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Flüchtlinge Frisör und Automechaniker

Sulafa Hussein und Ayman Alyassin, Flüchtlinge aus Syrien, haben Anfang August eine Ausbildung begonnen. Sie sind die Ausnahme.

Von Bernd Kaufholz 29.08.2020, 01:01

Magdeburg l Die Handgriffe sind der 20-jährigen Syrerin schon fast in Fleisch und Blut übergegangen. Und das, obwohl Sulafa Hussein erst seit Anfang August den Frisörberuf lernt. Sie legt der Kundin den Umhang um, schiebt das Haarwaschbecken so in den Nacken der Frau, dass sie es bequem hat. „Ist das Wasser so angenehm?“ Der Griff zur Shampooflasche. Waschen. Danach, wenn gewünscht, eine leichte Kopfmassage. Meisterin Beatrice Georgiew und Chefin des „La Vida Hair“ in Burg sieht genau zu und korrigiert gegebenenfalls.

Rund 55 Kilometer entfernt, in Stendal, hat Ayman Alyassin zur selben Zeit im Autohaus „Prignitz GmbH“ den Kraftstoffbehälter eines Hyundai H-1 gewechselt. Nun prüft er unter dem kritischen Blick von Lehrmeister Christian Schöndube, ob die Leitungen dicht sind und kein Benzin austritt. Auch der 20 Jahre alte Syrer drückt seit dem 1. August die Schulbank und ist dabei, sich seinen großen Traum zu erfüllen: „Ich möchte Automecha­troniker werden. Ich will alles lernen!“

Flüchtlinge, die eine Lehre machen – das ist allerdings nach wie vor selten. 164 ausländische – zumeist syrische und afghanische - Azubis zählt der Handwerks-Kammerbezirk Magdeburg; darunter gerade mal elf Frauen. Das sind insgesamt zwar doppelt so viele Auslands-Lehrlinge wie 2016 – aber auf sehr niedrigem Niveau. Zum Vergleich: 6560 Flüchtlinge im Land sind derzeit arbeitslos gemeldet. Weitere 5850 Frauen und Männer aus den Fluchtsaaten haben einen sozialversicherungspflichtigen Job: allerdings 51 Prozent auf Helferniveau.

Sulafa Hussein ist mit ihren Eltern vor fünf Jahren in die Türkei geflüchtet und hat dort als Näherin gearbeitet. Aber weil sie und ihre fünf Geschwister als Ausländerin in der Türkei nicht zur Schule gehen konnten, kam die Familie 2017 nach Deutschland, wo sie den Flüchtlingsstatus erhielt.

Frisörin habe sie schon immer werden wollen, so die junge Frau. „Als Kind habe ich mich bereits für Frisuren und Make-up interessiert und habe mir Zeitschriften angesehen und beim Frisör zugeguckt.“

Ihre Chefin, Beatrice Georgiew, schwärmt regelrecht von der Einsatzbereitschaft ihres Lehrlings: „Sie ist sehr, sehr gut und engagiert.“

Begonnen hat alles mit einem Schulpraktikum 2018. „In den zwei Wochen hat sie sich super angestellt“, sagt die Meisterin. So gut, dass sie sonnabends schon mal im Laden ausgeholfen hat. Ich habe mir dann überlegt, wie man Sulafa fördern kann und gemeinsam mit Jobcenter, Arbeitsagentur und Handwerkskammer haben wir einen Weg gefunden. Sie konnte im August 2019 ein bezahltes Praktikum aufnehmen.“

Besonders die Koloration, das Färben, mache ihr Spaß, lächelt die 20-Jährige. Und sie räumt ein, dass die deutsche Sprache für sie die größte Hürde war. „Besonders beim Schreiben und Lesen muss ich noch aufholen, um ab 1. September, wenn die Berufsschule in Magdeburg beginnt, gut mithalten zu können. Ich bin schon sehr gespannt auf meine Klasse.“

Die Muslimin kann sich nicht vorstellen, verschleiert oder mit Kopftuch im Geschäft zu stehen. Als ihre Chefin sagt: „Wir verkaufen Frisuren und da kann derjenige, der das macht, seine Haare nicht verstecken“, nickt sie zustimmend.

Ganz komplikationslos war zu Beginn das Reinschnuppern in den Traumberuf allerdings nicht. „Für Sulafas Vater war es nicht leicht zu verstehen, dass seine Tochter alleine zu Lehrgängen fährt. Da hatte ich doch schon eine Menge zu erklären. Doch inzwischen hat er eingesehen, dass Frauen in Deutschland selbstständiger sind.“

Im Stendaler Autohaus hat Meister Schöndube nichts auszusetzen. Kein Kraftstofftropfen an den Dichtungen. Daumen hoch. „Aber etwas anderes hätte ich auch nicht erwartet“, lobt der Ausbilder. Auch Ayman Alyassin, der gemeinsam mit seinem Onkel über das Mittelmeer nach Griechenland, über den Balkan und Österreich aus seinem Heimatort Dearazzor unweit der türkischen Grenze nach Deutschland geflüchtet ist und sich im Aufnahmelager Klietz (Kreis Stendal) wiederfand, stieg über ein halbjähriges Praktikum des Arbeitsamts in den Beruf ein. „Ich war überrascht, positiv überrascht, wie sich Ayman reingeschmissen hat. Vom ersten Tag an hat er gesagt: Ich will“, so Schöndube.

Dem jungen Mann war sofort klar, dass Deutschkenntnisse die Grundvoraussetzung für alles Weitere sind. Er belegte einen freiwilligen Deutschkurs und lernte 320 Stunden die Sprache seines Gastlandes.

„Zurzeit ist er dabei Redewendungen und Worte zu lernen, die nicht vermittelt werden“, schmunzelt Schöndube. „Erst gestern kam ein neuer Begriff dazu – das Wort Stulle für Brotschnitte.“

Warum er gerade „Kfz-Schrauber“ werden will? „Mein Onkel konnte sein Auto nicht starten, weil der elektronische Schlüssel kaputt war und in meiner 1-Millionen-Einwohner-Stadt keiner wusste, wie man das hinkriegt. Erst, nachdem wir das Auto nach Aleppo geschleppt haben, fand sich dort jemand, der sich auskannte. Ich fand das interessant, und ich wollte etwas unbedingt mit Autos machen. Ich mag es, etwas zu reparieren.“

Am meisten interessiere ihn bei seiner Arbeit „alles, was mit dem Motor zu tun hat“. Und der junge Mann, der in Deutschland erst den Hauptschul-, dann den erweiterten Realschulabschluss gemeistert hat, hat konkrete Zukunftspläne. „Ich will nach der Lehre unbedingt meinen Meister machen“, kündigt er selbstbewusst an.

Die Frisörsalon-Chefin in Burg hat seine Landsfrau unter die Fittiche genommen. „Wir unternehmen auch gemeinsam etwas“, sagt Georgiew. „Wir gehen einmal die Woche zusammen zur Jumping-Fitness. Denn ich meine, Inte­gration heißt nicht nur, zusammen zu arbeiten.“ Im Gegenzug lernt das „La Vida Hair“-Team die syrische Küche kennen. „Meine Mutter hat für uns Maqluba, ein arabisches Reis-Hähnchen-Gericht, zubereitet“, so die Auszubildende. „Und das war soooo lecker“, bestätigt die Frisörmeisterin.

Sulafa hat gute Aussichten, nach bestandener Lehre übernommen zu werden. Genauso wie Ayman in Stendal.