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Geschichte Bruderzwist in Magdeburger Kirche

Der junge Frieden nach dem Ersten Weltkrieg war noch brüchg. Im Wahlkampf im Januar 1919 in Magdeburg gab es heftige Auseinandersetzungen.

Von Manfred Zander 20.01.2019, 01:00

Magdeburg l Manche Straße in der Magdeburger Innenstadt ist nur noch in historischen Zeugnissen erhalten geblieben. Dazu gehört auch die Apfelstraße. Wer sie entlangspazierte, gelangte nach dem Start am Ratswaageplatz, dem Gang durch die Julius-Bremer-Straße und nach einem Schwenk in Richtung des Alten Marktes an ein kleines Denkmal, das an den viel gerühmten und ebenso oft verspotteten Doktor Eisenbart erinnert. Dass der kleine Brunnen genau dort steht, ist kein Zufall. Eisenbart hatte für sich und seine Familie im Jahre 1703 das „Haus zum güldnen Apfel“ gekauft, das später, nach der Erfindung der Hausnummern, die Nummer 9 trug.

Ein paar Häuser und 216 Jahre weiter machte ein anderer Hausbesitzer eine grausige Entdeckung. Bei Kontrollbesuchen seines Hauses in der Apfelstraße 4 war ihm mehrfach das offenstehende Fenster in der kleinen Erdgeschosswohnung von Dorothea Engehausen aufgefallen.

Als das Fenster auch am 3. Januar 1919 noch immer geöffnet war, klopfte er an die Wohnungstür. Schließlich blickte er durch das Fenster und entdeckte die Mieterin, die in einer Blutlache auf dem Boden lag. Die herbeigerufene Polizei fand neben der Toten eine Armeepistole und Anzeichen für eine Zecherei. Zehn Tage später fasste sie den Täter, den unter falschem Namen in Schönebeck lebenden Arbeiter Alexander Musial. Nach längerem Abstreiten gab er zu, Dorothea Engehausen am 28. Dezember erschossen zu haben. Unabsichtlich, wie er hinzufügte. Die geladene Waffe sei losgegangen, als er sie in eine Schublade der Kommode legen wollte.

Die Gespräche auf den Straßen, in den Gastwirtschaften und in den Wohnzimmern bestimmte allerdings ein anderes Thema. Die bevorstehenden Wahlen zur Nationalversammlung und der Wahlkampf füllten die Veranstaltungssäle und Hinterzimmer der Kneipen in Städten und Dörfern.

Nicht immer ging es sachlich zu. Oft war der Wahlkampf auch von Auseinandersetzungen zwischen SPD, USPD und dem Spartakusbund geprägt. „Bruderkrieg“, nannte es die Volksstimme. Ausgerechnet in einem Gotteshaus, der 23 Jahre alten Pauluskirche in der Magdeburger Wilhelmstadt, ging es am 3. Januar wieder mal so gar nicht brüderlich zu. Der Magdeburger Arbeiter- und Soldatenrat hatte dort zur Vollversammlung eingeladen. „Die Empore war zum größten Teile von Anhängern der Spartakusrichtung besetzt“, berichtete die Volksstimme. Von dort herab seien die Vertreter des Arbeiter- und Soldatenrates niedergeschrieen worden: „Bluthund!“, „Raus!“, „Maschinengewehre sind aufgefahren!“. Die Versammlung wurde abgebrochen. Nun zogen die Spartakusleute in die Altstadt, zum Alten Markt und zum Breiten Weg. In der Großen Münzstraße versuchten sie vergeblich, die Volksstimme zu stürmen.

Die Zeitung reagierte mit dem Wort: „Die Bewegung und Erregung, die jetzt durch die Spartakisten durchs Land getragen wird, darf nicht zur allgemeinen Prügelei, nicht zu Mord und Totschlag führen“, fordert sie und sprach eine unter Sozialdemokraten weit verbreitete Sorge aus: „Wenn der politische Kampf diese Formen annehmen würde, hätten die Feinde der neuen Freiheit leichtes Spiel.“

Auch Hermann Beims, einer der Führer des Magdeburger Arbeiter- und Soldatenrates, meldete sich nun in der Volksstimme zu Wort. Ihm vor allem galt in der Pauluskirche der Vorwurf des Bluthundes, weil er dem Bahnhofskommandanten zugestimmt hatte, als dieser zwei leichte Geschütze aufstellen ließ, um durchfahrende Militärtransporte von Gewalt abzuhalten.

Der Artikel von Beims deutete an, wie tief die Gräben im Magdeburger Arbeiter- und Soldatenrat inzwischen waren: „Nach den Vorgängen der letzten Tage lehne ich jede Zusammenarbeit mit den Spartakusleuten ab. Im Exekutivausschuß sitzt Albert Vater, der im Verdacht steht, Vertrauensmann des Spartakusbundes zu sein. Niemand wird mir zumuten, daß ich in dessen Gemeinschaft noch arbeite.“ Vater reagierte kurz darauf: Er sei kein Vertrauensmann des Spartakusbundes.

Als der Beitrag von Hermann Beims am 5. Januar in der Volksstimme erschien, begann in Berlin der bewaffnete Aufstand des Spartakusbundes. In Magdeburg blieb es ruhig, wohl auch, weil der Vorschlag von Beims berherzigt wurde, „jede Demonstration für Spartakus sofort mit einer Gegendemonstration zu beantworten“. Auch in Stendal marschierten rund 7000 Einwohner unter dem Eindruck der Berliner Unruhen zum Marktplatz. In einer Resolution wandten sie sich „mit aller Entschiedenheit gegen die Reaktion von rechts ... und gegen die Reaktion von links, verkörpert im Spartakismus und Bolschewismus“.

In Halle hatte es seit längerem zwischen Bürgerschaft, Garnison und Soldatenrat gegärt. Am 5. Januar kam es schließlich auf dem Riebeckplatz zu stundenlangen Auseinandersetzungen zwischen Militär und Demonstranten. Als dem Träger einer schwarz-rot-goldenen Fahne das Banner entrissen wurde, fielen plötzlich Schüsse. Aus der benachbarten Magdeburger Straße heraus folgte Maschinengewehrfeuer. Mehrere Personen brachen verletzt zusammen. Auch von einem Toten berichtete die hallesche Presse.

Am 19. Januar 1919 wurden die Abgeordneten zur Nationalversammlung gewählt. „Volk, sei deines Glückes Schmied!“, hatte die Volksstimme zwei Tage zuvor den Wählern in großen Lettern zugerufen. Schon am 14. Januar hatte das Blatt auf der ersten Seite die Wahlen zum „Gerichtstag des Volkes über seine Beherrscher und Ausbeuter“ erklärt.

Als die Stimmen der Männer und der erstmals zur Wahl zugelassenen Frauen ausgezählt waren, jubelte die Volksstimme über einen „Erfolg der Sozialdemokraten“. Für den Wahlkreis Magdeburg-Anhalt stimmte das: Von den elf Mandaten für die Nationalversammlung entfielen sieben auf die SPD, drei auf die Demokraten und eins auf die Nationalkonservativen. Im Wahlkreis Merseburg sah es anders aus. Dort erhielten die Sozialdemokraten nur ein Mandat, die USPD hingegen fünf, die Demokraten zwei und die Konservativen eines. Am Sonntag darauf wurde das Ergebnis in der preußischen Landtagswahl bestätigt. Aber, gestand die Volksstimme ein, in Preußen wie zuvor im Reich sei es um die SPD schlechter bestellt als in Magdeburg-Anhalt.

In der Provinzhauptstadt endete der Monat mit einem Paukenschlag. Er ertönte aus dem Magdeburger Rathaus. Dort hatte Oberbürgermeister Hermann Reimarus nach 33 Dienstjahren den sofortigen Ruhestand beantragt, ließ sich aber überreden, bis zum 1. Mai im Amt zu bleiben.

Selbst bei seinen politischen Gegnern gab es rückschauend Lob. Die Volksstimme anerkannte in einem politischen Nachruf auf Hermann Reimarus, dass dieser den Steuerhaushalt der Stadt in Ordnung gebracht hatte, wodurch jähe Steuererhöhungen selbst während des Krieges vermieden werden konnten, und dass er viel zur Verschönerung der Stadt beigetragen habe.

Der letzte Satz galt dem Verhältnis zur Sozialdemokratie: „Seine Gegnerschaft zeigte er stets sehr unverblümt und derb, darum war mit ihm im Meinungskampf auszukommen.“