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Gastronomie Aus für Kneipen: "Ein bisschen wie Sterben"

Wer im Dorf heute ein Bier trinken will, geht für die Flasche Pils an den Kühlschrank. Das Kneipensterben in Sachsen-Anhalt geht weiter.

Von Bernd Kaufholz 13.03.2019, 00:01

Magdeburg l Ines Birkholz kann nicht hingucken. Sie geht auf die andere Straßenseite und spürt doch die Nähe des Ortes, an dem sie 16 Jahre und fünf Monate mit Herzblut für ihre Gäste da war - der lange Zeit als "Kult" galt.
Zurück ins Kneipenleben? Für die ehemalige Besitzerin von "Moll's Laden" in Magdeburg-Stadtfeld keine Frage: "Niemals!"
Ein Foto vor der verrammelten Tür? "Wenn es unbedingt sein muss." Verräterisches Glitzern in den Augen.
Als Namensgeber Burkhard Moll 2002 an sie herangetreten sei und gefragt habe, ob sie die Kneipe übernehmen wolle, habe sie sofort zugesagt: "Am Dienstag gefragt, am Mittwoch zugesagt."
Eine "große Familie" seien sie, ihre Mitarbeiter und die Gäste gewesen, erinnert sich die gelernte Lehrerin, die, bis sie Kneipenwirtin wurde, pädagogische Mitarbeiterin an einer Sekundarschule war.
",Moll's war knackevoll," denkt sie an die Anfänge zurück. "Wer Livebands hören wollte und dazu etwas Gutes essen oder trinken wollte, ist zu uns gekommen."
Fast täglich Stammtische, Dart-Abende, Skat- und Doppelkopf-Runden - die Kneipe war in. Dann der "erste Einbruch - das Rauchverbot. "Viele Gäste blieben weg. Tägliche warme Küche - mittags und abends - lohnte sich nicht mehr. Wir stellten auf kleine Gerichte und Snacks um."
Die Kosten seien immer mehr gestiegen, die Einnahmen gesunken. "Donnerstags, freitags und sonnabends holten wir Top-Bands in ,Moll's Laden', doch manchmal waren nur 20 Gäste da. Die Tunnelbaustelle schlug ins Kontor. Das haben uns zumindest Leute gesagt, die zuvor gekommen waren und nun Umwege fahren mussten."
In dieser Situation hätte sie sich "ein bisschen Unterstützung durch die Stadt" gewünscht, so Birkholz, "zum Beispiel bei der Gewerbesteuer."
Im Herbst 2017 habe sie darüber nachgedacht, zum Jahresende Schluss zu machen. "Aber ein bisschen Hoffnung hatte ich ja noch" - Himmelfahrt, der Tag mit dem besten Umsatz - und die Fußball-WM.
Doch sei die Enttäuschung riesig gewesen: "Am Herrentag kamen so wenig Gäste wie noch nie. Und als die deutsche Mannschaft schon nach ein paar Spielen bei der WM ausschied, musste ich der Realität ins Auge blicken. Ich habe die Notbremse gezogen."
Michael Schmidt, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands in Sachsen-Anhalt, kennt die beunruhigenden Zahlen. "Zwischen 2006 und 2016 haben 1040 Gaststätten im Land geschlossen. Und bis zum Ende 2018 ging nach ersten Erkenntnissen der Trend weiter bergab. Das liegt nicht nur daran, dass die Einwohnerzahl abgenommen hat, sagt er, "es liegt auch daran, dass Neuansiedlungen - besonders auf dem flachen Land - kaum möglich sind, da es vielerorts die Infrastruktur nicht hergibt."
Altmark, Dübener Heide, Nebra und Zeitz nennt er als besonders betroffene Bereiche.
Gegensteuern könne man dadurch, dass die Umsatzsteuer angepasst werde. "Statt 19 Prozent auf Speisen und Getränken, wären sieben Prozent angebracht. "Wer einen Imbissstand oder einen Kiosk hat, muss doch auch nur sieben Prozent lockermachen."
Das "Kulturgut Gastronomie" sei in Gefahr, sagt Schmidt, und er wird noch deutlicher: "Es ist fünf nach zwölf". Die kulinarische Vielfalt von Regionen sei in Gefahr.
Eine weitere Möglichkeit - mehr ideeller Natur - sei, die Berufe im Gastronomie-Bereich "aufzupolieren. Zu DDR-Zeiten waren Kellner hoch angesehen, heute ist das anders."
Konkreter wird er in puncto touristische Infrastruktur. "Das Land muss auf diesem Gebiet seine Hausaufgaben machen. Außerdem muss bei der Digitalisierung zugelegt werden. Der Gast verlangt heute gutes WLAN in Hotels und Gaststätten."
Dass es schlecht darum bestellt ist, Nachfolger zu finden, die ein Lokal übernehmen wollen, hat Marika Schröder aus Parchen im Jerichower Land am eigenen Leibe gespürt. Die Inhaberin der Gaststätte "Herget" hat Ende 2018 das letzte Bier gezapft. "Unsere Kinder wollten die Gaststätte nicht übernehmen Diese Entscheidung hatte sich bereits lange abgezeichnet", sagt die 66-Jährige.
"Wir waren mit 150 Jahren die älteste Gaststätte im Jerichower Land" und der Stolz klingt immer noch mit. Das Lokal sei am 14. September 1868 eröffnet worden und bis zur Schließung durchgehend in Familienbesitz gewesen.
"Zuletzt waren wir froh, wenn wir am Monatsende plus minus null dastanden. Wären da nicht die Vereine gewesen und die privaten Feiern, wäre schon viel früher Schluss gewesen."
Dieselben Erfahrungen wie Marika Schröder hat ihre Berufskollegin Angelika Lüer in Gutenswegen im Bördekreis gemacht. Auch den Gasthof "Zum goldenen Hahn", den das Ehepaar seit 1993 geführt hatte, wollte niemand übernehmen, nachdem die Chefin in Rente gegangen war. "Vom Tagesgeschäft kann man auf dem flachen Land nicht mehr leben", ist sie überzeugt.
Auch "Birgits Café und Steakhaus Pension" am historischen Salzwedler Burggarten ist Geschichte. Seit der Wende wurden dort Gäste bedient. Bekannt für ein gut gezapftes Bier und deftiges Essen war das Lokal Jahrzehnte lang ein Magnet. Doch ein Nachfolger fand sich nicht. Und mit 70 Jahren war für Dieter Meier Schluss.
Angesagt war in Magdeburg das "Jakelwood". In zwei Monaten hätte die Bar ihr 20-jähriges Bestehen gefeiert. Doch stattdessen gab es Ende 2018 eine Abschiedsparty und am 1. Januar 2019 fiel der Vorhang.
"Es ist ein bisschen wie sterben", sagt Thomas Buch. Und er weiß, woran es lag, dass er einen Schlussstrich gezogen hat. "Ganz einfach: Die Gäste sind weggeblieben."
Er blickt zurück: "Früher war es so, dass die Magdeburger in den ersten warmen Wochen des Jahres ihren Garten auf Vordermann gebracht oder einen Spaziergang an der Elbe gemacht haben. Dann sind sie ins ,Jakelwood' gekommen. Doch im vergangenen Jahr und auch schon 2017 war das nicht mehr so."
Ob irgendwann mal eine neue Kneipe in die Räume am Hassel ziehen wird, steht in den Sternen. Mit etwas Wehmut in der Stimme zieht Buch mit einem Satz Bilanz: "Alles hat seinen Anfang und sein Ende und macht für etwas Neues Platz."
Reinhard Müller hatte den "Dorfkrug" in Boock/Landkreis Stendal) 40 Jahre lang. 2016 schloss er die Tür ab. "Zu DDR-Zeiten hat man abends manchmal keinen Platz bekommen, doch zum Schluss ging es ganz schlecht", sagt seine Ehefrau, die die gute Seele der Dorfkneipe war. "Es waren nur noch Feiern, die Geld in die Kasse brachten. In der Woche waren die Stühle leer. Da kamen nur noch zwei Männer. Ein Schwerkranker, dem zu Hause die Decke auf den Kopf fiel, und derjenige, der den Rollstuhl geschoben hat."
Ein Nachfolger, der die Tradition des "Dorfkrugs" übernehmen wollte, sei weit und breit nicht in Sicht gewesen.
Besonders junge Leute bedauern, dass der Studenten-Club "Blue" in Wernigerode vor einem Jahr geschlossen hat. Es sei eine "private unternehmerische Entscheidung" gewesen, heißt es.
Vor einigen Tagen war Ines Birkholz in "Leos Schlemmer Bistro" im Magdeburger Breiten Weg. "Da habe ich eine Menge meiner ehemaligen Stammgäste getroffen", erzählt sie. "Da ist alles wieder so richtig aufgebrochen. Ich konnte nur noch heulen."
Was sie nach ihrem Ausflug in die Gastronomie beruflich machen möchte, weiß sie genau: "Ich möchte wieder in meinen alten Beruf als Lehrerin zurück."