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Gelder Investitionsstau gefährdet Uniklinik

Hans-Jochen Heinze, der neue Ärzte-Chef der Magdeburger Uniklinik, sprach über mehr Kooperation, mehr Geld und moderne Gemeindeschwestern.

25.03.2019, 09:04

Magdeburg l Überfüllte Kliniken, weite Wege, drohender Notstand bei Ärzten und Pflegern: Wie will die Magdeburger Uniklinik die Gefahren abwenden? Der neue Ärzte-Chef der Uniklinik, Hans-Jochen Heinze, im Interview.

Volksstimme: Wie war die erste Woche?
Professor Hans-Jochen Heinze: Gut. Ich schaue mir alle Brennpunkte an und werde danach mit allen Professoren Zielvereinbarungen abschließen: Was wollt Ihr erreichen? Wie können wir die Universitätsmedizin wissenschaftlich, medizinisch, aber auch wirtschaftlich gemeinsam erfolgreich in die Zukunft führen?

Sie erwarten auch einiges von der Politik: 800 Millionen Euro oder besser noch mehr in den nächsten zehn Jahren. Woher der Geldhunger?
Sie erinnern sich sicher an die Schließungsdiskussion 2013. Seither wurde immer weniger in die Universitätsmedizin investiert. Der Investitionsstau gefährdet den Bestand der Uniklinik Magdeburg.

Wofür wollen Sie das viele Geld ausgeben?
Zuerst müssen wir sicherstellen, dass unsere Basisinfrastruktur wie IT, Küche, Labore, Medizintechnik auf den aktuellen Stand kommt. Kurzfristig muss die Dermatologie neu gebaut werden. Das Gebäude aus dem Jahr 1903 genügt den Anforderungen in keinster Weise. Dringend notwendig ist der schnelle Neubau des Herzzentrums und der zentralen Notaufnahme. Darüber hinaus sieht unser Masterplan vor, dass wir dezentrale Kliniken in einem neuen Haus 60 c – also in einem dritten großen Gebäudekomplex – zusammenbringen. Die Pavillionstruktur, also die dezentrale Anordnung von Kliniken in denkmalgeschützten Gebäuden, und die dezentrale Versorgung von Müttern und Kindern in der Landesfrauenklinik ist nicht zeitgemäß.

Krankenkassen beklagen zu hohe Kosten, da etliche Leistungen mehrfach angeboten werden. Müssen Kliniken enger kooperien?
Die Kassen haben recht. Denn in der Medizin gilt: Je öfter ein Eingriff gemacht wird, desto besser sind die Ergebnisse. Ärztinnen und Ärzte brauchen viele Patienten, um die nötige Erfahrung und Sicherheit zu bekommen. Weiterhin gilt: Je interdisziplinärer ein Patient behandelt wird, desto besser. Wir müssen also die Experten zusammenbringen.

Aber: Wettbewerb belebt das Geschäft und bietet den Patienten mehr Auswahl.
Wir müssen aber sicherstellen, dass sich die Patienten darauf verlassen können, dass sie nicht aufgrund von ökonomischen Anreizen versorgt werden, sondern sich auch auf die beste Qualität verlassen können. Wir stehen auch im Wettbewerb um Fachkräfte. Wo wollen wir denn künftig die Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger herbekommen? Bei allem Optimismus: Wir sind nicht Hamburg, München oder Heidelberg. Sachsen-Anhalt muss seine Kräfte bündeln. Ich möchte jedenfalls gerne mit umliegenden Kliniken enger kooperieren.

An welche denken Sie?
Eine engere Verzahnung bietet sich mit dem Städtischen Klinikum Magdeburg an, die ich gerne anschieben würde. Wir wollen aber auch die Kooperation mit Halle bei bestimmten Erkrankungen ausbauen.

Wie sieht es im eigenen Hause mit mehr Kooperation aus? Erste Versuche scheiterten.
Ganz klar: Auch intern werden wir künftig noch mehr auf Zentren setzen. Damit die Patienten bestmöglich versorgt werden, müssen wir die Experten aus den unterschiedlichen medizinischen Disziplinen zusammenbringen.

Wo soll der Forschungsschwerpunkt liegen?
Die sehr gut etablierten Forschungsschwerpunkte in Magdeburg sind die Neurowissenschaften und die Immunologie. Ganz klar wird auch die Prävention von Krankheiten eine große Rolle einnehmen, denn die beste Krankheit ist die, die Sie gar nicht erst bekommen.

Zudem verfügen wir über eine exzellente Bildgebung. In der Medizintechnik können wir einen weiteren Schwerpunkt etablieren: die digitale Medizin mit einer Ausrichtung etwa auf Roboter-Chirurgie. Das menschliche Können des Chi­rurgen wird durch die Präzision einer Maschine unterstützt.

Hört sich beängstigend an.
Roboter können viel präziser als ein Mensch operieren: Sie verwerten die Bilddaten exakt, sie arbeiten immer gleichmäßig und mit maximaler Präzision. Ärzte werden ja nicht überflüssig: Diagnose, Therapie und OP-Planung und Überwachung bleiben beim Menschen.

Zum Schluss noch ein aktuelles Thema: die Landarztquote. Was halten Sie davon?
Es ist gut, wenn die Politik etwas unternimmt. Aber die Quote allein wird nicht ausreichen, wir müssen das Problem der ländlichen Versorgung auf verschiedenen Ebenen mit einem Bündel von Maßnahmen angehen.

Zunächst einmal: Wir bilden in Deutschland im Jahr gut 10.000 Ärzte aus. Das ist nicht wenig. Nur: Die meisten wollen nicht in die Allgemeinmedizin, sie wollen nicht aufs Land, und immer mehr wollen lieber als angestellter Arzt in einer Klinik arbeiten, anstatt sich mit einer Praxis selbständig niederzulassen.

Ihr Vorschlag?
Das Medizinstudium muss sich daher stärker auf die Tätigkeit in der Niederlassung auf dem Land fokussieren.

Und: Wir sollten Gesundheitsfachleute ausbilden, die vor Ort einiges übernehmen können, was heute allein Ärzte machen dürfen. Spritzen, auf Diabetes einstellen, Wundbehandlung und vieles mehr. Als Universitätsmedizin können wir dafür sorgen, dass per Telemedizin schnelle Diagnosen möglich sind und die Patienten dann bei Bedarf in ein entsprechendes Zentrum gebracht werden – oder die Gesundheitsfachleute vor Ort präzise Anweisungen erhalten.

Also die mit vielen Rechten ausgestattete Gemeindeschwester – wie wir sie in der DDR schon mal hatten.
Ja: das Agnes-Prinzip, aber mit mehr Kompetenzen und modernerer Technik. Dazu muss aber der rechtliche Rahmen geschaffen werden.

Die fachlichen Möglichkeiten haben wir: Halle leistet seit Jahren eine hervorragende Ausbildungsarbeit. Hier werden Pflegekräfte akademisch qualifiziert. Zusammen mit den telemedizinischen Produkten, die wir in Magdeburg entwickeln, wäre eine hervorragende Versorgung in Sachsen-Anhalt möglich.