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Gleichstellung Ein Jein zur "Ehe für alle"

Luise und Stephanie Wach haben sich wie über 800 Homo-Paare aus Sachsen-Anhalt getraut - Ronny und Andreas Kuka nicht.

Von Janette Beck 17.10.2019, 01:01

Barleben/Magdeburg l Mama, Mami, Kind – Stephanie, Luise und Ida Blach sind eine (fast) normale Familie. Wenn die 34 und 36 Jahre alten Frauen aus Barleben mit ihrer elf Monate alten Tochter im Buggy durch die Gemeinde oder auch in Magdeburg spazieren gehen, dreht sich niemand nach ihnen um. Wenn sich das seit 2013 zusammenlebende Paar auf der Straße küsst, beim Eisessen Händchen hält oder eine im Kreis der Arbeitskollegen von ihrer „Frau“ erzählt, wird das als selbstverständlich empfunden und nicht verschämt weggeschaut oder getuschelt.

An lesbischen Paaren nehme kaum noch jemand Anstoß in der Öffentlichkeit, gibt Stephanie Blach ihre eigenen Erfahrungen wieder. Und die, die sich vielleicht doch daran stören, brauchen ja nicht hinzuschauen. Ihr ist es völlig schnuppe, was andere denken: „Ich lebe und liebe wie ich es mag und gehe damit, dass ich eine Frau liebe, auch offen um.“

Noch zu Zeiten ihres Outings 2012 („Ich war 29 – davor war ich felsenfest davon überzeugt, dass ich auf Männer stehe.“) sei das anders gewesen: Da war das Thema gleichgeschlechtliche Liebe tabu. Heute ist es in der Gesellschaft angekommen.Die Ansichten zur Ehe und die Werte der Gesellschaft haben sich durch den offeneren Umgang mit dem Thema Homosexualität gewandelt. „Spätestens seit der Ehe für alle“, meint die Qualitätsmanagerin in Elternzeit.

Dass homosexuelle Paare seit dem 1. Oktober 2017 die Ehe – mit allen Rechten und Pflichten – schließen dürfen (siehe Infokasten), sei vor allem nach außen hin ein großer Schritt zur Gleichstellung gewesen, betont Luise Blach. „Um diese Formalie wurde viele Jahre gekämpft. Sie war ein Zeichen“, erklärt die Chemielaborantin. Bis zu dem Tag hatten Schwule und Lesben in Deutschland nur die Möglichkeit, eine eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen. Diese schloss das Adoptionsrecht aus und wurde von vielen homosexuellen Paaren als Ehe zweiter Klasse kritisiert.

Auch von den Barleberinnen, die nach Steffis Antrag auf der Seebrücke in Sellin auf Rügen („Ich wollte Nägel mit Köpfen machen. Und der Deal war: Wer den Antrag macht, darf seinen Namen behalten.“) am 16. 6. 2016 geheiratet haben. Beide in weißen, langen Kleidern. Für beide war das formale Eintragen der Partnerschaft „wie eine richtige Trauung“. Mit allem Drum und Dran und großer Feier mit 60 Gästen – wie bei heterosexuellen Brautpaaren eben auch.

Hintergrund der Hochzeit war, dass beide Ex-Fußballerinnen eine Familie gründen wollten. Früh sei klar gewesen: „Wir wollen Kinder“, blickt Luise Blach zurück. Sehr zur Freude der Eltern. Deren größte Sorge sei gewesen, niemals Oma und Opa werden zu können. Und Stephanie lacht: „Diese Angst konnten wir allen nehmen.“

Möglichkeiten, sich diesen Wunsch zu erfüllen, gibt es einige. Doch in Deutschland eine Samenbank zu finden, die bereit ist, Spendersamen an ein lesbisches Paar abzugeben, ist nicht leicht. Auch Kinderwunschzentren tun sich schwer. Hintergrund sind rechtliche Unsicherheiten. „Das Ganze ist ein langwieriges und auch kostspieliges Unterfangen. Die Kassen zahlen nichts. Das kann in die Tausende gehen“, schaut Luise auf etliche Versuche verschiedenster Inseminationen (Samenübertragungen) zurück.

Luise probierte als Erste, mit ärztlicher Assistenz schwanger zu werden, dann Stephanie. Doch außer Stress und Spesen ... Am Ende nahm das Paar ganz entspannt sein Glück selbst in die Hand. Man fand im Freundes- und Bekanntenkreis einen homosexuellen Mann, der bereit war, ihnen zum Familienglück zu verhelfen. Das A und O bei einer solchen Geschichte ist das Vertrauen. Ohne geht das nicht, stellt Stephanie Blach klar: „Wir haben alles mit Marco besprochen und rechtlich geregelt. Auch, dass er selbst entscheidet, ob er Kontakt zu seinem Kind will oder nicht.“

Nach sechs Versuchen war Stephanie schwanger: „Wir waren überglücklich: Es war für uns alle drei ein großes Wunder.“ Parallel zu Schwangerschaft liefen die Planungen, die eingetragene Lebenspartnerschaft in eine offizielle Ehe umzuwandeln. Am 4. Mai 2018 wurden beide in Magdeburg standesamtlich getraut: „Wir haben uns Ida zuliebe noch einmal das Ja-Wort gegeben. Es sollte alles geregelt sein, wenn sie auf die Welt kommt, um die Adoption zu erleichtern.“

Adoption? Ja! Denn die „Ehe für alle“ hat immer noch einen Haken: Bekommen heterosexuelle Ehepaare ein Kind, stehen Vater und Mutter automatisch als Eltern in der Geburtsurkunde und haben das Sorgerecht. „Bei gleichgeschlechtlichen Ehepaaren ist bis dato nur die Frau die rechtliche Mutter, die das Kind geboren hat“, ärgert sich Luise Blach, dass ihr das aktuelle Abstammungsrecht die „Stiefkindadoption“ vorschreibt: „Dass ich als Steffis Ehefrau Ida erst adoptieren muss, um ebenfalls das Sorgerecht als Mami zu haben, ist verletzend und diskriminierend.“

Das Adoptionsverfahren zog sich über Monate hin. Dass alles lange in der Schwebe hing, so schwierig, aufwendig und bürokratisch war, sei belastend gewesen. „Die rechtliche Unsicherheit hat uns echt zu schaffen gemacht. Immer im Hinterkopf die Frage: Was ist, wenn Steffi etwas passiert?“, blickt Luise zurück. Im August waren alle Hürden genommen und die Adoption rechtlich anerkannt. Und so kann die kleine Ida am 24. Oktober ihren ersten Geburtstag mit ihrer Mama und ihrer Mami feiern, und dass sie endlich eine ganz normale Familie sind.

Die „Ehe für alle“ ist bei Ronny (41) und Andreas (36) Kuka aktuell ein Reizthema. Die Wahl- Magdeburger gehören seit elf Jahren zusammen. „Wie Topf und Deckel“ gesucht und gefunden haben sie sich in einer Disco in Halle. Nach Ronnys Antrag am Heiligabend bei den Schwiegereltern wurde am 6.  Juli 2013 geheiratet. Am Stadtrand von Magdeburg hat das schwule Paar ein Haus gebaut und führt „ein stinknormales Spießer-Leben“ mit drei Katzen.

Was sie bisher davon abhielt, ihre Lebenspartnerschaft amtlich in eine „Ehe“ umzuwandeln, ist der zeitliche und bürokratische Aufwand. „Im Grunde ist das nur ein Verwaltungsakt“, moniert Andreas. „Aber dafür fängst du praktisch wieder bei null an und wirst noch einmal zur Kasse gebeten“, ärgert sich der Diplom-Kaufmann. Sein Mann ergänzt: „Wir hatten vor sechs Jahren eine wunderschöne Trauung auf der Schönburg. Und eine tolle Party mit 100 Gästen.“ Die Hochzeit sei perfekt gewesen und sehr emotional. „Warum also soll ich jetzt vor einer Standesbeamtin in einer Zeremonie noch einmal ,Ja‘ sagen?“, fragt sich Ronny. Er hätte sich ein einfacheres Prozedere gewünscht: „Eine Unterschrift von beiden, ein amtlicher Stempel und fertig ist die Laube ...“

Grundsätzlich ist die „Ehe für alle“ positiv zu bewerten, betonen beide. Das Adoptionsrecht sei ein Zeichen für eine offene Gesellschaft. „Auch wenn das für uns nie ein Thema war, sind wir für dafür beim Christopher Street Day auf die Straße gegangen.“ Als am 30. Juni 2017 im Bundestag die Abstimmung stattfand und sich die Mehrheit mit einem Ja gegen Kanzlerin Merkel stellte, war das auch für die Kukas ein historischer Tag: „Wir haben mit Sekt auf den Sieg der Liebe angestoßen.“

Diskriminierung haben beide eigentlich nie erlebt – abgesehen von den Pöbeleien von „Prolls“. Als „Schwuchtel“ beschimpft zu werden, gehe ihnen am A... vorbei. Sie hatten Glück, dass die Familie, der Freundeskreis und auch das Arbeitsumfeld in der Sparkasse bzw. in der Modebranche „total locker“ mit den Outings umgegangen sind.

In der Öffentlichkeit gehen sie dennoch zurückhaltend mit ihren Gefühlen füreinander um, gesteht Andreas: „Man überlegt sich als Schwuler nach wie vor genau, was man tut. Hand in Hand durch Olvenstedt laufen und mich mit Ronny küssen, würde ich jedenfalls nicht.“

Aus ihrem Berliner Bekanntenkreis hören sie allerdings Befremdliches: Die homophoben Übergriffe nehmen dort zu. Andreas sieht dies im Kontext mit dem allgemeinen Trend, dass in Deutschland das Anderssein – egal ob Religion, Herkunft, sexuelle oder geschlechtliche Identität – zunehmend als Bedrohung wahrgenommen wird. „Das macht mir Angst.“

Ronny Kuka will aber nicht mit dem Finger auf andere zeigen, denn: Auch die Schwulenszene habe sich verändert und ist intoleranter und oberflächlicher geworden. Es werde ausgegrenzt. Alter, Aussehen und Sex spielen eine große Rolle. Man muss hip, schick gekleidet und gut gebaut sein. „Viele sind nur noch auf eine schnelle Nummer aus. Paare, die wie wir elf Jahre zusammen sind, stoßen auf Ablehnung.“ Wenn die junge Schwulen-Generation den CSD nur als große Party betrachtet und Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LGBT) getrennt voneinander marschieren, dann läuft das Ganze in die verkehrte Richtung, warnt er. „Die LGBT-Community muss zusammenhalten und begreifen, dass wir von Gleichstellung und gesellschaftlicher Akzeptanz trotz der Ehe für alle noch immer weit entfernt sind.“