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Historiker Ein Archäologe unter Wasser

Sven Thomas aus Halle ist Sachsen-Anhalts einziger Unterwasser-Archäologe und spürt Schätze in Elbe, Saale oder auch im Arendsee auf.

Von Manuela Bock 28.04.2019, 01:01

Halle/Plötzkau l Der Weg zu Sven Thomas führt über Koordinaten, die er für einen Treffpunkt schickt. Sie führen zielgenau nach Plötzkau im Salzlandkreis ans Ufer eines Alt-Arms der Saale. In Sichtnähe des Schlosses stapft er am Gewässerrand entlang, schaut aufs Wasser. Natürlich. Sven Thomas ist Unterwasser-Archäologe. In Sachsen-Anhalt der Einzige. Selbst deutschlandweit lässt sich nur noch eine Handvoll Menschen finden, die sich der Archäologie unter der Wasseroberfläche widmen.

An diesem sonnigen Frühlingstag fischt Sven Thomas schon mal ein paar Steine aus dem Gewässer. „Interessant“, sagt er und verstaut sie im Geländewagen. Gleich will er noch eine Begehung machen. Was so unspektakulär klingt, ist die Vorbereitung für große Vorhaben, die in ein paar Wochen starten. „Genau genommen, könnten wir bald bedeutende Erkenntnisse über unsere Geschichte erhalten“, sagt Sven Thomas. Im Mai beginnt ein Projekt, bei dem der Hallenser Forschungsteams von „Thyssen-Krupp“ und dem „Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung, Institutsteil Angewandte Systemtechnik (IOSB-AST) Ilmenau an seiner Seite hat. Und damit Technik, die ans Licht bringen könnte, was lange im Wasser geschlummert hat.

Ziel der Archäologie-Begierde ist zunächst der Süße See im Mansfelder Land – eine Fundgrube für Historiker. Am Ostende des Gewässers gab es etwa 1000 bis 600 vor Christus, in der späten Bronze- und frühen Eisenzeit, eine Siedlung. Und am südlichen Ufer mehrere mittelalterliche Siedlungen aus dem 13. oder 14. Jahrhundert, an die noch Überlieferungen erinnern. „Hier muss es also Hafenanlagen gegeben haben, der See wurde mit Booten befahren und war mit Fischfang-Anlagen ausgestattet“, so Thomas. „Am Seeboden dürften sich also kulturhistorisch wertvolle Objekte befinden, die auch erhalten geblieben sind.“ Grund: Im tiefen Wasser wird wegen des fehlenden Sauerstoffs nichts zersetzt, nur konserviert.

Genau das ist der Reiz für Sven Thomas. „Das Wasser birgt Schätze“, sagt er. Er ist ein Schatzsucher. Dabei ist die Unterwasser-Archäologie eigentlich bei ihm eine „professionelle Verirrung“. Der gebürtige Stralsunder konzentriert sich selten auf nur eine Sache, das lässt sich schon an seinen Studienrichtungen ablesen. Er ist Sozialwissenschaftler, Historiker, Soziologe, Pädagoge und Fachübersetzer für Polnisch. Nach dem Politikstudium arbeitet Thomas 20 Jahre in der Staatskanzlei, wird zwischenzeitlich zur EU nach Brüssel delegiert.

Zurück in der Staatskanzlei in Magdeburg, zieht es ihn nach Halle zur Familie. Der zweifache Vater wird im Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Projektleiter. Als seine Kinder schwimmen lernen wollen, geht er zur Wasserwacht des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Halle (Saale) und wird prompt Vorstandsvorsitzender. Und da er gerade schon dabei ist, verwirklicht Sven Thomas einen Traum, wird Rettungsschwimmer, später gleich auch noch Ausbilder. Er lernt tauchen, „weil das naheliegend war und einfach ein schöner Sport ist“, schiebt eine Qualifikation als Tauchlehrer nach. So trifft sein Archäologie-Interesse auf die Unterwasserwelt. Es ist Harald Meller, der Direktor des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie, der ihn anstachelt, „mal im Süßen See unter Wasser zu gucken, was dort so alles liegt“. Sein Taucher-Gen springt an und das des Schatzsuchers.

Bei der DRK-Wasserwacht beginnen sie zu dieser Zeit gerade damit, Sonargeräte und Tauchroboter einzusetzen. Eine Initialzündung. Sven Thomas klopft bei Thyssen-Krupp“an, weil er weiß, dass der Konzern die Sonartechnik-Firma „Atlas Elektronik“ übernommen hat. Deren Technik, die bis dahin vor allem zur Minensuche bei Militäreinsätzen genutzt wird, wäre gut geeignet für die Arbeit bei der Wasserwacht und auch darüber hinaus, denkt sich Sven Thomas. „Mit so einer Technik könnten wir neu anfangen, über die Rettung von Menschen nachzudenken“, sagt er. Er rennt offene Türen ein. Längst habe man nach anderen Einsatzmöglichkeiten gesucht, heißt es aus dem Konzern.

Parallel dazu schmiedet der Hallenser Pläne, „die Unterwasserarchäologie ins nächste Jahrhundert zu katapultieren“. „Mit dieser Technik ist das nicht zu hoch gegriffen“, sagt Sven Thomas. Er holt das Ilmenauer Fraunhofer-Institut mit ins Boot, das auf maritime Systeme spezialisiert ist, und Unterwasser-Roboter hat, die bislang nur in China und Kanada eingesetzt werden. Vor einem Jahr treffen sich alle am Süßen See, wo ein Hightech-Unterwasser-Roboter 3D-Bilder eines alten Hügelgrabes liefert. Vor dem Bild vom Grabmal liegt eine Kartierung des Seebodens. Aus den Daten des Tauchroboters und von Messungen an der Oberfläche des Sees erstellen Wissenschaftler mit Videos und Sonardaten ein genaues Bild der Anlage. „Etwa 3400 Jahre! Damit wäre die Anlage aus der Bronzezeit nur einige Jahrhunderte jünger als die Funde der Himmelsscheibe von Nebra“, sagt Sven Thomas. In diesem Mai wollen sie der Sache auf den Grund gehen. Sachsen-Anhalts Unterwasser-Archäologe, Taucher der DRK-Wasserwacht Halle (Saale), Mitarbeiter von Fraunhofer und von „Atlas Elektronik“ tauchen wieder ab in den Süßen See. „Jetzt“, sagt Sven Thomas, „wollen wir auch Objekte in die Hand nehmen“.

Doch gerade das ist nicht so einfach in einem See, der als sehr nährstoffreich, gilt. „Für die Fische ist das gut, für uns Taucher nicht“, meint Thomas. Dunkel ist es im Süßen See, viele Sedimente haben sich abgelagert. Der Hallenser sagt: „Da muss jeder Griff sitzen, fassen wir daneben, wird alles aufgewirbelt, und wir sehen stundenlang nichts mehr. Wir müssen gezielt in den Schlamm fassen.“

Damit das klappt, soll die Sonar-Technik, die mit Schallimpulsen arbeitet, neben oder auf dem Boot arbeiten, damit könne man einen Kegel von bis zu acht Metern „checken“. Per Funk sollen die Taucher ihre Kommandos bekommen. Bevor sie überhaupt arbeiten können, müssen sich die Taucher zuvor mit Drahtseilen ein „Wegenetz“ bauen, an dem sie sich entlanghangeln können.

Mit der Expedition Süßer See ist es aber noch längst nicht getan. „Wir sind alle angestachelt, wollen noch mehr“, sagt er und lacht. „Wenn wir schon mal Experten, Technik und das Engagement gebündelt haben, nutzen wir alles gleich weiter.“ Die Blicke richten sich auf Elbe, Saale und auf den Arendsee. „Da liegen die Sensationen nur so herum“, meint der Fachmann. Im vergangenen Dezember unternahm er mit der halleschen Sonarfirma „MIDIC“ eine Testfahrt auf der Saale – und fischt als Erstes zwei Autos aus dem Wasser. „Wenn wir mit dem Sonar dort unterwegs sind, finden wir den Schrott der vergangenen 100 Jahre. So reinigen wir auch gleich die Gewässer,“ erzählt Thomas.

Aber nicht nur die sachsen-anhaltischen Flüsse interessieren die Archäologen. Auch deren Alt-Arme sollen jetzt systematisch erfasst werden. An den ehemaligen Flussstellen, die heute beschauliche Biotope sind, ließen sich viele Zeichen dafür finden, dass versunkene Zeitzeugen in ihnen schlummern. Zwei Jahre, plant er grob über den Daumen, solle das Unterwasser-Archäologie-Projekt laufen. Vorher müsse entschieden werden, wo sich der Einsatz der Taucher und Technik wirklich lohne. Auf große Funde hoffen sie alle. Das ist es, was den Hallenser dazu anstachelt, neue Wege zu gehen. Auch, wenn sie tief ins Wasser führen.