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G-20-Gipfel Schwerstarbeit in der "Schanze"

450 Polizisten aus Sachsen-Anhalt haben den G-20-Gipfel in Hamburg mit gesichert. Die Volksstimme sprach mit Einsatzleiter Rigo Klapa.

Von Matthias Fricke 12.07.2017, 01:01

Volksstimme: Herr Klapa, wie geht es den in Hamburg verletzten Polizisten aus Sachsen-Anhalt?

Rigo Klapa: Von unseren insgesamt 15 Verletzten beim G-20-Einsatz sind vier noch nicht dienstfähig. Sie befinden sich aber auch auf dem Weg der Besserung.

Aus Polizeikreisen hieß es beim Gipfel, einen solchen Gewaltausbruch wie in Hamburg habe man noch nicht erlebt. Wie sehen Sie das selbst mit einigen Tagen Abstand?

Das trifft auch im Nachhinein voll zu. Wenn wir morgens um sieben Uhr in den Einsatz gehen und schon mit brennenden Autos und Barrikaden empfangen werden, dann ist das einmalig. Ich habe schon viele Einsätze geführt – von Castor-Transporten über 1.-Mai-Nächte in Berlin bis zu G-7-Gipfeln. Aber diese massive Gewalt von Chaoten habe ich in meiner 40-jährigen Dienstzeit noch nie erlebt. Es ist mir auch zum ersten Mal passiert, dass ich als Polizeiführer den Helm aufsetzen und die Schutzweste überziehen musste.

Was ist der Unterschied zwischen dem Großstadt-Einsatz und dem auf freiem Feld beim Castor im Wendland?

Von der Lage her ist es sicher total verschieden. Von der Angriffsfläche für die linksextremistische Klientel ist es ziemlich egal, ob die Chaoten aus dem Wald kommen oder von Häusern aus agieren.

Wo waren Ihre Einsatzkräfte in Hamburg genau eingesetzt?

Unsere 1. Hundertschaft war direkt im Schanzenviertel eingesetzt, auch bei der Räumung des Hauses, wo man versucht hat, die Polizei in einen Hinterhalt zu locken. Hinzu kamen der Raumschutz in Hamburg und der Streckenschutz, darunter zwei Mal an der „Betonstrecke“, auf der die Staatsgäste unterwegs waren und die dann weder betreten noch befahren werden darf.

Rund 20 .000 Polizisten waren eingesetzt – wie hat die Zusammenarbeit geklappt?

Das hat super funktioniert, weil die Kompatibilität der Kräfte und ständige Koordinierung gewährleistet waren. Dadurch konnten wir sehr schnell Kräfte umgruppieren oder Strecken sperren.

Hatten Sie direkten Kontakt zum Gipfelgeschehen?

Ja, wir waren zum Schutz des US-Generalkonsulats eingesetzt, als Präsident Donald Trump dort ein Abendessen gab.

Hat Trump die Truppe begrüßt?

Er hat uns aus dem Auto zugewinkt. Die Zusammenarbeit mit dem Secret Service war sehr gut.

Womit hatten die Polizisten im Einsatz bei den Demos am meisten zu kämpfen – mit Bränden, Blockaden oder Waffen der Randalierer?

Alles zusammengenommen. Sie waren mit Zwillen bewaffnet, sie hatten Molotow-Cocktails, sie waren gut vorbereitet und splitteten sich in der Stadt auf. Deshalb musste die Polizei erst auseinandergezogen werden, um an Schwerpunkten wieder zusammengeführt zu werden.

Sie wirken immer noch sehr emotionsgeladen ...

Wenn Sie hinter sich randalierend den Schwarzen Block sehen, und die Kollegen an der Strecke sich mit Helm und Weste schützen müssen – so was hatten wir noch nie. Ich habe die US-Präsidenten Bush und Obama mit gesichert, mehrfach. Das ging alles ohne Helm!

Es gibt aber Stimmen, die sagen, die Polizei habe das provoziert. Was denken Sie dann?

Da bin ich absolut enttäuscht. Kein Polizist hat einen Stein geworfen, hat Autos angesteckt oder Barrikaden gebaut. Oder sich vermummt in eine friedliche Demonstration reingeschmuggelt. Das war das Problem: Die friedfertigen Demonstranten, die sich im Nachgang bei der Polizei bedankt haben, von den Linksextremen zu trennen.

Nun ist die Polizei gleich am Donnerstagabend bei der „Welcome to Hell“-Demonstration voll hineingegangen. Hat das die Extremisten nicht zusätzlich aufgestachelt?

Es gab mehrfach Aufforderungen, die Vermummungen zu unterlassen. Das wurde ignoriert. Wir mussten selbst die friedlichen Demonstraten schützen, in deren Reihen auch Böller hineingeworfen wurden.

Ein anderer Vorwurf lautet, der Schutz der Gipfelteilnehmer habe Vorrang vor dem der Bevölkerung gehabt. Was meinen Sie dazu?

Nein, das ist nicht richtig. Die Hamburger wurden zu keinem Zeitpunkt im Stich gelassen. Der Schutz der Bevölkerung und der „Betonstrecke“ war für uns gleichrangig. Da es überall in der Stadt zu Aktionen der Chaoten kam, war die Polizei gebunden und eventuell nicht so schnell da, weil erst Kräfte zusammengezogen werden mussten. Wissen Sie, was mich überhaupt so mitnimmt bei diesen extremistischen Betonköpfen: Sie sind für eine gerechte Gesellschaft und kämpfen für den Frieden: Mit Steinen und Brandfackeln gegen die Polizei? Sie sind gegen das Establishment und zünden von dem Hafenarbeiter, der in der Schanze wohnt, das Auto an? Da verstehe ich überhaupt nichts mehr.

Welche Rolle spielten nach Ihrem Eindruck ausländische Gewalttäter?

Das war für uns schwer auszumachen. Da reihen sich normal gekleidete Leute in die Demonstration ein und plötzlich: Jacke weggeworfen, Mütze auf; und da stand der Schwarze Block.

Waren die Protestcamps tatsächlich Horte der Gewaltvorbereitung?

Nach mir vorliegenden Erkenntnissen sind Angriffe aus den Camps heraus gelaufen. Das war aber nicht unser Einsatzgebiet. Aus früheren Großeinsätzen ist meine Erfahrung: Wenn es Attacken gab, ging das von den Camps aus. Darum war Hamburg auch so strikt dagegen, diese zuzulassen.

Wie war die Reaktion der Hamburger Bevölkerung?

Die Hamburger standen hinter uns und auch viele Demonstrationsteilnehmer. Die Leute haben die Einsatzkräfte umarmt, es wurden Getränken und Kuchen angeboten – sogar eine Torte. Das motivierte natürlich unsere Kollegen. Wenn man nur drei Stunden geschlafen hat und die Bevölkerung noch gegen sich wüsste, wäre alles noch schlimmer gewesen. Auch in Lüneburg, wo wir untergebracht waren, haben uns abends auf dem Weg zum Essen die Leute applaudiert.

Sind Ihre Leute für Einsätze wie in Hamburg richtig ausgerüstet?

Die reine Schutzausstattung ist optimal. Je mehr wir die Ausrüstung aufpeppen, umso schwerer wird das Ganze. Polzisten dürfen nicht dastehen wie Michelin-Männchen. Was wir brauchen – das ist bekannt: eine Nachfolge für unser sondergeschütztes Fahrzeug. Wir sollten auch die Lücke zwischen unseren Beweissicherungskräften und dem SEK schließen. Dazwischen fehlt eine Scharnier-Einheit, das sind auch unsere Erfahrungen aus Hamburg. Zudem wollen wir so schnell wie möglich eine 4. Hundertschaft aufbauen. Das zentrale Kräftemanagement für alle Polizeibereiche in Sachsen-Anhalt halte ich ebenfalls für dringend erforderlich. Und die Kompatibilität der gesamten Bereitschaftspolizei des Bundes und der Länder muss unbedingt erhalten bleiben!

Noch etwas Erfreuliches: Sachsen-Anhalts Ministerpäsident Reiner Haseloff gewährt den G-20-Polizisten drei Tage Sonderurlaub und richtet ein Sommerfest aus.

Das ist eine schöne Geste vom Ministerpräsidenten und vom Innenminister. Klar, dass dies gut bei den Kollegen ankam. Es wurde Übermenschliches geleistet. Als es schwer wurde, hieß es: Jetzt erst recht. Chapeau an alle, die Kollegen von Bayern bis Schleswig-Holstein. Das war ein Gänsehauterlebnis.