nun auch Frauen zum Freiwilligen Wehrdienst in alle Waffengattungen eintreten. Die Experten hoffen, dass viele junge Leute den Dienst wie bisher zur Überbrückung bis zum Studium oder dem Berufseinstieg nutzen.

Ist die Bundeswehr langfristig auf dem Weg zur Unterschichten-Armee, wie Kritiker unken? "Momentan sind noch alle Bevölkerungsschichten vertreten. Es liegt an der Bundeswehr und dem Staat, die Leute zu motivieren. Wir brauchen junge Soldaten, die mitdenken", sagt Wehrdienstberater Karsten Kleine und verweist auf die sechsmonatige "Probezeit" – künftig können beide Seiten kündigen, und wer nicht in die Truppe passt, muss gehen – wie in der freien Wirtschaft. "Lieber keinen als den falschen Soldaten", findet Kleine. Man müsse die jungen Leute begeistern und nicht durch Gammeldienst enttäuschen, fordert auch Thomas de Maizière.